Kitty Johnson, Ina Finn: "Die Johnson. Weinführer für Frauen"

"Weil wir mehr Wein trinken als Männer und auch mehr kaufen - und dennoch, betritt eine Frau in männlicher Begleitung ein Restaurant ... wem wird die Weinkarte gereicht?" 
(Kitty Johnson in einem Interview auf die Frage, warum sie ein Weinbuch für Frauen geschrieben habe.)


Kitty Johnson, 1973 in Essex geborene Tochter des bekannten Weinkenners Hugh Johnson, dessen Weinführer "Der große Johnson" und "Der kleine Johnson" Liebhaber edler Rebensäfte durch die Jahre geleiten, weiß Bescheid; schließlich wandelte sie gewissermaßen schon von Kindesbeinen an in den väterlichen Fußstapfen.
Unter Mitwirkung der Weinjournalistin und Sommelière Ina Finn entstand die für den deutschen Sprachraum überarbeitete und um Informationen, Adressen und Tipps für Deutschland, Österreich und die Schweiz erweiterte Ausgabe des 2003 unter dem Originaltitel "Wine - A Woman's Guide" erschienenen Sachbuchs.

Ratgeberliteratur zum Thema Wein umkreist - das liegt in der Natur der Sache - stets Fragen von grundlegender Bedeutung, beispielsweise Weinkauf, Lagerung, Vokabular, Wahl des zur jeweiligen Speise passenden Weins usw. - somit ist die Ausgangsposition auch für einen Weinführer, der sich gezielt an die weibliche Leserschaft richtet, klar definiert.
Dem "kleinen Unterschied" besondere Beachtung zu schenken, könnte also durchaus reizvoll, wenngleich nicht zwingend nötig sein.

Ein kleiner Exkurs - "außerhalb der Buchdeckel" sozusagen
Süß, salzig, sauer, bitter und umami (ein aus dem Japanischen stammender Begriff für Wahrnehmung von Glutamat [als fleischig-fettig] in Speisen, der in etwa "wohlschmeckend", "lecker" bedeutet) - diese unterschiedlichen Geschmacksrichtungen können die auf der Oberfläche der menschlichen Zunge liegenden Geschmacksknospen unterscheiden. Früher ging man davon aus, "süß" würde hauptsächlich an der Zungenspitze wahrgenommen, "salzig" und "sauer" an den Zungenrändern, und die Empfindungszone für "bitter" läge im hinteren Teil der Zunge. Allerdings deuten neuere Untersuchungen darauf hin, dass es keine derartig klar zuordenbaren Zonen gibt, sondern die Rezeptoren über die Zunge verteilt sind und zusammenwirken.
Menschen sind entweder "Nichtschmecker", "Normalschmecker" oder "Superschmecker" - je nachdem, wie dicht und zahlreich die Geschmacksknospen auf der Zunge eines Individuums liegen. Generell nimmt die Anzahl der Geschmacksknospen im Verlauf des Lebens ab. Zungen von Frauen verfügen über eine größere Anzahl von Geschmacksknospen als jene von Männern.

Kann man daraus verschiedenartige "Geschmackswelten" ableiten, abhängig vom Geschlecht? Johnson meint, man kann.
Ihre Einleitung beginnt folgendermaßen: "Heutzutage kaufen Frauen mehr Wein als Männer, und sie trinken mehr Wein als anderen Alkohol. Wein ist weder Luxus, noch ist er ausschließlich festlichen Gelegenheiten vorbehalten, er gehört einfach zum alltäglichen Leben dazu." Und weiter: "Wer also sollte Frauen in Weinfragen besser beraten können als Frauen? Es ist an der Zeit für uns, die Weinentscheidungen selbst zu treffen, auch wenn es fürs erste vielleicht nur darum geht, den Wein für das heutige Abendessen auszusuchen."

Nun stellt sich die Frage, ob Kitty Johnson eine geeignete Ratgeberin ist. In welcher Welt lebt sie? Im Kapitel "Stilfragen" beschreibt Johnson ihre Sicht der Dinge: "Für die meisten von uns ist Wein heutzutage ein täglicher Begleiter. Auch Champagner trinken wir ohne Gewissensbisse, um freitagabends in der Badewanne die Sorgen der Arbeitswoche wegzuspülen oder uns für eine Partynacht aufzulockern. Wir trinken Wein im Badezimmer, in der Küche, im Wohnzimmer und manchmal im Bett. Wir trinken ihn in Kneipen, in Weinlokalen, Bars, Clubs, Restaurants, Cafés, im Theater, in der Oper und im Kino. Wir trinken ihn aus Gläsern, Flaschen oder Tetrapaks. Wir trinken ihn vor, während und nach den Mahlzeiten. Wir trinken Wein zusammen mit anderen Frauen, mit Männern oder allein. Wir trinken manchmal schon mittags und am frühen Nachmittag, und häufig trinken wir ihn abends. Freitag- und Samstagnacht werden die Kehlen am besten geschmiert, aber ein oder zwei Gläser täglich sind weder eine Sünde noch ein Skandal. Wir haben einfach mehr Zeit zum Trinken heutzutage."
"Wir", also die verschworene Gemeinschaft trinkender Frauen, trinken und trinken? Wie eingangs festgestellt: Kitty Johnson muss es wissen.
Die anschließenden Ausführungen zu Eigenschaften und Aromen von Weiß-, Rosé- und Rotweinen unterscheiden sich inhaltlich in nichts von den aus anderen ("Männer"-)Weinbüchern bekannten; wie sollten sie auch. In Tabellen werden "Nase/Geschmack", "Farbe" und "Bekannte Vertreter" aufgelistet. Was hervorsticht, ist keineswegs z.B. die Säure der Weißweine, sondern "zeitgeistiges Frauenvokabular", was dem Buch sicherlich ein in naher Zukunft liegendes Ablaufdatum einprägt. Drei Beispiele: "Soll man diese Weine trinken, das Dekolleté damit einsprühen oder sie ins Badewasser geben?"; "Wer also junge Rote, wie junge Männer, zu anstrengend findet (wie Robbie Williams), versucht ältere, schon komplexere Weine mit sanfteren Tanninen (eher Sean Connery) oder weiche Sorten mit wenig Tanninen (lustige, knuffige Männertypen wie Dustin Hoffman [...] ); "Diese Weine zählen zum Typ Schwarzenegger, es sind sozusagen Terminatorweine."
Wenn man eine eigens für den deutschsprachigen Markt überarbeitete Buchausgabe produziert, sollte doch auf ein adäquates Bezugssystem für als Hilfestellung gedachte Vergleiche geachtet werden!
Anschließend erhält die werdende Weinkennerin auch Antwort darauf, "Wie man das Beste aus dem Wein macht" ("Das Auge", "Schwenken", "Die Nase", "Geschmack, "Schlucken").

Kapitel Nummer 2 ist der Weinsprache gewidmet. Wer die im Weinhandel gängigen Beschreibungen von Aromen versteht, findet das Gewünschte zielsicher und schnell. Johnson: "Bei Befragungen antworten Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts sogar, dass es ihnen lieber wäre, wenn die Weine im Weinregal nach Aromen und nicht nach Anbaugebieten geordnet wären. Männer dagegen interessieren sich eher für die Rebsorte oder die Anbauregion, für den Alkoholgehalt bis auf die zweite Stelle nach dem Komma oder dafür, wie lange der Wein im Holzfass gelagert wurde." 
Auf leicht verständliche Art informieren übersichtliche kurze Abschnitte über die Bedeutung der erforderlichen Begriffe, darunter "holzig", "saftig", "Benzin", "rauchig" und "fleischig". Nach den Aromen geht es weiter mit "Und jetzt wird es körperbetont": Ausdrücke wie "Bouquet", "Tannin", "Abgang" u. dgl. werden erläutert. Sodann begibt man sich auf "Fehlersuche"; Stichwörter: "Kork", "Essigstich".

Kapitel Nummer 3 gibt Auskünfte über "Wein zum Essen". Und abermals der durchdringende Klang einer "weiblichen Note": "Vier Dinge braucht der Wein (und der Mann): Wein, so wie Ihr Angebeteter, besteht aus vier Grundelementen: Tannin (Aussehen und Körper), Säure (Sinn für Humor), Süße (Herzensgüte) und Alkohol (Interesse für Sport, Testosteron); alle zu einem mehr oder weniger großen Anteil."
Sollte die Autorin ihren Leserinnen etwa ein derart bescheidenes Vorstellungsvermögen zugestehen, dass ein "Angebeteter" als Maßstab des Weins herhalten muss?
Das Kapitel behandelt Grundsätze, bietet eine hilfreiche Stilfibel in Tabellenform, Weinempfehlungen zu bestimmten Nahrungsmitteln sowie Tipps zum Kochen mit Wein.

"Partys" stehen im Mittelpunkt des vierten Kapitels; die Wahl der richtigen Weine und Gläser zu verschiedenen geselligen Anlässen.
Sodann folgen im fünften Abschnitt Ratschläge zum Weinkauf. Johnson erläutert auf Weinetiketten ersichtliche Informationen, die der Käuferin die Entscheidung ermöglichen bzw. erleichtern sollen (Stufe, trocken/süß, Hersteller, Preis-/Leistungsverhältnis, ...).
Weiter geht es "In der Bar", und wieder wird die ratsuchende Leserin mit leichter Kost bedient. Es geht um die Wahl des richtigen Getränkes, sei es ein erfrischender oder ein wärmender Weißwein, ein Roséwein, ein leichter bzw. ein großer Rotwein oder ein sogenannter "Absacker", das ist der "letzte Schluck". "Der Zeigefinger" wird von der Autorin mahnend erhoben: "Sie müssen nicht unbedingt mehr als die drei empfohlenen Gläser an einem Abend trinken" und "Trinken Sie genügend Wasser dazu"
Wir trinken und trinken.

Von der Bar begibt sich die Leserin weiter zu "Im Restaurant", wo Kitty Johnson unangenehme Erfahrungen gemacht hat: "Um mir das Privileg zu verdienen, die Weinkarte bestellen zu dürfen, musste ich erst dieses Buch schreiben." Eine wackere Pionierin! 
Tipps zum Umgang mit der Weinkarte, die gekonnte Ausführung der Weinbestellung, Anmerkungen zur Rechnung sowie Informationen über eine Gepflogenheit, die man auf Deutsch mit "Bring deine eigene Flasche" umschreiben könnte, reihen sich aneinander.

Kapitel acht steht unter der Devise "Was noch dazu gehört". Das wären beispielsweise Dekantierkaraffen, Trockenständer, Korkenzieher, Gläser, Flaschenverschlüsse, Thermometer und Tropfringe. Brauchbare Erläuterungen und Händlerempfehlungen der Autorinnen sind vorhanden.
Danach sind Tipps und Informationen zur "Lagerung" an der Reihe, und Lieferanten- bzw. Internetadressen werden aufgelistet.
"Wein und Gesundheit" stehen im Mittelpunkt des zehnten Kapitels. Außer Anmerkungen zur "schlechten Seite des Alkohols" finden sich auch solche zur "guten Seite", und natürlich wieder zu einem Aspekt des "kleinen Unterschieds". Johnson: "Ganz offensichtlich wirkt sich der Genuss von Alkohol unterschiedlich auf Frauen und Männer aus. Leider müssen wir Damen zugeben, dass wir hier trotz aller Emanzipation den Kürzeren ziehen. Fast jedes Organ im weiblichen Körper kann schlechter mit Alkohol umgehen als das Äquivalent im männlichen Körper." Die Hintergründe hierfür werden kurz erläutert und spezifische Frauenthemen im Hinblick auf Alkoholgenuss behandelt (z.B. Menstruation, Schwangerschaft, Stillzeit, Menopause). Wir trinken und trinken!
Das elfte und letzte Kapitel trägt den Titel "Weinwelt"; es beinhaltet Beschreibungen von Weinanbaugebieten von Argentinien bis Uruguay.

Erwiesenermaßen verfügt Kitty Johnson über umfangreiches Wissen zum Thema Wein. Dass sie sich veranlasst sah, die Zielgruppe, junge Frauen nämlich, auf naive Art damit zu beglücken, wird manche Leserinnen anziehen, andere hingegen abstoßen.
Ob sich das durchgehend beschworene weibliche Wir-Gefühl tatsächlich einer Weinrebe gleich am Spalier eines "Weinführers für Frauen" empor rankt, scheint zumindest fraglich. Darin, ausgerechnet Wein, seit jeher Begleiter bei festlichen und gesellschaftlichen Anlässen, als Aufhänger für eine schmalspurige Frauenrechtserörterung zu wählen, ist nicht unbedingt ein gewinnender Ansatz zu erblicken. Mag sein, dass Kitty Johnson einen solchen Stil für politisch oder sonstwie korrekt bzw. kess hält; eine Vorliebe, welche die Rezensentin nicht teilt.

(Kerstin Eckberg; 01/2005)


Kitty Johnson, Ina Finn: "Weinführer für Frauen"
(Originaltitel "Wine - A Woman's Guide")
Aus dem Englischen von Thorsten Schütte.
Europa Verlag, 2004. 330 Seiten.
ISBN 3-203-78581-1.
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