Leona Rostenberg, Madeleine Stern: "Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft"
Unser Leben für seltene Bücher
Geteilte Leidenschaft ist doppelte
Leidenschaft
Die humorvolle Autobiografie zweier literarischer
Spürnasen
Die beiden freundlichen alten Damen,
die am Umschlag zusammen mit ihrem Dackel Bettina stolz vor einem Bücherregal
posieren, haben eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen. Hinter ihnen liegt
über ein halbes Jahrhundert als anerkannte Autorinnen und
Antiquariatsbuchhändlerinnen, das sie zu einer legendären Institution ihrer
Zunft gemacht hat. Ihre gemeinsam verfasste Autobiografie ist aber mehr als ein
Dokument des beruflichen Erfolges, sie legt berührend und humorvoll Zeugnis
davon ab, wie die verbindende Leidenschaft für rare Bücher, Wissensdurst und vor
allem wahre Freundschaft aus zwei Existenzen, die leicht in unbefriedigenden
Karrieren und Einsamkeit hätten enden können, ein glückliches gemeinsames Leben
formten.
Obwohl im Jahre 1929 die erste Begegnung der kleingewachsenen,
bebrillten Leona und ihrer schriftstellerisch ambitionierten Lehrerkollegin
Madeleine an der Hebräischen Mädchenschule in der New Yorker Fifteenth Street
nicht gerade verheißungsvoll verläuft, scheinen sie doch schon allein durch die
Parallelen in ihren Biografien füreinander bestimmt. Geboren an der Wende zum
zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, stammen beide aus Familien
deutsch-jüdischer Emigranten, die sich in den damals noch friedlichen und grünen
Stadtteilen Harlem und Bronx eine gesicherte Mittelstandexistenz aufgebaut
haben. Bereits im Kindesalter entwickeln beide Frauen eine von den Eltern
wohlwollend geförderte Begeisterung für das gedruckte Wort und später auch für
seine historische und soziale Bedeutung, die in einer formalen akademischen
Ausbildung Madeleines in Literaturwissenschaft und Leonas in Geschichte sowie
der lebenslangen Freude am Forschen und Lernen mündet.
Gemeinsam ist ihnen auch eine enge Bindung an die
Eltern
- wie selbstverständlich bleibt man zu Hause wohnen, solange noch ein Elternteil
am Leben ist - und das Fehlen einer ernsthaften Bindung zum anderen Geschlecht.
"Dorothy Parkers Zeilen 'Selten mal macht sich ein Mann / An eine Frau mit Brille
ran' kamen mir oft in den Sinn - und den Männern offenbar auch", kommentiert
Leona sarkastisch die mangelnden Verabredungen ihrer Jugendzeit, und die auf
diesem Gebiet etwas erfolgreichere Madeleine stellt nüchtern fest: "Keiner der
Männer, mit denen ich ausging, teilte meine Leidenschaft fürs Schreiben und
für Bücher, und darum kam mir auch keiner von ihnen richtig nahe."
Wirklich nahe kommt ihr nur Leona, der
sie 1933 an der Columbia Universität wieder begegnet: "Nun brachen alle Dämme.
Während wir zuvor mit einer gewissen Verachtung auf die jeweils andere
herabgeblickt hatten, fühlten wir uns in der akademischen Welt, die uns umgab,
ebenbürtig." Es ist der Beginn einer lebenslangen Partnerschaft, die - wie sie
schon im Vorwort dieses anekdotenreichen Dokuments einer Freundschaft energisch
versichern - stets platonisch geblieben ist, obschon sie wahrlich die einmal von
der New York Times gewählte Bezeichnung "tiefe, tiefe Liebe"
verdient.
Gerade die amüsanten Schilderungen ihrer ersten gemeinsamen
Reise nach Europa erinnern an den sorglosen Enthusiasmus von Jungverliebten, die
durch die bloße Gegenwart des Partners noch für den langweiligsten Kurort und
das grässlichste Hotel überschwängliche Begeisterung empfinden können. Selbst
der drohende Hintergrund des Faschismus der späten 30er Jahre kann das
Wunder des gemeinsamen Erlebens nicht schmälern, die beiden abenteuerlustigen
und manchmal etwas naiven jungen Damen aus Amerika waren "glücklich, wie wir es
nur sein konnten". Endlich haben sie den ersehnten intellektuellen und
emotionalen Gleichklang gefunden und gehen schon bald daran, eine gemeinsame
Zukunft aufzubauen, bis viele Jahre später einmal ein Freund anerkennend meinen
sollte: "Mady und Leona sind das vollkommenste Paar in unserem
Kreis."
Wenn es auch ein wenig unwahrscheinlich erscheint, dass die
gemeinsam verbrachte Zeit tatsächlich völlig konfliktfrei verlaufen ist, so
werden sich doch beim Schmökern durch die lebendige, mit Auszügen aus Briefen
und Tagebüchern ergänzte Doppel-Biografie nur in ungemein glücklichen
Beziehungen lebende Leser nicht ein wenig neiderfüllt wünschen, einen Partner zu
finden, der nicht nur so leidenschaftlich die eigenen Interessen teilt, sondern
sich gleichermaßen selbstlos über Erfolge des anderen freut und bedingungslos
seelische wie praktische Unterstützung bietet.
Als Mady, wie Madeleine
von ihrer Freundin liebevoll genannt wird, etwa nach einer ersten Biografie über
Margaret Fuller an einer Lebensgeschichte Louisa May Alcotts arbeitet, hilft
Leona selbstverständlich bei den Recherchen mit. Tatkräftig trägt sie dazu bei,
dass Madeleine durch die Entdeckung, dass die überaus beliebte Kinderbuchautorin
("Betty und ihre Schwestern") des 19. Jahrhunderts unter Pseudonym auch
zahlreiche Sensationsgeschichten und Thriller veröffentlicht hat, Anerkennung in
wissenschaftlichen Kreisen findet und durch ein Guggenheim-Stipendium endlich
vom Zwang befreit wird, sich durch ungeliebtes Unterrichten den Lebensunterhalt
verdienen zu müssen.
Die ehrliche Freude Leonas über den Erfolg
Madeleines wird in den Memoiren ebenso spürbar wie der unermüdliche Zuspruch,
mit dem Mady den nicht immer wohlwollend aufgenommenen akademischen Ehrgeiz
ihrer Freundin unterstützt. "Miss Rostenberg, schrauben Sie Ihre Hoffnungen
nicht zu hoch. Sie haben zwei schwer wiegende Nachteile: Sie sind eine Frau, und
Sie sind Jüdin", warnt einmal ein Professor Leona, die sich gegen den Widerstand
ihres Doktorvaters trotzdem mit Enthusiasmus in ihre Dissertation über die Rolle
von Druckern und Verlegern des 16. Jahrhunderts als Beförderer von Wissenschaft
und Reformation stürzt. Nachdem die Arbeit 1939 von der Columbia abgelehnt wird
- erst 30 Jahre später sollte ihr der langverdiente Doktor-Titel zuerkannt
werden - und Leona im Geschäft eines ebenso cholerischen wie pedantischen
österreichischen Immigranten wichtige Erfahrungen im Handel mit seltenen Büchern
sammeln kann, ist es Madeleine, die sie darin bestärkt, sich 1944 gegen den
Willen ihrer Familie als Antiquarin in dem alten Haus in der Bronx, in dem sie
aufgewachsen ist, selbstständig zu machen.
Madeleine leiht ihr Geld für
den Beginn, schenkt ihr zu Weihnachten edles Briefpapier, Visitenkarten und
Rechnungsbögen mit der stolzen Aufschrift "Leona Rostenberg - Seltene Bücher"
und tätigt im April 1945 schließlich den Telefonanruf, der für Leona zum
"Kulminationspunkt meines ganzen bisherigen Lebens" wurde: "Du hast eine
Junior-Partnerin", verkündet Mady, "Ich werde ab morgen kommen." Aus der
Lebenspartnerschaft ist nun endgültig auch eine Geschäftspartnerschaft in einem
Bereich geworden, der - sehr zu Unrecht, wie die beiden New Yorkerinnen beweisen
- nicht gerade den Ruf einer aufregenden Branche genießt.
"Im Grunde
besteht der wesentliche Unterschied zwischen uns beiden und den meisten anderen
auf der Welt darin, dass wir seit über fünfzig Jahren Partnerinnen in einem
ungewöhnlichen, manchmal esoterischen Geschäft sind - dem Handel mit seltenen
Büchern. Es ist ein Geschäft, bei dem Wissen Macht bedeutet und detektivische
Fähigkeiten oft eine wichtige Rolle spielen. Das elektrisierende Gespür dafür,
was an einer Erstausgabe oder einem frühen Druck besonders bemerkenswert ist,
wird in unserer Branche als 'Fingerspitzengefühl' [Anm.: Wie viele andere
Ausdrücke auch im englischen Original auf Deutsch] bezeichnet. Wenn
'Fingerspitzengefühl' sich mit glücklichem Zufall paart, dann öffnet sich für
diejenigen, die mit dem Alten und Seltenen handeln, die Pforte zum
Paradies."
Die nie nachlassende Faszination, die die Pirsch nach seltenen
Büchern auf Leona und Madeleine ausübt, wird vor allem in jenen Kapiteln
deutlich, die sie Aufsehen erregenden Funden auf dem Antiquariatsmarkt widmen.
Fast spielerisch und mühelos erscheinen ihre erfolgreichen Jagden, doch wird
schnell auch deutlich, welch profundes Wissen erst zum Erkennen bibliophiler
Juwelen inmitten verstaubter Texte befähigt.
Schon zu Beginn ihrer
Karriere als Buchhändlerin beweist Leona "Fingerspitzengefühl", als sie zusammen
mit Madeleine bei einer Auktion in der Nähe ihres Ferienhauses in Maine einen
Charles Dickens in Originallieferungen - viele seiner Romane sind zunächst in
Teilen oder Fortsetzungen erschienen - für läppische 60 Cents ersteigern kann.
Dieser Entdeckung sollten noch viele folgen, und auch ihr erster Katalog, den
sie zum Thema "Bücher über Bücher" zusammenstellen, findet rasch großen Anklang
beim Publikum.
Ihre Kunden, wissenschaftliche Institutionen als auch private Sammler, schätzen
die Fachkenntnis der beiden mit detektivischem Spürsinn, Hartnäckigkeit und
natürlich auch einer Portion Glück gerüsteten Damen, die in den folgenden Jahrzehnten
vor allem auf zahlreichen Streifzügen durch die Bücherregale der Händler Europas
sogar einige außerordentliche Entdeckungen machen, die Eingang in wissenschaftliche
Archive finden und die Forschung bereichern. Zu diesen Schätzen zählt beispielsweise
ein aus dem frühen 17. Jahrhundert stammender Bericht eines portugiesischen
Seefahrers, der
Australien
entdeckt zu haben glaubte. Doch auch Enttäuschungen und Fehleinschätzungen ihrer
pointiert geschilderten Suchen nach raren Büchern und Drucken verschweigen
Mady und Leona nicht, die neben dem Antiquariatsgeschäft nie die Forschung vernachlässigten
und Dutzende wissenschaftliche Werke verfassten und herausgaben.
Die zunehmende
Reputation, die sich die beiden umtriebigen Händlerinnen erwerben, schlägt sich
auch in ihren brancheninternen Aktivitäten nieder, die sie 1954 als Vertreter
der amerikanischen Delegation am Kongress der Internationalen Vereinigung der
Antiquariatsbuchhändler auch ins besetzte Wien führen, wo sie, festgehalten in
zwei der zahlreichen Fotos des Buches, nicht nur voller Ernsthaftigkeit die
Schätze der Nationalbibliothek bestaunen, sondern sich auch beim Heurigen
augenscheinlich bestens amüsieren. Leona wird schließlich sogar zur Präsidentin
der Antiquarian Booksellers Association of America gewählt; auch die von
Madeleine 1960 initiierte erste Antiquariatsbuchmesse in den Vereinigten Staaten
wird zum riesigen Erfolg und 1969 sogar international - ein Ereignis, bei dem
Rostenberg und Stern ihre Teilnahme gebührend ankündigen: "New Yorks Razzle
Dazzle Buchmesse - Die beiden Ladys haben Geisteswissenschaften, Kunst, Judaica,
Philosophie, Naturwissenschaften, Turcica und ANGENEHME KONVERSATION zu
bieten."
Ihre Geschäfte führen sie jahrzehntelang von dem selbst bald wie
ein Zeuge einer vergangenen Zeit anonymen Wohnblöcken trotzenden Haus in der
Bronx aus, das sie seit dem Tod von Leonas Mutter gemeinsam bewohnen. Erst 1969
lassen sie sich von der steigenden Kriminalität des Viertels vertreiben und
übersiedeln nach Manhattan.
Als sie 1989 auf einer Buchmasse als
"altehrwürdige Firma" bezeichnet werden, kommentieren sie dies mit den Worten:
"Wir denken niemals an den Ruhestand, weil wir durch neue Entdeckungen immer
wieder neu belebt werden." Und diese in ihrer mit leichter Hand verfassten
Autobiografie deutlich spürbare, nie erlahmende Energie und Freude am Entdecken,
Forschen und Lernen macht auch einen Großteil der Faszination aus, welche die
Erinnerungen der "literarischen Spürnasen" (O-Titel: "Old Books, Rare Friends.
Two Literary Slenths and Their Shared Passion") zu einer lohnenswerten Lektüre
für alle Bücherfreunde macht.
(sb; 06/2004)
Leona Rostenberg, Madeleine Stern:
"Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft"
Hoffmann und Campe, 2004. 304
Seiten.
ISBN 3-455-09429-5.
ca. EUR 19,90.
Buch bestellen
Ergänzende
Buchempfehlung:
Klaus Walther: "Bücher sammeln. Kleine Philosophie der
Passionen"
Warum sammelt man Bücher? Die Motive sind vielfältig, Hingabe aber ist immer
dabei. Oft steht der passionierte Leser am Anfang, der seine Fundstücke um sich
haben will. Auch das Vergnügen am schönen Buch, am alten Buch, an der Rarität,
verführt zum Sammeln. Klaus Walther erzählt von der lebenslangen Passion, Bücher
zu lesen und zu besitzen, von Antiquaren und Auktionen, von großen Sammlern
und ihren Schätzen, von der Jagd nach Büchern, der Sehnsucht nach einer unerhörten
Entdeckung. Und von der ewigen Frage des Liebhabers: Wo finde ich noch einen
Platz für meine Bücher? Eine vergnügliche Reise durch die Welt der
Bibliophilie.
(dtv)
Buch bestellen
Falls Sie auf den Geschmack gekommen
sind, können Sie Ihr "Klick" hier versuchen:
www.abebooks.de
Teil des weltweit größten Marktplatzes für
antiquarische, vergriffene und gebrauchte Bücher. Suchen Sie einem Angebot von
mehr als 45 Mio. Titeln von über 11.000 Buchhändlern aus der ganzen
Welt.