Johanna Sinisalo: "Troll"
Eine Liebesgeschichte
Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr!
Im Jahr 2000 erschien in Finnland ein Liebesroman, der in
kürzester Zeit zum Verkaufsrenner avancierte, in zahlreiche
Sprachen übersetzt wurde und seiner Autorin Johanna Sinisalo
den "Finlandia Award" einbrachte.
Die Geschichte eines jungen
schwulen Fotografen, der in einer Winternacht vor dem Haus einen
Troll
findet, ihn gesund pflegt, sich durch dessen nach Wacholder duftenden
Leib verführen lässt, um ihm nach einem Totschlag in
die Wildnis zu folgen, ist in gewisser Hinsicht eine Liebesgeschichte,
ein Krimi und "Fantasy" in einem.
Der Roman bedient
alle Genres und könnte deshalb in den Regalen der
Buchhandlungen an mehreren Orten einsortiert werden, was seine
Verkaufschancen erhöhen wird. Tatsächlich aber ist er
ungeschminkte, avantgardistische Literatur, wie sie auf der Bestenliste
des "Süddeutschen Rundfunks" oder bei Elke Heidenreich
auftaucht. Virtuos werden die Erzählperspektiven gewechselt
und mit teils fiktiven, teils wirklichen Zitaten aus anderen
literarischen Werken gewürzt.
Man lernt in dem Buch alles
über das Fabelwesen Troll, wobei dann aber aus dem
kulturhistorischen Element heraus die Fiktion siegt, wenn
Zeitungsausschnitte bezeugen sollen, dass Finnland offensichtlich knapp
vor einer bewaffneten Invasion von Trollen steht,
menschenähnlichen, behaarten Tieren, die als
Parallelentwicklung entstanden sind und mit Menschen genauso wenig zu
tun haben sollen wie Delfine mit Walen.
Hier kommen wir zum Kern des angenehm zu lesenden, sprachlich
reizvollen Buches: Der Fremdheit zwischen den Menschen. Die Liebe, die
der Hauptheld Angel für den Troll empfindet, und die
Anziehungskraft zwischen beiden beruhen auf der Empfindung der
Schönheit des Anderen und den Pheromonen, die Lust erwecken.
Darüber hinaus gibt es nichts Verbindendes oder Verbindliches.
Auch die Gemeinsamkeiten zwischen Angel und seinen wechselnden
Liebhabern gehen nicht über Sexuelles hinaus, mit einer
bedeutsamen Ausnahme: Den geschäftlichen Interessen.
Wenn
Angel zuletzt in die Wildnis geht, dann nicht zuletzt deshalb, weil der
Troll ebenso wie letztlich er selbst den Zwang, sich sein Leben mit
harter Arbeit und Tricksereien verdienen zu müssen, ablehnt.
Wo im Buch Öko-Fetischisten ein bisschen spöttisch
abgetan werden, ist es letztendlich dieser Traum von der
unberührten Natur, der Mensch und Tier verbindet und zuletzt
den Hoffnungsschimmer für die Liebe zwischen beiden bildet.
Das Buch stellt sich somit in die Tradition einer speziellen
Naturromantik, die mit dem Wilden Freitag in Daniel Defoes "Robinson
Crusoe" begann und zuletzt in "Die Frau und der Affe" des
dänischen Schriftstellers
Peter
Hoeg in einem Liebesroman gipfelte, der auch stilistisch
große Ähnlichkeiten mit "Troll" aufweist.
Angesichts
der Tatsache, dass "Troll" den Zeitgeist trifft, muss man sich fragen,
wie schrecklich die Zivilisation für die Meisten sein muss,
wenn man die unbehauste Natur
mit ihren Raubtieren als erstrebenswerte Alternative herbeisehnt.
(Berndt Rieger)
Johanna Sinisalo: "Troll: Eine Liebesgeschichte"
(Originaltitel "Ennen päivänlaskua ei voi")
Deutsch von Angela Plöger.
rororo, 2007.
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Johanna Sinisalo wurde 1958 im
finnischen Lappland geboren. Schon vor ihrem literarischen
Debüt war sie als
Autorin von Science-Fiction und "Fantasy"-Geschichten
sowie als Drehbuchautorin
und Comic-Texterin bekannt. Mit ihren
Büchern hat sie bislang sechsmal den "Atorox
Prize" und dreimal den "Kemi National Comic Strip-Wettbewerb"
gewonnen.
Weitere Bücher der Autorin:
"Glasauge"
Johanna Sinisalo legte nach ihrem schräg-charmanten
Literaturdebüt "Troll:
Eine Liebesgeschichte" mit Glasauge einen großen Gesellschaftsthriller
vor. "Glasauge" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die
versucht, sich als Drehbuchautorin einer täglichen Seifenoper
selbst zu
verwirklichen. Es ist zugleich das mitreißende
Porträt der Mediengesellschaft,
ein Roman über die verführerische und destruktive
Kraft der Fiktion.
Taru hat es geschafft: Die einsame Akademikerin hat eine Stellung im
Autorenteam einer bekannten Fernsehserie ergattert. In der Gemeinschaft ihrer
Kollegen scheint es zunächst alles zu geben, was sie sich
erträumt hat: Freundschaft,
Liebe, Erfolg. Als sie jedoch mit ihrer intriganten Chefin Paula
aneinander gerät,
merkt sie, wie schwer Erfüllung im Beruf zu finden ist. Taru
beginnt, ihre Wünsche
und Verwünschungen auf die von ihr geschriebene Figur zu
projizieren. So gelingt es zumindest ihrem Alter Ego in der Seifenopern-Welt, die
Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen. Doch da die fiktive Welt realer ist als
mancher denkt, haben Tarus Fantasien tödliche Folgen.
Der knisternde Ton der Prosa und die ultrareale Psychologie der Figuren
machen "Glasauge" zu einem großen und fesselnden Roman über
die Irrwege einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst. (Tropen Verlag)
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"Finnisches Feuer"
Alle Bürger Finnlands sind ruhig gestellt, seit die oberste Staatsgewalt vom
Gesundheitsamt ausgeübt wird. Es gibt keine Mobiltelefone, dafür überall
Überwachungskameras. Doch es gibt auch den Widerstand im Untergrund, der weiß,
wie man mit Hilfe von Chilischoten richtig high wird.
Die beiden Schwestern Vera und Mira wollen sich nicht weiter einem Frauen
verachtenden Regime im Finnland der nahen Zukunft unterordnen. Vera kommt über
einen Geliebten in Kontakt mit einer Untergrundgruppe, die heimlich Chili
anbaut. Die Schoten sind nicht nur eine Droge: Mit ihrer Hilfe kann man in den
Kopf anderer Menschen schlüpfen. So kommt Vera auf die Spur ihrer verschwundenen
Schwester Mira, die gar nicht gestorben ist, wie es offiziell hieß.
"Finnisches Feuer" ist nicht nur eine fantastische Parabel auf einen
Überwachungsstaat, sondern gleichzeitig auch ein wunderbar schräger Roman über
weibliche Lebensentwürfe in einer männlich dominierten Gesellschaft. (Tropen bei
Klett-Cotta)
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Weitere Bücher finnischer Autoren:
Ulla-Lena Lundberg: "Eis"
So etwas haben die windumtosten Örar-Inseln, ein Archipel abseits der
Schiffsrouten zwischen Finnland und Schweden, noch nicht erlebt: Mit der Ankunft
ihres neuen Pfarrers Petter Kummel Mitte der 1940er-Jahre bricht für die
Inselbewohner eine ganz neue Ära an. Die Fischer und Bauern verfallen der
optimistischen, aufgeklärten Ausstrahlung des jungen Pastors, seiner Frau Mona
und ihrer kleinen Tochter Sanna ebenso schnell wie umgekehrt die Pfarrersfamilie
dem rauen Charme der Landschaft und ihrer Gemeinde. Am liebsten möchten die
Kummels für immer bleiben. Doch auf dem Meer und dem Eis, das im Winter die
Kirchinsel mit den Höfen verbindet, herrschen unsichtbare, uralte Mächte, für
deren Warnungen die Zugezogenen keinen Sinn zu haben scheinen ...
Mit der Meisterschaft einer großen Erzählerin lässt Ulla-Lena Lundberg ihre
Leser am Eheleben von Petter und Mona teilhaben, an Versuchungen, denen der
Pastor ausgesetzt ist, an schwelenden Konflikten zwischen den Ost- und den
Westdörfern, aber auch am Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die für ihre
Klatschlust genauso berühmt ist wie für ihren kräftigen Gesang. Der Autorin
gelingt das Kunststück, hochspannend von etwas scheinbar Unspektakulärem zu
erzählen: vom Glück, das im Familienleben und in den Dingen des Alltags liegen
kann. Wie spektakulär dieses Glück in Wirklichkeit ist, erweist sich am Ende
erst durch seine Zerbrechlichkeit. (Mare)
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Marja-Liisa Vartio: "Männer
wie Männer, Frauen wie Frauen"
"Ich hätte gar nicht erst herkommen dürfen", sagt die achtzehnjährige Leena.
Aber da sitzt sie schon auf seinem Bett. Sie ist verliebt. "Ich hätte es nicht
tun dürfen", sagt er, ein verheirateter Straßenarbeiter, "die Verantwortung
liegt bei mir". Leena hätte so gern etwas gelernt, studiert, aber der Vater ließ
sie nicht. Jetzt erwartet sie ein "Hurenbalg". Aber während etwas innen wächst,
wird sie nach außen stärker. Leena rebelliert, verlässt Dorf und Familie, sucht
sich in der Stadt eine Stelle. Das macht sie nicht glücklich, aber doch freier
und selbstbestimmter.
Eine tausendmal erzählte Geschichte, aber wie Marja-Liisa Vartio diese
Geschichte erzählt, ist unerhört. Mit Feingefühl und lyrischer Intensität
beschreibt sie die Gefühlswelt einer jungen Frau, die sich selbst erst
kennenlernen muss, um etwas aus ihrem Leben zu machen. (Insel)
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Markus Nummi: "Am Anfang ein Garten"
1933, auf dem Dach der Welt. Ein Mann und ein kleines Mädchen stapfen durch den
Schnee. Sie folgen einer Karawane, die sich auf der Flucht von der Stadt Kashgar
nach Süden befindet. Ob sie ihr Ziel erreichen, ist ungewiss. Deshalb will das
kleine Mädchen, Nora, jetzt alles wissen. Und der Mann, Kamil, erzählt Nora die
Geschichte von der Liebe. Die Geschichte von Kamil und Rahila.
Sie beginnt 1903, als Kamils Mutter den Jungen in der schwedischen
Missionsstation in Kashgar in Chinesisch-Turkestan zurücklässt. In der
Missionsstation gibt es noch mehr Kinder ohne Mütter, eines von ihnen ist Rahila.
Eine zeitlose Geschichte über die Liebe, über den Verlust und über Freundschaft,
angesiedelt in einer Missionsstation in Chinesisch-Turkestan - im Hintergrund
die Wüste, die Berge, die Götter und Asien. Markus Nummis Roman öffnet eine Tür
in eine fremde Welt. Wir werden Zeugen einer großen Liebesgeschichte, die im
Jahr 1903 beginnt - und sich bis ins Jahr 1941 hinein fortsetzt, als Rahila am
Ende doch noch den Weg nach Indien und zu Kamil findet. (Insel)
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Riikka Pulkkinen: "Die
Ruhelose"
"Die Ruhelose" ist Riikka Pulkkinens beeindruckender Debütroman, in dem sie die
großen Fragen des Lebens nach Liebe und Tod stellt.
Was soll Anja tun? Die renommierte Universitätsprofessorin steht vor einem
Wendepunkt in ihrem Leben. Ihr Mann ist schwer an Alzheimer erkrankt. Vor Jahren
bat er Anja um ein Versprechen: Sobald er sein Gedächtnis verloren hat, will er
mit ihrer Hilfe sterben. Auch Anjas Nichte Marie kämpft um die Liebe. Die
sechzehnjährige Schülerin ist eine gefährliche Beziehung mit ihrem Lehrer
eingegangen, den sie so liebt, wie man nur beim ersten Mal lieben kann:
bedingungslos, leidenschaftlich, destruktiv. Als sie begreift, dass ihre Liebe
zu dem verheirateten Mann keine Zukunft hat, muss sie einen Weg finden, mit dem
Schmerz zu leben. Zwei Frauen, zwei Generationen und die immer gleiche Frage:
Wie weit gehen wir für die Liebe? (List)
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Juha Itkonen: "Ein flüchtiges Leuchten"
Mit "Ein flüchtiges Leuchten" hat Juha Itkonen einen Familienroman von enormer
Kraft geschaffen, dessen Figuren so nah an unserem eigenen Leben gezeichnet
sind, dass wir uns im Spiegel der vergangenen fünfzig Jahre selbst zu beobachten
meinen. Itkonen erzählt in Rückblenden von drei Generationen der Familie Vuori:
Beständig ändern sich die äußeren Bedingungen, das Leben wird immer
fortschrittlicher - und doch müssen die Untiefen zwischenmenschlicher
Beziehungen von jedem aufs Neue ausgelotet werden. (List)
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Leseprobe:
Kopf und Nacken tun mir weh. Ich habe auf dem Sofa geschlafen. Es ist
verdammt früh am Morgen und noch dunkel. Das Bett ist leer. Es war also
alles nur ein Traum, der dem Tageslicht weichen mußte.
Abgesehen davon, daß die Decke zusammengeknüllt
neben dem Bett liegt und aus
dem Bad ein winziges Geräusch dringt.
Ich stehe auf und gehe langsam, so leise ich kann, im Licht der
Straßenlampen,
das durch die Fenster fällt, zur Tür des Badezimmers.
Im Halbdunkel sehe ich
ein kleines schwarzes, knochiges Hinterteil, die Hinterbeine, den
zuckenden Schwanz mit der Quaste, und verstehe: Er trinkt aus der
Kloschüssel. Der
Wacholdergeruch ist stechend stark. Dann sehe ich auf dem minzfarbenen
Kachelboden eine gelbe Pfütze. Natürlich.
Er hat aufgehört, Wasser zu schlappern, und wittert mich. Er
richtet seinen Oberkörper so rasch vom Becken auf,
daß man die Bewegung gar nicht richtig wahrnimmt. Das Wasser
tropft ihm vom Gesicht. Ich versuche mir einzureden, daß man
das Wasser gut trinken kann, ich versuche, mich zu erinnern, wann
ich das Klo zuletzt mit Bürste und WC-Ente bearbeitet habe.
Die Augen des Trolls sind immer noch trüb, er wirkt nicht
gesund, und sein pechschwarzes Fell ist beklagenswert glanzlos. Ich trete von der
Tür des Badezimmers zurück, und er zischt an mir vorbei ins
Wohnzimmer, so wie ein Tier, das sich seinen Weg nicht aussuchen kann, halb Sorglosigkeit
vortäuschend, aber schnell und extrem wachsam. Er bewegt sich auf zwei Beinen,
geschmeidig und weich, anders als ein Mensch: leicht vorgebeugt, die Vorderpfoten
angespannt und losgelöst von den Rippen, herrje, wie mißtrauisch,
wie ballettartig. Ich folge ihm und sehe, wie er ohne Anlauf katzenhaft auf mein Bett springt,
schwerelos, sich zusammenrollt und schon wieder schläft.
Ich hole aus der Küche eine Müslischüssel,
fülle sie mit Wasser und stelle sie neben das Bett. Dann gehe ich und wische den Fußboden im
Bad auf, obwohl mir der Schädel dröhnt.
Was zum
Teufel fressen Trolle?
Ich gehe ins Arbeitszimmer. Die Tür lasse ich offen und wecke
den Computer, öffne
den Navigator und gebe ins Suchfeld das Wort Troll
ein ...
Troll
"Kobold, Dämon": Das im 17. Jh. aus dem Nord. (vgl.
gleichbed. schwed. troll) entlehnte Substantiv hat
sich mit einem
heimischen Wort älter nhd. Troll (mhd. troll
"grober,
ungeschlachter Kerl") vermischt, das wohl zu dem unter trollen
behandelten Verb zu stellen ist.
(Aus "DUDEN
- das Herkunftswörterbuch") Anm. d. Red.