Claude Lecouteux: "Die Geschichte der Vampire"
Metamorphose eines Mythos
Das
Dunkel löschte mich schweigend aus, |
Der
Autor der vorstehenden Verse war bereits seit mehr als sieben Jahren
tot, als Murnau im Jahre 1922 den Genreklassiker "Nosferatu - Eine
Symphonie des Grauens" mit Max Schreck als Dracula drehte. Doch die
blasshäutigen Untoten mit hypnotischem Blick, spitzen
Eckzähnen und struwwelpeterartigen Fingernägeln, die,
zumeist des Nachts, ihre Opfer überfallen und würgen
oder (weitaus populärer) aus deren Hälsen den ganz
besonderen Saft saugen, haben die Fantasie der Menschen schon seit
Jahrhunderten beflügelt und als archetypische
Projektionsflächen für Todesfurcht/-sehnsucht,
erotische Begierden, Aberglauben und dergleichen mehr fungiert.
Claude
Lecouteux, seines Zeichens Kulturwissenschaftler, Germanist, Professor
an der Sorbonne sowie Autor zahlreicher Bücher über
mythische Vorstellungen, geht dem Phänomen Vampir/Vampirismus
umfassend, im gesellschaftlichen, mentalen und historischen Kontext,
auf den Grund. Er beleuchtet das Entstehen des Vampirmythos, das
Verhältnis der Menschheit zur Endlichkeit der
körperlichen Existenz sowie Jenseitsvorstellungen; wie jemand
zum Vampir wird, wie man sich schützt, die diversen Unterarten
der faszinierenden Blutsauger, ihre Einbettung in unterschiedlichste
Volkskulturen; wie man einen Untoten beseitigt, um "durch
Rückgriff auf Zeugnisse aus erster Hand eine Entmystifizierung
zu leisten, zum Gegenstand einer altüberlieferten Vorstellung
vorzudringen und den mentalen Kontext aufzudecken, in dem die Figur des
Vampirs verankert ist, denn diese Verankerung in der Realität
- auch wenn sie nicht die unsere ist und wir die
größte Mühe haben, in die Psyche und
Denkweise unserer Vorfahren einzudringen - ist in unseren Augen von
größter Bedeutung, schon allein wegen ihrer
anthropologischen Dimension."
Lecouteux greift dabei auf Abhandlungen aus dem 18. Jahrhundert, lokale
Chroniken, Zeitungen und Ereignisberichte zurück, wobei er den
sogenannten "Legenden"
ein ernstzunehmendes Quantum an Wahrheitsgehalt zubilligt und ihre
Bedeutung für die Gesellschaft erläutert. Ein
Unterfangen, das auf risikolose Weise Informationen vermitteln kann -
ist doch kaum jemand tatsächlich imstande oder gewillt,
leibhaftig ein "Interview mit einem Vampir" zu führen ...
Vampire verkörpern das außerhalb der Naturgesetze
Stehende, Geheimnisumwitterte, das Ausgestoßene, Verdammte.
Seit Entstehung der literarischen Gattung Gothic Novel
Ende des 18. Jahrhunderts sind die in der Literatur bevorzugten
Schauplätze ihres Treibens verfallene Anwesen und schaurige Friedhöfe.
Lecouteux folgt bei seiner Untersuchung den Blutspuren der Vampire
durch die Literatur ins 19. Jahrhundert, zu Bram Stokers Dracula
und zitiert Schlüsselstellen, die beträchtlichen
Anteil am Wesen des modernen Mythos haben. Gewürzt wird
selbstverständlich mit reichlich Knoblauch und dem Bericht von
einem "Unfall" mit diesem Wundermittel:
1973 erstickte ein in London lebender Pole, weil er - aus Angst vor
Vampiren - in der Nacht eine Knoblauchzehe im Mund behalten hatte.
Weitere Stationen sind u. a. Alexej Tolstois Die Familie
Vourdalak sowie E. T.
A. Hoffmanns als Die Vampirin bekannte
Novelle im Kapitel Vom Vampir zum Vamp.
Ein Vampir gibt das Diesseits nicht auf, löst die Fesseln
nicht, die ihn an diese Welt ketten. Lecouteux widmet daher den
Betrachtungen der kulturgeschichtlichen Bedeutung des guten wie des
schlechten Todes, des reinen wie des unreinen Toten eigene Kapitel, die
zeigen, wie wichtig Rituale im Umfeld des Sterbens für die
Menschen sind, um die Gemeinschaft der Lebenden vor
rachsüchtigen Verstorbenen zu schützen.
Besonders erwähnenswert ist das Kapitel Die Namen
und regionalen Formen der Vampire, die da sind: Hexen und
Werwölfe,
der Vârkolac, der Grobnik, der Opyr, der Vurdalak, der
Broukolakos, Nosferat
und Murony, die Strigoi, der Moroiu, der Stafia und
zuguterletzt der Vampir. Wie Lecouteux schreibt, ist die linguistische
Frage wichtig, denn "ein Wort legt im allgemeinen Zeugnis
von den tiefsten semantischen Schichten ab und ist der
Schlüssel zum Öffnen bisweilen unerwarteter
Perspektiven".
Die weiteren Abschnitte des Buches behandeln folgende Themenkreise: Wie
man sich vor Vampiren schützt; verdächtige Geburten;
Maßnahmen bei Tod und Beerdigung; nach der Bestattung; Schutz
des Hauses; wie man einen Vampir erkennt und zu Tode bringt; wenn sich
Todesfälle häufen; die Aufspürung des
Vampirs; die Tötung des Vampirs; wie erholt man sich vom
Vampirbiss; das Aufkommen des Vampirismus; die Ansichten der Theologen;
die Auffassung der Mediziner; die Ignorierung der Tatsachen.
Man erfährt, was es mit der Versprengung von Weihwasser auf
sich hat; warum Leichname mitunter in Bauchlage bestattet werden und
man wissen sollte, dass mitteleuropäische Vampire nicht weiter
als bis drei zählen können; findet den
frühesten Bericht des Wilhelm von Newburgh (1136 - 1198)
über die Tötung eines Vampirs; liest, dass das
verstärkte Auftauchen des Vampirismus genau mit dem Ende der
Hexenverfolgung
in Europa Ende des 16. Jahrhunderts und verheerenden Epidemien
zusammenfällt,
Weil der moderne Mythos Rumänien als Heimatland der Vampire
festlegt, widmet der Autor diesem osteuropäischen Staat und
dessen Volksüberlieferung breiten Raum. Im Anhang finden sich
Berichte über Vampire und Vampirismus.
(kre)
Claude
Lecouteux: "Die Geschichte der Vampire. Metamorphose eines
Mythos"
(Originaltitel "Histoire des Vampires. Autopsie d'un mythe")
Aus dem Französischen von Harald Ehrhardt.
Patmos, 2008. 224 Seiten.
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Noch
ein Buchtipp:
Hagen Schaub: "Blutspuren. Die Geschichte der Vampire. Auf den Spuren
eines
Mythos"
Zahllos sind die Exhumierungen, die man auf den Friedhöfen
Mittel- und
Osteuropas vornahm, um Vampire aufzuspüren. Und nicht selten
fanden sich gut
erhaltene Leichen mit "rosiger Haut", langen Haaren und
Fingernägeln
sowie Blutspuren um den Mund. Waren es tatsächlich Untote?
Ihre Geschichten
werden oft überliefert, sind immer die gleichen und haben
wenig mit den
Klischees aus Romanen und Filmen zu tun: Vampire bissen,
würgten und
drangsalierten ihre Opfer bis
zum Tod.
Aber sie verfügten dabei weder über
spitze Eckzähne noch fürchteten sie sich vor
Knoblauch.
Sie trugen keine
schwarzen Anzüge und waren nie adeliger Abstammung. Sie waren
brutale Untote,
die man nur mit außergewöhnlichen
Maßnahmen vernichten konnte.
"Blutspuren" zeichnet die Geschichte der Vampire auf der Basis neuer
Forschungsergebnisse nach, räumt dabei mit zahllosen
Irrtümern und Fehlern auf
und zeigt anhand von aktenkundigen Fällen, zahlreichen
akademischen
Abhandlungen und archäologischen Funden, warum die Menschen
glaubten, es
wirklich mit einem Wiederkehrer zu tun zu haben. Totenbräuche,
Aberglaube und
Notzeiten waren der Nährboden für den Vampir, der vor
langer Zeit eine zweite
Karriere als Romanfigur startete und damit zur wohl erfolgreichsten
Horrorfigur
aller Zeiten wurde. (Leykam Buchverlag)
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