Stephen Vizinczey: "Wie ich lernte, die Frauen zu lieben"


Verdächtig ist es schon, wenn fast 40 Jahre nach seinem ersten Erscheinen (1965) ein "Weltbestseller" plötzlich wieder ausgegraben und vom Verlag in den höchsten Tönen gelobt wird.
Da hätte ich mich fragen müssen: Wo hat so ein Meisterwerk denn all die Jahre geschlummert? Wie konnte es so schnell in Vergessenheit geraten?
Der Titel "Wie ich lernte, die Frauen zu lieben" verlockte mich dann doch zum Kauf. Das englischsprachige Original trägt übrigens den weit weniger attraktiven Titel "In Praise of Older Women".
Der Verlag stellt dem Buch eine 2 Seiten lange Sammlung von internationalen Pressestimmen voraus, die sich an Superlativen überbieten. Sie reichen von "eine klassisch durchgestaltete Erzählung" über "Erotik voller Tiefgang und Witz"; "Ein erotischer Klassiker voll subtiler Komplexität, Humor und Witz" bis zu "Ein Meisterwerk …".

Nach der Lektüre dieses Buches finde ich keine der so überaus großzügig verliehenen Plaketten berechtigt. Unterhaltsame Gutenacht-Lektüre, die nicht im Leser nachwirkt, mehr nicht. Den Einsatz von 20 € lohnt sie nicht. Erotischen Romanen, die diesen Namen verdienen, wie Gerhard Zwerenz´ "Casanova oder der kleine Herr in Krieg und Frieden", Mario Vargas Llosas "Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto", Joseph von Westphalens "Der Liebessalat" oder Antoni Liberas "Madame" reicht Vizinczey nicht im Entferntesten das Wasser. Es fängt schon damit an, dass man nicht recht weiß, welcher Gattung man das Buch zurechnen soll. Um einen Roman oder eine Erzählung mit den ihnen eigenen Gattungs- und Strukturkriterien handelt es sich nicht. Der lineare chronologische Bericht in Ich-Form, die einfachste Erzählform überhaupt, kaschiert nur notdürftig den autobiographischen Hintergrund, indem dem Ich-Erzähler ein anderer Name, Andras Vajda, Philosophieprofessor an einer amerikanischen Universität, zugewiesen wird, während die Übereinstimmungen mit der Vita des Autors doch nicht zu übersehen sind.
Der Leser kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand seine langjährigen intimen Tagebuchaufzeichnungen zu einer kompakteren Form ausgewalzt hat. Das würde auch die unterschiedlichen Stimmungen, teilweise sich widersprechenden Meinungen und Interpolationen von Themen erklären, die mit dem Hauptthema nichts zu tun haben wie z.B. der lange Exkurs über die heldisch-tragische ungarische Nationalgeschichte.

Letztlich reduziert sich der Inhalt des Buches auf eine Aneinanderreihung von über einem Dutzend Bettgeschichten, angereichert durch Kommentare des Erzählers zu seinem Verhalten und dem der vielen Geliebten, in denen immer wieder Eitelkeit, Narzissmus bis hin zu Zynismus gegenüber (den meist sehr viel älteren Frauen) zu Tage treten.
Zumal sich der Ich-Erzähler als gut aussehend , intelligent, charmant, belesen, beredt und mit guten Umgangsformen ausgestattet darstellt, sind die meisten, in der Regel unglücklich verheirateten Frauen leichte Beute für ihn. Sobald er sie erobert und ins Bett gezogen hat, lässt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sein Interesse schnell nach und er hält nach Frischfleisch Ausschau.
Bei dieser Einstellung überrascht es nicht, wenn er sich im 9. Kapitel damit brüstet, "Don Juans Geheimnis" gelüftet zu haben. In grotesker Fehldeutung dieser Gestalt der Weltliteratur (und sich selber offenbar als dessen Nachfolger verstehend) sieht er Don Juans Erfolg bei Frauen darin, dass dieser von vornherein nur die Willigen aussortiert und sich gar nicht erst an die schwer zu Erobernden herangemacht habe.

Was macht den Reiz des erotischen Erzählens aus? Die Kunst, ein erotisches Knistern im Leser hervorzurufen und beständig wach zu halten und Erotik in weit gespannte Erzählzusammenhänge einzubetten. Der Weg ist das eigentliche Ziel, sonst wird nichts schneller schal und langweilig als ein erotischer Roman.
Wer sich, wie Vizinczey, auf das Ziel konzentriert, eine Frau möglichst ohne Widerstände oder Zeitverluste flach zu legen, kann schwerlich erotische Spannung erzeugen.

Dieser "Triebtäter", als der er mehrfach von Frauen entlarvt wird, hat nur eins im Sinn: seiner hübsch nach Kategorien wie "Die Jungfrau", "Die Frigide", " Der Backfisch" geordneten Sammlung eine weitere Jagdtrophäe hinzuzufügen.
Gelegentliche Anwandlungen von Schuldgefühlen und Selbstbezichtigungen "Mir war bitter bewusst, dass ich ein Lustparasit, ein Sexschmarotzer war." (S. 263) kratzen nicht an seiner Grundüberzeugung, dass letztlich jede Frau "aufzuschließen" sei, wenn Mann nur hartnäckig und dreist genug ist und einen sicheren Blick dafür entwickelt hat, welche Frau nur darauf wartet, im Sturm genommen zu werden.
So ist wohl auch der Titel zu verstehen: Der englische als Lob der älteren Frauen, weil sie enthemmter, bedenkenloser und enttäuschter sind und unter zunehmendem Zeitdruck stehen, weil ihre Chancen, Beachtung zu finden, unaufhaltsam sinken; der deutsche als die taktische Verbesserung bei Eroberungen, nicht etwa als Verfeinerung emotionalen Liebeserlebens.
So schildert er z.B. auf S. 154 selbstgefällig eine geradezu unverschämte Liebesofferte. ""Ich schenke Ihnen diesen schönen antiken Aschenbecher, wenn Sie meine Gelibete werden", sagte ich mit klarer fester Stimme zu ihr."
Bei diesem "antiken Stück" handelt es sich um einen "Blechaschenbecher mit einem Zigarettenstummel von einem früheren Gast darin. Aber war die Sache nicht sowieso schon entschieden? Ich nahm den Aschebecher, kippte den Inhalt auf den Boden und hielt ihn ihr hin." Nach kurzem Hin und Her geht Boby ohne Umschweife auf das eigentlich beleidigende Angebot ein.
""Einverstanden", antwortete sie. "Aber Sie müssen den Aschenbecher für mich klauen.""

Derselbe Erzähler, der Frauen nicht schnell genug vernaschen kann, mokiert sich über allzu willfährige Frauen : "Manche, die ich ins Bett locken konnte, waren noch bizarrer. Eine zweiunddreißigjährige Bibliothekarin etwa machte knapp eine halbe Stunde, nachdem wir uns auf einer Party kennen gelernt hatten, die Beine für mich breit und sprach eine Stunde später vom Heiraten." (S. 281)

Durch dieses Buch lernen Anfänger, sollten sie neidisch auf einen abgebrühten Routinier in Liebesdingen wie den Ich-Erzähler András blicken, keineswegs die hohe Kunst, Frauen zu verführen, wohl aber, wie sie sich nicht gegenüber Frauen verhalten sollten, wenn Sie nicht in den Ruf von Machos und Triebtätern geraten wollen.

So mag dieser Buch-Zwitter trotz aller Kritik dennoch seinen pädagogischen Zweck erfüllen.

(Diethelm Kaminski; 09/2004)


Stephen Vizinczey "Wie ich lernte, die Frauen zu lieben"
Aus dem Englischen von Carina von Enzenberg
SchirmerGraf Verlag München 2004
308 Seiten, ISBN 3 -86555-008-8
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Über den Autor:
Stephen Vizinczey, geboren 1933, erlitt das Schicksal vieler Ungarn im 20. Jahrhundert: Sein Vater wurde von den Nazis ermordet, sein Onkel von den Kommunisten. 1956 floh Vizinczey nach Montreal. Bei seiner Ankunft in Kanada beherrschte er rund fünfzig Wörter Englisch, heute wird er dafür gepriesen, daß er „den Engländern beibringt, wie man Englisch schreibt" (Anthony Burgess). Vizinczey lebt heute in London und arbeitet derzeit an seinem jüngsten Roman, "Wishes".

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