Also Kinners, wenn ihr mal fünf
Minuten lang das Maul halten könnt, dann will ich euch die Geschichte vom Rotkäppchen
erzählen, wenn ich mir das noch zusammenreimen kann. Der alte Kapitän Muckelmann
hat mir das vorerzählt, als ich noch so klein und so dumm war, wie ihr jetzt
seid. Und Kapitän Muckelmann hat nie gelogen.
Also lissen tu mi. Da war mal ein kleines Mädchen. Das wurde Rotkäppchen angetitelt
- genannt heißt das. Weil es Tag und Nacht eine rote Kappe auf dem Kopfe hatte.
Das war ein schönes Mädchen, so
rot wie Blut und so weiß wie Schnee und so schwarz wie Ebenholz.
Mit Rotkappchen so große runde Augen und hinten so ganz dicke Beine und vorn
- na, kurz eine verflucht schöne, wunderbare, saubere Dirn.
Und eines Tages schickte die Mutter sie durch den Wald zur Großmutter; die war
natürlich krank. Und die Mutter gab Rotkäppchen einen Korb mit drei Flaschen
spanischem Wein
und zwei Flaschen schottischem Whisky und einer Flasche Rostocker Korn und einer
Flasche Schwedenpunsch und einer Buttel mit Köm und noch ein paar Flaschen Bier
und Kuchen und solchem Kram mit, damit sich Großmutter mal erst stärken sollte.
"Rotkäppchen", sagte die Mutter noch extra, "geh nicht vom Wege ab, denn im
Walde gibt's wilde Wölfe!" (Das ganze muß sich bei Nikolajew oder sonstwo in
Sibirien abgespielt haben.) Rotkäppchen versprach alles und ging los. Und im
Walde begegnete ihr der Wolf. Der fragte: "Rotkäppchen, wo gehst du denn hin?"
Und da erzählte sie ihm alles, was ihr schon wißt. Und er fragte: "Wo wohnt
denn deine Großmutter?"
Und sie sagte ihm das ganz genau: "Schwiegerstraße dreizehn zur ebenen Erde."
Und da zeigte der Wolf dem Kinde saftige Himbeeren und Erdbeeren und lockte
sie so vom Wege ab in den tiefen Wald.
Und während sie fleißig Beeren pflückte, lief der Wolf mit vollen Segeln nach
der Schwiegerstraße Nummero dreizehn und klopfte zur ebenen Erde bei der Großmutter
an die Tür.
Die Großmutter war ein mißtrauisches, altes Weib mit vielen Zahnlücken. Deshalb
fragte sie barsch: "Wer klopft da an mein Häuschen?" Und da antwortete der Wolf
draußen mit verstellter Stimme: "Ich bin es, Dornröschen!"
Und da rief die Alte: "Herein!" Und da fegte der Wolf ins Zimmer hinein. Und
da zog sich die Alte ihre Nachtjacke an und setzte ihre Nachthaube auf und fraß
den Wolf mit Haut und Haar auf.
Unterdessen hatte sich Rotkäppchen im Walde verirrt. Und wie so pißdumme Mädel
sind, fing sie an, laut zu heulen. Und das hörte der Jäger im tiefen Wald und
eilte herbei. Na - und was geht uns das an, was die beiden dort im tiefen Walde
mitnander vorgehabt haben, denn es war inzwischen ganz dunkel geworden, jedenfalls
brachte er sie auf den richtigen Weg.
Also lief sie nun in die Schwiegerstraße. Und da sah sie, daß ihre Großmutter
ganz dick aufgedunsen war.
Und Rotkäppchen fragte: "Großmutter, warum hast du denn so große Augen?" Und
die Großmutter antwortete: "Damit ich dich besser sehen kann!"
Und da fragte Rotkäppchen weiter: "Großmutter, warum hast du denn so große Ohren?"
Und die Großmutter antwortete: "Damit ich dich besser hören kann!"
Und da fragte Rotkäppchen weiter: "Großmutter, warum hast du denn so einen großen
Mund?"
Nun ist das ja auch nicht recht, wenn Kinder so was zu einer erwachsenen Großmutter
sagen.
Also da wurde die Alte fuchsteufelswild und brachte kein Wort mehr heraus, sondern
fraß das arme Rotkäppchen
mit Haut und Haar auf. Und dann schnarchte sie wie ein
Walfisch. Und draußen ging gerade der Jäger vorbei.
Und der wunderte sich, wieso ein Walfisch in die Schwiegerstraße käme. Und da
lud er seine Flinte und zog sein langes Messer aus der Scheide und trat, ohne
anzuklopfen, in die Stube.
Und da sah' er zu seinem Schrecken statt einem Walfisch die aufgedunsene Großmutter
im Bett.
Und - diavolo caraitro ! - Da schlag einer lang an Deck hin ! - Es ist kaum
zu glauben ! - Hat doch das alte gefräßige Weib auch noch den Jäger
aufgefressen. -
Ja, da glotzt ihr Gören und sperrt das Maul auf, als käme da noch was. - Aber
schert euch jetzt mal aus dem Wind, sonst mach ich euch Beine.
Mir ist schon sowieso die Kehle ganz trocken von den dummen Geschichten, die
doch alle nur erlogen und erstunken sind.
Marsch fort! Laßt euren Vater jetzt eins trinken, ihr - überflüssige Fischbrut!
(von Joachim Ringelnatz)