Antal Szerb: "Die Pendragon-Legende"
Fantastische Erzählung aus der Feder eines Mannes, der Urlaub in der Bibliothek machte
Aus dem Reich der Legende zeigen
einige Wörter eine so starke Wirkung auf die Realität, dass sie sofort Assoziationen
wecken. Pendragon ist eines davon. Einmal gehört, ruft es aus dem Gedächtnis
ganz unwillkürlich Erinnerungen ab; an Gelesenes und Gehörtes über Uther, den
"Kopf des Drachen", den obersten Heerführer der britannischen Stämme und Vater
König Arthurs. Antal Szerb (1901-1945), seines Zeichens ungarischer Literaturprofessor,
scheint bewusst auf diese kollektive Assoziation gesetzt zu haben. Obwohl seine
Pendragon-Geschichte mit jener des keltischen Fürsten inhaltlich nichts zu tun
hat, ist sie aufgrund der mythenträchtigen Stimmung in
Wales angesiedelt, jenem
Teil Großbritanniens, in dem Legenden alle Zeitalter unbeschadet zu überdauern
scheinen.
Als Erzähler im Roman "Die Pendragon-Legende" fungiert der
32-jährige Ungar János Bátky, Doktor der Philosophie, welcher England zur
Wahlheimat erkoren hat - der "Noblesse der Landschaft" wegen.
Professionelle Eigenbeschreibung: "Beruflich beschäftige ich mich
damit, dass ich älteren Engländern, die von der fixen Idee geplagt sind, einer
geistigen Tätigkeit nachgehen zu müssen, als Sekretär zur Verfügung
stehe." Bei einer Soiree von Lady Malmsbury-Croft (nicht Lara, das ist
eine Andere) lernt Bátky den distinguierten 18. Earl von Gwynedd kennen. Der
hochgewachsene, geheimnisvolle Aristokrat aus der Sippe der Pendragons findet
Gefallen an der geistigen Wendigkeit des belesenen Ungarn und lädt ihn auf sein
Schloss nach Wales ein. Beide Herren verbindet die Leidenschaft für die
wissenschaftliche Erforschung alter alchimistischer Schriften. Llanvygan Castle,
seit 1708 Stammsitz der Pendragons, ist eines der schönsten und exklusivsten
Schlösser von ganz Wales - mit einer Bibliothek voller unbezahlbarer Raritäten.
Kein Wunder bei einer Familie, deren Vorfahren an der Seite von Englands Königen
in die Schlacht zogen oder sich als Truchsesse verdient gemacht hatten. Es sind
aber nicht die Ritter und Höflinge, die den ungarischen Gelehrten faszinieren,
nein, es ist der sechste Earl, Asaph Pendragon.
Asaph war anders, er schrieb keine Sonette, stieg keinen Mätressen hinterher
und war auch sonst wenig an irdischen Freuden interessiert. Sein Trachten galt
dem Magnum Arcanum, dem Großen Geheimnis, dem Stein der Weisen. Er bereiste
den Süden Deutschlands und schloss sich der okkulten Bruderschaft der Rosenkreuzer
an. "Als er nach Wales zurückkehrte, verwandelte sich die Burg Pendragon
in eine Hexerwerkstatt. Karossen mit zugehängten Fenstern brachten schweigsame
Besucher von weit her." Die Feste der Pendragons wurde ab dann auch zur
zweiten Heimat von Robert Fludd, "dem größten Schüler des wundertätigen
Paracelsus".
Fludd, nicht nur begnadeter
Kabbalist, widmete
sich mit Inbrunst dem Mysterium Magnum, der Umwandlung "unedler" Stoffe
in Gold, wie auch der Verlängerung des Lebens.
Den geheimen Wissenschaften zeigt sich auch der 18. Earl zugetan. Oft verschwindet
der Edelmann für Tage in seinem Labor, wo er Versuche an mexikanischen Amphibien
anstellt. Diese Axolotl lässt er mittels des Extrakts der Ochsenschilddrüse
auf das Zehnfache ihrer natürlichen Größe anwachsen. War Asaph ein früher Doktor
Faust, so ist sein Nachfahre sozusagen ein Dr. Frankenstein der Lurche. Antal
Szerb liefert Stück für Stück Ingredienzien einer klassischen gothic novel
im Stil von E.A. Poe oder Gustav Meyrink ("Der
Golem"). In seiner Schreibküche brodelt es wie im Alchimistenkeller.
Das ist aber nur die eine Ebene des Romans.
Die zweite macht eine Kriminalgeschichte aus, angelegt um Eileen St. Claire, die
ehemalige Verlobte des Earls. Ihrer erotischen Gravitation hat der zu seinem
Dienstherrn ansonst überloyale János Bátky keine Fliehkräfte entgegen zu
setzen. Eileen ist "hochgewachsen, rotblond, sehr schön", mehr
noch: "Die Nähe ihres Körpers hätte selbst bei einer Mumie liebevolle
Gefühle geweckt." Außerdem verfügt die femme fatale über
einen messerscharfen Verstand und einen betuchten Gatten, den nicht ganz
freiwillig das Zeitliche segnete. Des Verstorbenen Vermächtnis zieht alsbald
allerlei Kriminelle an.
Man merkt, dass Antal Szerb seinen
Sir
Conan Doyle sorgsam gelesen hatte. Denn nicht nur im Körperwuchs und Intellekt
ähnelt der Earl von Gwynedd einem altbekannten Detektiv aus der Baker Street
221b, auch in seiner zyklisch wiederkehrenden psychischen Depression werden
Erinnerungen an Sherlock Holmes wach. War für Sherlock die deutsche Spionin
Irene Adler einzige Liebe seines Lebens, ist es für den 18. Pendragon eben Eileen
St. Claire. Von der schicksalsschwangeren amour fou ausgehend orakelt
Bátky: "Die Parzen spinnen schon die Fäden". Zwei andere Frauenfiguren
geben der "Pendragon-Legende" zusätzlich ein Maß an unschuldigem Flair
bzw. subtilen Witz: Cynthia Pendragon, Nichte des Earls, überzeugt als ätherisches
Burgfräulein; Lene Kretzsch hingegen als athletische Preußin mit Hang zur Neuen
Sachlichkeit und Promiskuität.
Je weniger die Seiten des Romans werden, desto größer wird die Zahl der Opfer.
Die Nemesis bricht in Gestalt eines nächtlichen Geisterreiters herein, der tagsüber
in einer Krypta mit sieben Ecken liegt und die von einem undefinierbaren Leuchtkörper
erhellt wird. Seit 300 Jahren spendet diese unterirdische Sonne Licht. Was hat
dieser beinahe apokalyptische Reiter mit dem Wahlspruch der Pendragons "Ich
glaube an die Auferstehung des Fleisches" zu tun, was mit der mysteriösen
Gravur "Post CXX Annos Patebo"? Die parzengewobenen Fäden aus Horror
und Krimi kulminieren letztendlich in satanischen Ritualen in einem
dimensionsfremden Würfel, materialisiert in der entlegensten Einöde des
walisischen Hügellandes. Klimax und Abspann.
Doch nicht immer enden Romane mit dem Schlusspunkt der Erzählung. Oft gibt ein
Detail im Nachwort Zusätzliches über das zuvor Gelesene preis. So auch hier.
Wenn Antal Szerb hinsichtlich seiner Jugend anmerkt: "Es war überall
gut, doch am Besten war es
in der Bibliothek. Vielleicht weil ich meistens nicht
zum Arbeiten oder Studieren hinging, sondern um Urlaub zu machen ...",
wird eines klar: János Bátky ist des Autors alter ego.
Ehe nun der Rezensent mit dem nächsten Buch Urlaub macht, muss er einen drückenden
Verdacht loswerden. Szerb erwähnt im Roman zwei Namen, die sofort ins Auge
stechen: Cheshire-Katze (eine Figur aus "Alice im Wunderland")
bzw. Hispano-Suiza (eine Oldtimermarke). Ausgefallen, aber nicht weiter
aufregend. Das wird es erst dann, wenn der geneigte Leser beide
"In
einem anderen Buch"
von Jasper Fforde wiederfindet. Nebenbei: Der Mann mit dem Doppel-F ist
Waliser ...
(lostlobo; 04/2005)
Antal Szerb: "Die Pendragon-Legende"
(Originaltitel "A Pendragon-legenda")
Mit einem Nachwort von György Poszler.
Übersetzt von Susanna Großmann-Vendrey.
dtv, 2004. 320 Seiten.
ISBN 3-423-24425-9.
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