William Maxwell: "Sie kamen wie die Schwalben"


Der schlimmste Verlust, der einem Kind widerfahren kann
Eine berührende Familiengeschichte des großen US-amerikanischen Autors William Maxwell


"Sie kamen wie die Schwalben und flogen wie die Schwalben fort,
Und doch machte das starke Wesen einer Frau,
Dass eine Schwalbe nicht ihr Ziel verlor;
Und eine Schar von einem halben Dutzend dort,
Die scheinbar ohne Richtung wirbelnd in den Himmel stieg,
Fand im träumenden Raum sicheren Weg und Ort."
(W. B. Yeats)

Auch die Welt der Morisons, einer Familie im US-amerikanischen Mittelwesten des Jahres 1918, wird durch die Liebe und die Stärke einer Frau zusammengehalten.

Elizabeth Morison ist für ihren achtjährigen Sohn Peter, genannt Bunny, das Zentrum seines wohlbehüteten Daseins: "Wenn seine Mutter nicht da war, wenn sie oben in ihrem Zimmer war oder in der Küche draußen Sophie Anweisungen für das Mittagessen gab, war für Bunny nichts wirklich. Die zinnoberroten und die gelben Blätter, die sich auf den Vorhängen zusammenrollten und entfalteten, waren voll und ganz auf seine Mutter angewiesen. Ohne sie hatten sie weder Farbe noch bewegten sie sich. Und als er jetzt neben seiner Mutter am Fenster saß, war Bunny ebenso von ihr abhängig. Alle Linien und Oberflächen des Raumes liefen auf seine Mutter zu, so dass er, wenn er das Muster des Teppichs betrachtete, es notwendig in Beziehung zu ihrer Schuhspitze sah. In gewisser Hinsicht war er noch stärker auf ihre Gegenwart angewiesen als die Blätter oder Blumen."

Für das scheue und sensible Kind bedeutet die aufmerksame Zärtlichkeit der Mutter Zuflucht vor echten und eingebildeten Bedrohungen, der Strenge des Vaters und den Launen seines fünf Jahre älteren Bruders Robert, der anders als Bunny viele Freunde hat und Sport ebenso wie Abenteuer liebt. Doch auch der nur scheinbar robuste Robert, der seit einem Unfall eine Prothese tragen muss und heimlich vom Nachwachsen seines Beinstumpfes träumt, ist auf seine Mutter und ihre selbstverständliche Gewissheit, er könne trotz seiner Behinderung alles erreichen, angewiesen. Und für ihren Mann James ist Elizabeth nicht nur das Bindeglied zu seinen ihm fremden Kindern, sondern schlechthin der Mensch, der von ihrer ersten Begegnung an "bestimmt hatte, was für eine Gestalt sein Leben annehmen würde".

Als die schwangere Elizabeth Morison kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs an der Spanischen Grippe erkrankt und stirbt, droht ohne sie das Familiengefüge auseinanderzubrechen. Vor Trauer erstarrt, denkt ihr Mann zunächst daran, das Haus zu verkaufen und seine Kinder zu Verwandten zu geben, doch die Erinnerung an Elizabeth lässt James noch an ihrem Sarg den Mut zu einer gemeinsamen Zukunft fassen.

In seiner kurzen, in knapper, präziser Prosa aus der Sicht der drei männlichen Morisons erzählten Geschichte kreist William Maxwell um die zentralen Themen seines Oeuvres, um die Liebe, die das Leben von Menschen ineinander verflicht, um die Zerbrechlichkeit des Glücks und das plötzliche Ende einer geborgenen Kindheit.

Wie in vielen seiner Romanen und Kurzgeschichten greift der 1908 in Lincoln, Illinois, geborene Autor auch im 1937 erschienenen "Sie kamen wie die Schwalben" auf seine eigene Vergangenheit zurück - als Maxwell zehn Jahre alt war, starb seine Mutter an der Spanischen Grippe. Die berührende, niemals sentimentale Trauer, die das Buch durchzieht, und die Einfühlsamkeit und Anteilnahme, mit der besonders die Gefühle des kleinen Bunny geschildert werden, lassen ahnen, wie tief die Verletzungen dieses frühen Verlusts gegangen sein müssen.

William Maxwell, der über Jahrzehnte Literaturredakteur des "New Yorker" war, wurde in Stil und Erzählmethode seines zweiten Buches von Virginia Woolfs zehn Jahre zuvor veröffentlichtem Roman "Die Fahrt zum Leuchtturm" beeinflusst. Auch in seinen Protagonisten finden sich starke Bezüge zu dem Meisterwerk der britischen Autorin, die der Figur der Mrs. Ramsey Züge ihrer früh verstorbenen Mutter verliehen hat. In Bunny, Maxwells Alter ego, spiegelt sich der kleine James Ramsey, und wie dessen Mutter hat auch Elizabeth Morison die Gabe, die sie umgebenden Menschen intuitiv zu verstehen und miteinander zu verbinden. Doch Maxwells Geschichte versucht das Unfassbare in Worte zu kleiden und setzt dort ein, wo Woolf schweigt, beim Tod der Frau, die aus einem Augenblick etwas Dauerhaftes machen konnte: "Inmitten eines Chaos war da etwas Gestaltendes", heißt es in "Die Fahrt zum Leuchtturm" über den Zauber von Mrs. Ramsey, "dieses ewige Vorbeigehen und Vorüberfluten (...) wurde mit einem Schlag fest. Leben, steh still hier, hatte Mrs. Ramsey gesagt."

Flüchtige Momente und Gefühle zu fassen und festzuhalten, ihnen zeitlos gültigen Ausdruck zu verleihen, ist auch William Maxwell, der im Juli 2000 in New York verstarb, in "Sie kamen wie die Schwalben" oder dem 1998 auf deutsch erschienenen großartigen Roman "Also dann bis morgen" gelungen. Seinem Werk, dem die Bewunderung von Schriftstellern wie John Updike, Michael Ondaatje oder Richard Ford gilt, ist auch im deutschsprachigen Raum endlich die verdiente Anerkennung zu wünschen.

(S.B.; 04/2001)


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