George Wyland-Herzfelde: "Glück gehabt"
"Als ich den ersten Tag zur Schule ging, sagte der Lehrer: Ich mache aus euch Männer, die das Land verteidigen. Da stand ich Knirps auf und sagte: Hören Sie, ich bin hier, um Rechnen und Schreiben zu lernen."
Geboren wurde George Wyland-Herzfelde 1925 in Berlin als Sohn des Malik-Verlegers Wieland Herzfelde. Sein Onkel war der Entdecker der Fotomontage, John Heartfield. Die Kindheit und Jugend des Autors verlief äußerst bewegt und beschreibt dem Leser ein Stück Zeitgeschichte aus der Sicht eines mutigen und neugierigen Kindes bzw. Jugendlichen. Trotz der teilweise krisenhaften Umstände schwingt nie eine Spur Bitterkeit in den Erinnerungen mit, sondern vielmehr die große Lust und Neugier am Leben und das Gefühl, einfach Glück gehabt zu haben.
Als die Partei Hitlers immer mehr an Einfluss gewinnt, wird George zu seinen Großeltern mütterlicherseits nach Salzburg in Sicherheit gebracht, wo er sich rasch einlebt und eine schöne Zeit verbringt. Seine Eltern bleiben in Berlin und führen die Verlagsgeschäfte weiter. Die Situation spitzt sich immer mehr zu, und letztendlich sind seine Eltern gezwungen, Deutschland zu verlassen, einen kurzen Zwischenstopp in Salzburg einzulegen und zu beraten, wo sie in Zukunft leben werden. Die Entscheidung fällt auf Prag, wohin George erst nach einer Weile nachgeholt wird und vorübergehend aufgrund Platzmangels nicht bei den Eltern wohnen kann. Ein für mitteleuropäische Verhältnisse fast unvorstellbarer Zustand, ein zehnjähriger Junge, der alleine in einem Zimmer lebt. Die finanzielle Lage des Verlages ist permanent angespannt, da bestehende Guthaben eingefroren und Zahlungen oft in Naturalien erfolgen. Umso berührender schildert Wyland-Herzfelde seine Freude über kleine Geschenke oder besondere Lebensmittel, die ihm seine Tage versüßen. Durch die Geldknappheit wird auch die Geschäftstüchtigkeit des Jungen beflügelt. Er erzeugt aus Papier, das er geschenkt bekommt, Tüten und verkauft diese an naheliegende Geschäfte, um sich so manchmal ein "Merunky smrzlina" (Marilleneis) vom ersten Italiener in Prag zu gönnen. Doch auch Prag wird immer unsicherer, und so wird George in die Schweiz in ein Internat geschickt, mit dem Hintergedanken in Kürze gemeinsam nach Amerika auszuwandern. Restbestände des bescheidenen Vermögens, das in Briefmarken angelegt ist, begleiten George in die Schweiz. Unter schwierigen Bedingungen gelingt es den Eltern letztendlich über Paris und London in die USA zu gelangen. George, der die Reise von der Schweiz aus antritt, gerät kurzfristig in Schwierigkeiten, da ein Zöllner die Gültigkeit seines Passes anzweifelt und ihn auf deutschem Territorium zum Aussteigen zwingen will. Beherzt setzt er sich zur Wehr und wird von den Fahrgästen im Zug tatkräftig unterstützt, sodass es ihm doch noch gelingt, sein Ziel und die Eltern für die gemeinsame Überfahrt zu erreichen.
Doch auch Amerika hat der Familie vorerst nicht viel zu bieten. Kurze Zeit finden sie Unterkunft in der Villa des Millionärs Paul Villard. Dieses Leben in Luxus währt nur kurz, und der Überlebenskampf und ihre antifaschistische Arbeit haben noch lange kein Ende. George verwirklicht trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen endlich seinen Jugendtraum und wird professioneller Eiskunstläufer.
Durch
sein Aufwachsen in einem sehr politischen und offenen Elternhaus, ist Wyland-Herzfelde
bereits als Junge an der Welt und den Geschehnissen interessiert, gibt immer wieder
seine Kommentare dazu ab und geht ganz unbefangen auf Menschen zu, die ihn auch
sehr ernst nehmen. Freunde seiner Eltern, wie George Grosz, und deren weltoffene
und kritische Einstellung beeinflussen den Jungen und vermitteln ihm die Wichtigkeit
kritischen Denkens und des Sich zur Wehr-Setzens auch in schwierigen Zeiten.
Diese Erinnerungen sind ein berührendes Stück Zeitgeschichte, das man nur sehr ungern aus der Hand legt bis die letzte Seite gelesen ist. Eine faszinierende Geschichte eines Jungen, dessen Optimismus und Lebensneugier auch durch ein Regime wie jenes von Hitler nicht zerstört werden konnte.
(margarete; 04/2003)
George Wyland-Herzfelde:
"Glück gehabt"
dtv, 2003. 299
Seiten.
ISBN 3-423-24329-5.
ca. EUR 15,-.
Buch bestellen