Karl-Heinz Schreiber: "Der Meerschwimmer oder Heimat für Blumberg"
Außer der Liebe
Karl-Heinz Schreiber legt seinen ersten offiziellen Roman vor.
Dieser Roman hat keinen Inhalt. Nein, nicht nur 'keinen erzählbaren' - gar keinen. Das, was in ihm passiert, ist für einen Roman von dreihundert Seiten zu wenig. Sagen wir: nichts. Aber er will auch keinen Inhalt haben, und noch nie hat man das besser begründet gelesen: "Geschichten müssen so erzählt werden, wie sie sich noch nicht ereignet haben. Leben muss man so, wie es in keinen Geschichten vorkommt." Aus diesem Dilemma weist "Der Meerschwimmer oder Heimat für Blumberg" von Karl-Heinz Schreiber keinen bequemen Weg. Vielmehr reflektiert und räsonniert er über die Voraussetzungen, unter denen ein Geschehen Romanwert annehmen könnte. "Heimat" zum Beispiel, ein Schlüsselbegriff, ein in romantischer Tradition tremoliertes Sehnsuchtsmotiv des Buchs, müsste lebensgeschichtlichen Balast abwerfen können, um zu leuchten. "Heimat ist Prägung. Heimat ist Hexe." Mangels dieser Option wird für Blumberg/Schreiber Intellektualität zur Ersatzheimat, zum "Schutzorgan gegen die Entwurzelung" (Georg Simmel). Oder "Freiheit". Ungefähr in der Mitte der Handlung scheint sie dem Untertitelhelden zum Greifen nah - aber nur als Verwildern, als Verkommen und ganz aus der feinen englischen Art Schlagen, die ihn eben noch umgab. In den englischen Industriestädten "L" und "M" spielt die erste, auf der spanischen Urlaubsinsel "I" die zweite Hälfte der Geschichte, sofern man das in Bewegung Denken und Sprechen einer Figur als Geschichte bezeichnen will. Presse-Montate deuten von Anfang an auf einen Open-end-Schwimmversuch im Atlantik voraus, der den Titel gibt und (ergebnislos?) abgebrochen wird. Umgeben vom Urelement wähnt Blumberg sich der unerträglichen Menschenwelt maximal ferngerückt, beinahe bei sich.
Wer Kostproben des umfangreichen Werks von Schreiber kennt, kann sich schon fragen: Warum wählt er die Romanform? Gilt Blumbergs nachfolgende Antwort? "Sein Vorschlag: sprengt das alte Kriegerdenkmal in die Luft, die Fetzen pappe ich euch dann zu einem riesigen Mobile zusammen." Warum macht einer das, der so manche Form sicher berherrscht? Der einen soliden Dadaismus pflegt, eine unverwechselbare Gedankenlyrik schreibt, der Texte unterhaltsam zu musikalischen speak-alongs vorzutragen versteht, der europaweit die meisten Bücher pro Jahr rezensiert, der als Essayist so sperrige Themen wie Schillers "ästhetische Erziehung" aktualisieren kann. Das Kunstgespräch formt auch Blumbergs inneren und äußeren Monolog - mehr als die Kunst. Einen Schreiber kannten wir aber wohl noch nicht so scharfsinnig, wie er hier gelegentlich aufblitzt: den Aphoristiker. "Menschen können nichts besser als leugnen." "Vertrauen als ein Ergebnis gemeinsamer Flucht aufeinander zu?" "Außer der Liebe ist nur Panik." Letzteres einmal ernst genommen, steckt eine Menge Panik in diesem Buch. Karl-Heinz Schreiber hat sich da an ein Thema heran geschrieben, über das man vielleicht noch Anderes von ihm lesen wird. Wie sein Meerschwimmer lässt er sich Zeit, und wie das Meerschwimmen ist das Lesen dieser dreihundert Seiten. "Es gab so viele sinnlosere Tätigkeiten, in denen man ertrinken konnte."
(Ewart Reder; 02/2006)
Karl-Heinz Schreiber:
"Der Meerschwimmer oder Heimat für Blumberg"
Roman, Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2005
ISBN 3-937101-51-9, 303 S.
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