Wilfried Steiner: "Der Weg nach Xanadu"
"Kommt ein Bild im Traum immer wieder, muss man ihm auf den Grund 
gehen. Ist es ein Mensch, muss man ihn suchen und mit ihm sprechen. Ist es ein 
Gegenstand, muss man ihn so lange betrachten, bis man sich seiner wieder 
erinnert. Ist es das Innere eines Raumes, muss man ihn suchen und in ihn 
hineingehen." (Aus dem Roman)
Inspiration: Akt oder Pakt?
Manch eines Künstlers 
Schaffenshochblüte ist von auffällig genau eingrenzbarer Dauer, im Fall von 
Samuel Taylor 
Coleridge (1772-1834) währte jene Phase, in welcher die, (dem Urteil der 
Nachwelt zufolge), wahrhaft herausragenden Gedichte entstanden, ein Jahr. 
Zwischen Oktober 1797 und September 1798 schrieb Coleridge  "The Rime of the 
Ancient Mariner",  "Christabel" - und das ebenso Fragment gebliebene, der Legende 
zufolge zur Gänze einem Traum zu verdankende Gedicht in visionärer Sprache,
  "Kubla 
Khan".
Wilfried Steiners Ich-Erzähler, Alexander Markowitsch, ist 
Literaturprofessor, genauer Experte für Englische Romantik, mittleren Alters, 
nach westeuropäischem Muster durchschnittlich frustriert, und - da zudem kein 
Kostverächter - überaus wohlbeleibt. Der mit einer sympathischen Portion 
Selbstironie und klarer Beobachtungsgabe ausgestattete Junggeselle folgt in "Der 
Weg nach Xanadu", Steiners erstem Roman, nicht ganz unfreiwillig Coleridges 
Spuren in England und macht sich auf die Suche nach den Ursprüngen jener 
Geheimnisse, die den Menschen Coleridge bis heute umgeben. Und, soviel sei 
verraten, was Markowitsch findet, verwischt manche Grenze und öffnet verborgene 
Türen.
Der Roman ist aus zwei Hauptabschnitten, ("Ruhestörung" und  
"Recherche" betitelt), innerhalb dieser aus überschaubaren Kurzkapiteln, 
zusammengefügt und stilistisch derart beschaffen, dass die zeitgenössischen 
Kulissen räumlicher wie zeitlicher Ausdehnung zunehmend verblassen und an ihre 
Stelle die Welt Coleridges tritt. So man gewillt ist sich dies bildlich 
vorzustellen, könnte man den Ich-Erzähler anfangs als knochentrockenes Tuch 
bezeichnen, welches allmählich in einer magischen Umgebung schillerndes Leben 
aufsaugt, bis es vollgesogen ist; ein Vorgang, der mitunter schmerzhaft sein 
kann.
Wie bereits erwähnt, hat sich Alexander Markowitsch in seiner 
scheinbar gemütlich-monotonen Lebenssituation eingerichtet - und das gar nicht 
einmal schlecht - oberflächlich betrachtet zumindest: Neben seiner Tätigkeit an 
der Universität hält der gelehrte Mann nicht nur im Ausland Vorträge zum Thema 
Englische Romantik, sondern verfasst der passionierte Raucher, Speisenkenner und 
Weinliebhaber auch Restaurantkritiken für ein Magazin. Seine eigene poetische 
Schaffenszeit liegt indes lange zurück, er bezeichnet sich als  
"Ex-Möchtegern-Dichter", und er hat Samuel Taylor Coleridge, seine alte 
Leidenschaft, verdrängt, wenngleich keineswegs vergessen, eher regelrecht 
gemieden. Im Alter von 19 Jahren war Markowitsch schwer beeindruckt von der 
Sprachkraft und Bildwucht des  "Rime of the Ancient Mariner", zehn Jahre später 
faszinierte ihn die Entstehungsgeschichte von  "Kubla Khan". (Coleridge hatte, so 
wird berichtet, im Schlaf, wohl unter Opiumeinwirkung, das Gedicht Wort für Wort 
geträumt, war jedoch nach Erwachen beim Notieren gestört worden, und so blieb es 
beim Fragment ...)
Wie das Leben so spielt: Was allzu lange Zeit 
beiseite geschoben wird, drängt sich plötzlich und unerwartet in die Gegenwart. 
Im Fall von Alexander Markowitsch klopft das Schicksal in Gestalt eines 
Studenten an des Professors Pforte.
Martin, so heißt der junge Mann, 
möchte bei Markowitsch seine Abschlussarbeit schreiben, und zwar über  
"Es-ti-si"; Samuel Taylor Coleridge. Vorerst zeigt sich Alexander Markowitsch 
ablehnend, doch als Martins reizvolle Begleiterin Anna den Raum betritt, ändert 
sich seine Einstellung grundlegend: Der schönen jungen Frau wegen nimmt er 
Martin und dessen Anliegen sozusagen "mit in Kauf"; um den guten Professor ist 
es fortan geschehen: Er ist hoffnungslos verliebt.
Ab diesem Moment beginnt 
sich für Markowitsch alles zu verändern - unsichtbare Mächte greifen nach 
ihm.
Die sternenkundige, grünäugige, (der Farbe Grün kommt übrigens 
einige Bedeutung zu), Anna verwirrt Markowitsch - sie weiß erstaunlich viel über 
ihn und bewegt sich mit größter Selbstverständlichkeit auf seinem Terrain, 
wohingegen er sich verunsichert und aufgewühlt fühlt und langsam aber sicher 
seinem bisherigen Dasein adieu sagt, denn er hat erkannt:  "Das Leben war 
woanders."
Doch wer ist diese rätselhafte Frau, die Markowitsch eines Tages am 
Telefon mitteilt:  "Warten Sie noch. Es ist noch nicht soweit. Noch nicht. Kein 
Spiel." - und daraufhin auflegt? Des Rätsels Lösung ahnt man gegen Ende des 
Romans, und zuletzt wird Markowitsch, (und somit auch dem Leser), die Wahrheit 
über die Quelle der Inspiration eröffnet.
Alexander Markowitsch beginnt 
anders als bisher zu träumen ("die wirklichen Träume"), manchmal erbarmungslos 
intensiv; und das soll nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Coleridge bleiben ...
Die Konstante in den Träumen ist jeweils ein bestimmtes Zimmer mit 
trapezförmigem Grundriss, wie sich später herausstellt, jener Raum, in dem einst 
Coleridge seine berühmten Verse zu Papier gebracht hat!
Schließlich, die 
Intensität der Träume hat mittlerweile zuvor ungeahnte Ausmaße erreicht, bricht 
Markowitsch, einer Anregung Annas folgend, mit Sack und Pack kurzerhand nach 
England auf, das bewusste Zimmer zu suchen. In ihm lodert weit mehr als nur der 
wohlbekannte Dauerbrenner  "Der Weg ist das Ziel". Der Leser ahnt schon, wohin es 
über kurz oder lang zwingend führen muss, dass der Herr Professor ausgerechnet 
eine Vorliebe für Mohnstrudel an den 
Tag legt! (Eines von vielen Anzeichen, dass Markowitsch auserwählt ist, 
Coleridge zu folgen, wenngleich auf seine eigene Art und Weise.)
Alexander 
Markowitsch klappert also sämtliche heute noch existierenden seinerzeitigen 
Unterkünfte Coleridges ab, findet das Zimmer, trifft abermals auf Anna und macht 
bei alldem einige erstaunliche Entdeckungen, über die jedoch an dieser Stelle 
der Mantel des Schweigens gebreitet sei.
"Der Weg nach Xanadu" ist ein 
tiefgründiger Titel für ein ebensolches Buch, denn physisch auf der Suche nach 
einem klaren Ziel zurückgelegte Wegstrecken finden ihre Entsprechungen in 
spirituellen Erfahrungen, und der Ankunft auf den unterschiedlichen - und doch 
deckungsgleichen - Ebenen gehen gleichermaßen intensive wie 
bewusstseinsverändernde Geschehnisse voran.
  Steiner versteht es virtuos, verschiedene Ereignisebenen ineinander zu verschränken. 
  Er liefert interessante Ausführungen zu den bekanntesten  Werken von Samuel 
  Taylor Coleridge, beleuchtet deren Entstehungsgeschichten ebenso wie die wechselvolle 
  Beziehung zwischen William Wordsworth und Coleridge, und natürlich die Biografie 
  des Dichters (Stichworte: heftige Gemütswelt, Alpträume, Schwärmerei für Sara 
  Hutchinson, Opiumsucht, Schuldgefühle). An einigen Stellen überrascht Steiner 
  mit feinfühlig ausgewählten, sich harmonisch einfügenden Texteinschüben aus 
  Werken anderer Schriftsteller (bspw. Antonin Artaud, W. G. Sebald, 
Jorge 
  Luis Borges).
  
Ist "Der Weg nach Xanadu" einerseits vergnügliche Lektüre, wenn 
Rivalitäten im Universitätsgefüge, touristische Erfahrungen im Umgang mit nahezu 
grimmig-geschäftstüchtigen, überwiegend raucherfeindlichen Engländern, 
Minderwertigkeitsgefühle und Esslust eines Übergewichtigen, freundschaftliche 
Debatten unter gelehrten Männern u. dgl. zur Sprache kommen, finden sich darin 
andererseits anregende Überlegungen zur Illusion vom eigenständigen Ich, zur 
Macht der Intuition, der Kraft des Träumens, der Verbundenheit mit früheren 
Zeiten, zur alles durchdringenden Naturmagie, für welche ja die Romantiker 
bekanntlich in besonderem Maß empfänglich waren.
Einige Literaturkritiker prallten insbesondere vom  "fantastischen" Ende des Romans ab, andere
stießen sich 
an gewissen Passagen, mancherorts recht mutwillig als  
"kulinarisch-anglizistischer Reisebericht" verunglimpft, wieder andere bemängeln 
gar die  "Theorielastigkeit" - womöglich in (absichtlicher?) Verkennung dessen, 
wie Literatur über Literatur (auch) beschaffen sein kann, und unter 
bedauerlicher Selbstbeschneidung der möglichen Bandbreite menschlicher 
Wahrnehmung.
Mag sein, dass der ein wenig irreführende Klappentext, der den 
Roman als  "Romantikthriller, Kriminal- und Liebesroman" bezeichnet, bemüht, das 
Geschriebene ordentlich etikettiert in einer der althergebrachten Schubladen 
unterzubringen, das eine oder andere Vor- bzw. Fehlurteil, basierend auf 
enttäuschten Erwartungen, mitverursacht hat.
Nicht unerwähnt sollen auch jene 
Stimmen bleiben, denen zufolge die Figur Anna gar mephistophelische 
Charakterzüge aufweist - wozu m. E. in aller Deutlichkeit anzumerken ist, dass 
schon allein hinsichtlich der verwendeten Symbolik gravierende Unterschiede 
bestehen - ein Schluss also, den man ziehen kann, jedoch nicht muss, und der 
Vergleich somit, um es überspitzt zu formulieren, mit einem Bocksfuß 
umherhinkt.
Wilfried Steiner liefert jedenfalls eine bemerkenswerte Erklärung 
für das sogenannte  "magische Jahr" des Samuel Taylor Coleridge.
Wären 
literaturgeschichtliche Lehrbücher auch nur annähernd so zugänglicher Machart, 
und würden tatsächliche Begebenheiten als Grundlagen für Romane seitens der 
Autoren stets derart liebevoll recherchiert, (Wilfried Steiner legt Wert auf die 
Feststellung, dass seine Ausführungen, soweit sie Coleridge betreffen, samt und 
sonders lückenlos belegbar sind), und kunstvoll präsentiert, nämlich mit gleich 
großer Sorgfalt, was Thema und Sprache anbelangt, wie es in "Der Weg nach 
Xanadu" der Fall ist, wir lebten in einer hellsichtigeren Welt.
(kre)
Wilfried Steiner: "Der Weg nach Xanadu"
Suhrkamp, 2005.
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Wilfried Steiner, geboren 1960 in Linz, 
  studierte Germanistik, Anglistik und Amerikanistik in Salzburg. 1990 erfolgte seine Promotion zum Dr. phil.
Weitere Bücher des Autors:
"Der Trost der Rache" 
zur Rezension ...
"Bacons Finsternis"
Bei einer Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien sieht Arthur Valentin,
der seit Monaten erfolglos über die Trennung von seiner Frau Isabel
hinwegzukommen versucht, erstmals Werke von Francis Bacon. Die Darstellung von
Schmerz und Leidenschaft im Werk des Malers fasziniert ihn. In der "Tate Gallery"
in London entdeckt er zufällig seine Exfrau in Begleitung seines Widersachers
und kommt dabei einem geplanten Kunstraub in der Speicherstadt in Hamburg auf
die Spur ...
Ein Liebes-, Kunst- und Spannungsroman über kriminelle Leidenschaften -
blendend erzählt, intelligent und überaus unterhaltsam. (Deuticke)
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"Die Anatomie der Träume"
Pinetti ist kein ermittelnder Kommissar in Mordsachen, sondern Dramaturg in 
Wien. Aber auch in dieser Profession ist sein Spürsinn gefragt: In welchem 
Verhältnis stand 
Sigmund Freud zu 
Rainer Maria Rilke und 
Gustav Mahler, wie war 
seine Beziehung zu den französischen Surrealisten? Diese Fragen treiben ihn um, 
weil er beauftragt ist, den Roman "Das Jahrhundert der Seele" der so 
bezaubernden wie geheimnisvollen Irene Augustin für das Wiener Publikumstheater 
zu dramatisieren. Das, was er anfangs für undurchführbar hält, schlägt ihn immer 
mehr in den Bann. Wie auch die faszinierende Frau Augustin - um sie zu 
beeindrucken, stürzt er sich in die Arbeit und taucht dabei immer tiefer ein in 
die künstlerische Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts. 
"Die Anatomie der Träume" beeindruckt in mehrfacher Hinsicht: als wunderbar 
forsch-romantischer Roman über das Verliebtsein, als Wiener Theaterroman und als 
ungemein erhellender Text über die Verstrickungen von Kunst und 
Psychoanalyse, 
das Wien des Fin de Siècle und die wilden Zwanzigerjahre in Paris. (Metroverlag) zur Rezension ...
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Kubla Khan
In Xanadu did Kubla Khan
A stately pleasure-dome decree:
Where Alph, the sacred river, ran
Through caverns measureless to man
Down to a sunless sea.
So twice five miles of fertile ground
With walls and towers were girdled round:
And there were gardens bright with sinuous rills,
Where blossom'd many an incense-bearing tree;
And here were forests ancient as the hills,
Enfolding sunny spots of greenery.
But O, that deep romantic chasm which slanted
Down the green hill athwart a cedarn cover!
A savage place ! as holy and enchanted
As e'er beneath a waning moon was haunted
By woman wailing for her demon-lover!
And from this chasm, with ceaseless turmoil seething,
As if this earth in fast thick pants were breathing,
A mighty fountain momently was forced;
Amid whose swift half-intermitted burst
Huge fragments vaulted like rebounding hail,
Or chaffy grain beneath the thresher's flail:
And 'mid these dancing rocks at once and ever
It flung up momently the sacred river.
Five miles meandering with a mazy motion
Through wood and dale the sacred river ran,
Then reach'd the caverns measureless to man,
And sank in tumult to a lifeless ocean:
And 'mid this tumult Kubla heard from far
Ancestral voices prophesying war!
The shadow of the dome of pleasure
Floated midway on the waves;
Where was heard the mingled measure
From the fountain and the caves.
It was a miracle of rare device,
A sunny pleasure-dome with caves of ice!
A damsel with a dulcimer
In a vision once I saw:
It was an Abyssinian maid,
And on her dulcimer she play'd,
Singing of Mount Abora.
Could I revive within me
Her symphony and song,
To such a deep delight 'twould win me,
That with music loud and long,
I would build that dome in air,
That sunny dome! those caves of ice!
And all who heard should see them there,
And all should cry, Beware! Beware!
His flashing eyes, his floating hair!
Weave a circle round him thrice,
And close your eyes with holy dread,
For he on honey-dew hath fed,
And drunk the milk of 
Paradise.
Anmerkungen:
  Der mongolische Großkhan (1215-1294 n. christl. Zeitr.), ein Enkel 
Dschingis 
  Khans, war als Shizu Kaiser von China. Das Wissen der Europäer über Kublai 
  Khan und Xanadu beruht auf Reiseberichten Marco Polos. Xanadu bezeichnet die 
  sagenumwobene Sommerresidenz von Kublai Khan, für Dichter ein Ort der Sehnsucht 
  von nachgerade erschreckender Schönheit. (Red.)
Buchtipp:
  Marco Polo: "Die Beschreibung der Welt"
Riesige Städte, grandiose Paläste und unermessliche Schätze - was der junge 
  Marco Polo im fernen China vorfand, übertraf seine kühnsten Erwartungen. 1271 
  war er als Siebzehnjähriger aufgebrochen. Sein Ziel: die Residenz des Kublai 
  Khan. Mehr als zwanzig Jahre lang sollte der Venezianer dem Herrscher der Mongolen 
  als Berater dienen. In seinem Auftrag unternahm er ausgedehnte Reisen durch 
  das chinesische Reich. 
Marco Polos Erlebnisse und Abenteuer blieben für die 
  Nachwelt überliefert: im bedeutendsten Reisebericht des Mittelalters.
  
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