Michael Stauffer: "Haus gebaut, Kind
gezeugt, Baum gepflanzt.
So lebt ein Arschloch. Du bist ein
Arschloch."
Eine Unzahl von Büchern
beschäftigt sich mit Liebe, Partnerschaft, Eifersüchteleien, Seitensprüngen,
Seelenverwandtschaft, Ehekrieg und sonstigen Gemeinplätzen,
wie sie zwischen Mann und Frau auftreten können. Das ganze Leben ist ja
insgeheim von diesen Gemeinplätzen durchdrungen. Doch die Bücher vereinfachen
das System beträchtlich. Zwischen zwei Buchdeckeln werden Myriaden von
oberflächlichen Konzeptionen gesponnen, durch die nur selten tieferschürfende
Betrachtungsweisen hindurchschimmern. Ja, der Mensch sehnt sich danach, für voll
genommen zu werden. Und wo mag dies deutlicher werden als in Liebesdingen? Ein
weites Feld kann abgegrast werden.
Tolstoj schrieb
darüber Tausende Seiten. Kafka baute in seine
Romane und Erzählungen unheimliche Schattierungen ein, die Frauenbilder in die
Realität projizierten. Michael Stauffer hat jedoch etwas vollbracht, was derart
ungewöhnlich ist, dass die Frage zu stellen wäre, ob eine derartige Konzeption
überhaupt schon mal literarisch verwertet wurde: Er schildert aus der Sicht
einer Frau jene Gedanken, die dort ansetzen, wo der Mann glaubt, alles getan zu
haben, worum es im Leben geht. Und er tut dies auf eine Weise, die zu denken
gibt.
Was ist noch zu machen, wenn die eigentlichen Lebenskonzeptionen
"erfüllt" wurden?
Ganz lapidar geschrieben: Ein oder mehrere Kindchen sind
gezeugt, ein Häuschen ist gebaut, ein oder mehrere Wägelchen stehen in der
Garage, ein sicherer, lukrativer Job ist an Land gezogen, und ein Bäumchen ist
gepflanzt. Es ist nicht dieses bekannte Sprichwort, durch das die Magie des zu
besprechenden Büchleins beschrieben sein mag, sondern der Untertitel:
"So lebt ein Arschloch. Du bist ein Arschloch", der an jene Dinge gemahnt, die
meist nur angedeutet und verschüttet sind. Es ist alles getan, meint der Mann.
Er kann sich zurückziehen und auf seine Freiheiten bestehen. Nunmehr hat er
endlich die Ruhe, den wesentlichen Dingen des Lebens zu frönen. Wenn die Gene
verstreut und weitergegeben sind, wenn das Häuschen steht und die Einrichtung
halbwegs passt, und selbst eine Urlaubsreise samt Familie
nach Kanada leistbar
ist, lacht das Herz des Familienvaters, und er kann seiner Geliebten ohne Angst
die Aufwartung machen. Dieses Spiel der Lebenskonzeptionen, die so dünn und
zynisch sind wie etwa jene von
Dieter Bohlen,
wenn er "die Naddel durch kein Öhrchen" mehr bringt, und Estefania als seinen
prunkvollen Besitz betrachtet, ist allzu oft Realität. Und da zieht also Einer
aus, diese banale Realität aufzudröseln und die Wahrheiten ans Licht zu bringen,
von denen heutzutage nur die wenigsten Männer hören wollen. Ach, es gibt sie
also, die Wertigkeiten abseits familienpolitischer Sinnentfremdungen? Eine Frau
sieht rot und speit diesem miesen, verlogenen Leben ins Gesicht, das ihr Mann
stets zu kontrollieren glaubte. Sie macht nicht mehr mit, sie wehrt sich mit
Händen und Füßen, sie liest dem Kerl die Leviten.
Selbstverständlich
fühlt sich der Wiener an das Liedchen "Deine Mutter" von Rainhard Fendrich
erinnert, wo die Zeile vom netten jungen Mann, bei dem übersehen wurde, dass er
eigentlich ein Arschloch sei, zum Radikalsten gehört, was der Barde je gedichtet
hat. Ja, dieses Arschloch nimmt sich allerlei Freiheiten heraus, die nie und
nimmer akzeptiert werden dürften. Und doch spielen alle mit, und dann kommt es
zu diesen absurden Familien, in denen überhaupt nichts stimmt und nach außen hin
schön der Schein gewahrt bleibt.
Michael Stauffer gibt einer
enttäuschten, verstörten Frau den Raum, in dem sie ihrem Ärger Luft verschaffen
kann. Sie will es nicht mehr länger hinnehmen, nur über den Mann definiert zu
werden und nichts Eigenes aufbauen zu können. Der Mann baut das Häuschen, zeugt
das Kindchen und pflanzt das Bäumchen. So lebt also dieses Arschloch, und so war
dieses Arschloch immer. Die Emanzipation schlägt wild um sich. Doch immer noch
existieren Lebenslügen, die ins Grab mitgenommen werden. Dagegen ist dieses
Manifest gerichtet. Ein Arschloch ist und bleibt ein Arschloch; daran ändert
auch ein bisschen Häuselbauerei und Genverstreuung nichts. Selbst ist die Frau:
Sie hat die Möglichkeit, zu hinterfragen und jene Wand zu durchbrechen, hinter
der das pralle Leben auf sie wartet. Jede Frau, die guten Willens ist, kann es
schaffen, dem Irrsinn zu entgehen und sich das Leben nicht verniedlichen und
zerstören zu lassen. Solange der Mann nur in Konzeptionen denkt, die er für
richtig hält, ist er beschäftigt. In dem Moment, wo das "Notwendige"
bewerkstelligt ist, fängt die Misere an, da der Selbstbetrug wie ein
blitzblanker Mercedes offensichtlich ist. Anstatt dieses Ding in die Waschanlage
zu stecken, auf dass Tag für Tag der Materialismus brav hochgelobt wird, sollte
sich der Kerl mal im Sinne einer ehrlichen Selbstreflexion den Schlamm ins
Gesicht schmieren. Die Frau in Michael Stauffers Büchlein tut dies
stellvertretend für beide. Doch wann fängt das Arschloch an, selbst zu
reflektieren und hört auf, in stumpfsinnigen Kategorien zu denken, in denen
alles außer der eigenen Schwächen und Fehlbarkeiten kontrolliert
wird?
Michael Stauffer über
sich:
"Ich wurde am 20. Juli 1972 um 14.55 Uhr in Winterthur, im Kanton
Zürich, geboren. In Frauenfeld besuchte ich: Spielgruppe, Kindergarten,
Volksschule, Gymnasium, Blockflötenunterricht, Schönschreibkurse, Jugendriege,
Jugendmusikkorps. In Bern besuchte ich die Uni und studierte Deutsch,
Französisch und Bildnerisches Gestalten. Ich schloss die Studien mit dem Lehramt
für diese drei Fächer ab. Danach habe ich an einer Berufsschule Coiffeusen,
Polymechanikern und Bäcker/Konditoren in einem Teilpensum Allgemeinbildung
vermittelt. Seit 1999 schreibe ich ausschließlich. Zahlreiche Veröffentlichungen
in Zeitschriften und Anthologien, zusätzlich Theaterstücke, Hörspiele,
Hörperformances, Musik und sonstige Kunst."
(Al Truis-Mus; 10/2003)
Michael Stauffer: "Haus gebaut, Kind
gezeugt, Baum gepflanzt.
So lebt ein Arschloch. Du bist ein
Arschloch."
Gva & Frieden, 2003. 62 Seiten.
ISBN
3-905591-66-9.
ca. EUR 14,50.
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