Matthias Viertel (Hrsg.): "Grundbegriffe der Theologie"
Wenn der Deutsche Taschenbuch Verlag (dtv) das zu besprechende Buch in
einem Verlagstext als Nachschlagwerk zu Grundbegriffen und
Erkenntnisstand der gegenwärtigen Theologie bewirbt, so ist das
einerseits sicherlich ganz und gar zutreffend, umschreibt jedoch
andererseits noch lange nicht alles, was dem Leser damit insgesamt
geboten ist. Es wäre diesem überaus reichhaltigen Schriftgut nämlich
keinesfalls schon hinreichend Genüge getan, es für allfällige
Nachschauen einfach nur in einem Bücherregal abzulegen, doch ansonsten
es keines weiteren Blickes mehr zu würdigen. Würdig ist dieses Buch
vielmehr einer richtigen Lektüre, welcher sich der interessierte Leser
hingibt, zumal sich zwischen den Seiten dem geneigten Wortbetrachter
durchaus anständige Literatur auftut, die es verdient nicht nur bei
Bedarf nachgelesen, sondern eigens durch- und ausgelesen zu werden.
Was nun die Ordnung des Geschriebenen betrifft, findet sich
nichts wirklich Neues, sondern vielmehr ebenso Altbekanntes wie oft
Bewährtes - der gute Standard eben. Nach alphabetischer Aufgliederung
gereiht präsentiert sich zu einer selektiven, deswegen dreist
unvollständigen Auswahl von Fachbegriffen je ein kurzer -
nichtsdestotrotz mitunter mehrere Seiten füllender - Aufsatz; in
Abfolge einer nach dem anderen, so banal wie es eben der Brauch ist und
einer jeden allgemeinen Erwartung zur Gefälligkeit entspricht. Doch
fürwahr ist es dann nicht eine bloß gewissenhafte Auflistung einer
möglichst füllig lexikalischen Kurzinformation, sondern, darüber
hinausgehend, eine gleichermaßen sich maßvoll vertiefende als auch
unterschwellig reflektierende, in der Ausführung ergiebige Terminologie
theologischen Wissens, wobei, jetzt schon zur Bewertung des Inhaltes
fortschreitend, auffallend ist, wie einzigartig selbstkritisch, also
von intellektueller Reife geprägt, der abendländisch-christliche
Selbstbegriff mittlerweile geworden ist.
Von anderen Spielarten spirituellen Trachtens und religiösen
Seins - wo immer noch strenge Unduldsamkeit jede Lauterkeit überwiegt -
würde man sich oftmals eben solches zu vernehmen wünschen, dieses
wahrlich sachliche Gedankengut nämlich, welches der Herausgeber
Matthias Viertel, immerhin selbst ein bedeutsamer Pastor in deutschen
Landen, als Leiter eines namhaften Autorenkollektivs von religiösen
Denkern seinem lesenden Publikum darbringt, denn wert, wichtig, ergo
heilig, ist ihm (bzw. den Autoren) zu allererst ein Begriff
wissenschaftlicher Gediegenheit und dann erst der religiöse
Wahrheitsanspruch selbst. Man ist geneigt zu sagen: Die Frucht der
protestantischen Aufklärung wird auf ein Neuerliches manifest.
Wie das nun im Detail zu verstehen ist, zeigt in etwa ein
kurzer Blick auf die sich über mehr als zwei Seiten erstreckenden
Ausführungen zum "Neuen Testament", wobei seitens des Autors, Dr. Bernd
Kollmann [BK], nicht verhohlen wird, dass es sich bei den vier
Evangelisten um Schriftstellerpersönlichkeiten handelte, die -
wortwörtlich - eigene theologische Interessen verfolgten und (diese) in
ihre Darstellungen der Geschichte Jesu einfließen ließen.
Und beinahe ketzerisch, obgleich doch nur sachlich gemeint, klingt es
des Weiteren an anderer Stelle, wo konstatiert wird, dass nicht
hinsichtlich aller Briefe des
Apostels Paulus
dessen Urheberschaft angenommen werden dürfe, sondern diese lediglich
zur Leihung dessen überragender Autorität in seinem Namen gezeichnet
worden seien, doch tatsächlich nicht seiner Feder, sondern vielmehr dem
- im Glauben freilich untertänigsten - Denken seiner Gefolgschaft
entstammten, und man schlussendlich bezüglich des (einstens Paulus
zugeschriebenen) Hebräerbriefs überhaupt nicht um den Verfasser wisse.
Wobei es sich hierbei nun wirklich nicht um allzu neue
Erkenntnisse handelt, dafür aber um brisante, weil irgendwie subversive
Infragestellungen, die anderswo als todeswürdiger Frevel am
Allerheiligsten geahndet werden würden. Im Lichte kritischer Textkritik
fragwürdig muss nämlich also jenes Wort Gottes erscheinen, das wir
nunmehr als "Neues Testament" bezeichnen. Und wir sehen ausgerechnet
christliche Theologen bei der Grundsteinlegung zur Thematisierung
dieser Fragwürdigkeiten am Werk - was die eigentliche Sensation ist.
Nicht genug damit! In der Rationalisierung christlicher
Glaubenszumutungen fortfahrend, sei zum Stichwort "Schöpfung"
verlautbart, dass der Schöpfungsbericht des Alten Testaments auf den so
benannten neubabylonischen Schöpfungsepos Enuma elisch ("Als droben") zurückverweist, welcher erst in nachexilischer Zeit, aus sinnstiftender Erwägung, zu einer creatio ex nihilo ("Schöpfung aus dem Nichts") weiterentwickelt wurde.
Weiterentwickelt also - was bleibt? Stellt diese historisierende
Sichtweise denn nicht die Schöpfungsgeschichte als Anbeginn des
göttlichen Heilplans insgesamt in Frage? Womit alles steht und fällt.
Werden hiermit nicht Glaubenswahrheiten gegen geschichtliche Wahrheiten
ausgetauscht? Der Nihilismusvorwurf könnte einem auf der Zunge liegen.
Und geben neuerdings auch schon Theologen zu, dass
Charles Darwin mit
seiner Evolutionstheorie im weitesten Sinne richtig lag und die Bibel
nichts als eine Sammlung netter Geschichten ist? Wie wenig bleibt
angesichts dieser Manier letztlich von einem christlichen
Glaubensbekenntnis traditionellen Verständnisses bestehen, welches den
Gläubigen noch zu wortwörtlicher Auslegung der Vorstellung eines
gütigen, allmächtigen und allwissenden Schöpfergottes anhielt: "Ich
glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde."
Immerhin ist somit kulturhistorisch erklärt, was doch einem gläubigen Bedürfnis gemäß einzig das Wort Gottes sein sollte. Marduk
erschuf demnach, gemäß altorientalischer Erzählweise, den Menschen, auf
dass er die Erde bebauen und dadurch den Göttern regelmäßige Mahlzeiten
(im Sinne von Opfergaben) zur Verfügung stelle; die Götter müssen so
nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt Sorge tragen. Eine
plausible Vorstellung, die den Autoren des Alten Testaments dann wohl
aber doch zu profan schien. Sie schrieben den Schöpfungsepos um,
entwickelten ihn weiter. So ist es herauszulesen.
Sind die Schöpfungsmythen
demnach allesamt nichts als Mythologie, von Menschen geschaffenes
Kulturgut? Unser Buch lässt dies vermuten. So wie letztlich die Idee
des einen und einzigen Gottes selbst dann wohl nur ein Überweltmythos
ist, welcher genealogisch auf eine während des babylonischen Exils der
Israeliten stattgefundene Auseinandersetzung mit den mesopotamischen
Gestirnsgottheiten zurückführbar ist, die - man ordnete den eigenen
Gott den vielen Gottheiten der Anderen über - von erheblicher
Bedeutsamkeit für die ideelle Herausbildung von JHWH, dem Gott Israels,
dem einzigen Gott, gewesen sein soll. Womit sich neuerlich jene für
unsere Schrift bezeichnende historische Betrachtungsweise darlegt, die
eben weniger überweltliche Mystik denn menschliche Wissenschaft sein
möchte, und dem Leser sohin mehr irdische denn himmlische Wahrheiten
aufzukredenzen gewillt ist. Solcherart sich also eine Theologie
präsentiert, deren wesentliches Anliegen ein Gestus der Versöhnlichkeit
gegenüber dem aufgeklärten Geist ist und nicht ein energisches
Bestreben nach Distanz gegenüber Auffassungen, die nach älterer Lesart
gegenüber einem vorausgesetzten Frömmigkeitsideal als abtrünnig
erachtet worden wären.
Benötigt es noch weiterer Worte? Der zur Mündigkeit gelangte, obgleich
immer noch (auf eigentümliche Weise) gläubige christliche Freigeist hat
in die christliche Theologie (längst schon) Einzug gehalten und
offeriert nunmehr dem Sinnsuchenden, nicht zuletzt anhand
gegenständlichen Buches, unbeschwerte Einsichten in eine mittlerweile
zur Emanzipation geleitende Welt des Religiösen. Wofür es keineswegs
unbedingt spitzzüngiger, wie gar ob etwaiger Untergriffigkeiten
verletzender Streitschriften bedarf; es tut ebenso die besondere
Abfassung einer
Textsammlung zu Grundbegriffen der Theologie - wie es gegenständlich der Fall ist.
(Harald Schulz; 12/2005)
Matthias Viertel (Hrsg.): "Grundbegriffe der Theologie"
dtv, 2005. 508 Seiten.
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