Eric-Emmanuel Schmitt: "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran"
(Hörbuchrezension)
Die Geschichte einer wunderbaren
Freundschaft
Eine zauberhafte Parabel über Toleranz, Weisheit, Fatalismus
Die kleine Geschichte von Momo und
Ibrahim beschäftigt sich mit einer Spielart des Islam, mit dem Sufismus, und ist
der zweite Teil der "Trilogie des Unsichtbaren", in der der Autor Eric-Emmanuel
Schmitt die drei Weltreligionen beschreibt. Im ersten Teil
"Milarepa"
setzt sich Schmitt mit dem tibetanischen Buddhismus auseinander; das Stück wurde
1996 in Lausanne uraufgeführt. Im dritten Teil, "Oskar und die Dame in Rosa",
wird in Form eines Briefmonologes das Thema des christlichen Gottes
aufgegriffen.
Der elfjährige Moses erzählt in dieser als Monolog
geführten Geschichte, wie er zu einem neuen Vater und damit zu einer neuen
Lebenseinstellung findet.
Bei seinen Einkäufen trifft er auf "Ibrahim den
Araber", der an seiner Straße einen Lebensmittelladen besitzt. Beide lernen sich
langsam kennen, und Ibrahim, ein Sufist aus dem Land des Halbmondes, nennt den
jüdischen Jungen Moses "Momo". Ibrahim zeigt ihm die Welt, wie er sie sieht.
Nach und nach übernimmt Momo (von Mohammed) mit seinem neuen Namen auch die
Lebensphilosophie Ibrahims, obwohl er selber ein geborener Jude ist. Als ihn
nach dem Selbstmord des leiblichen Vaters die Mutter zu sich holen will,
verleugnet er seine Herkunft und seinen Namen. Nachdem Ibrahim Momo adoptiert,
ist beider Glück perfekt, er hat einen "richtigen Vater" und Ibrahim einen
"richtigen Sohn". Eines Tages kaufen sich die Beiden ein Auto und reisen in das
Land des Halbmondes, wo Momo die Derwische kennen lernt und Ibrahim stirbt.
Die Geschichte gefiel mir so gut, dass ich sie an einem Tag gleich
zweimal anhören musste. Sie ist richtig nett erzählt, und ich lauschte gespannt
und amüsiert der rührend dargebotenen Geschichte des kleinen Momo und dessen
Wahlvater Ibrahim. Zudem wird sie von Matthias Ponnier mit angenehmer Stimme
einfühlsam vorgetragen. Aber auch die lustig erzählten Begebenheiten, mit denen
Ibrahim und Momo immer mehr zusammen finden, können nicht über den eigentlichen
Sinn der Geschichte hinwegtäuschen. Schmitt erzählt in einer für alle
verständlichen Art eine sehr paradoxe Geschichte. Hier wird der Judenjunge Moses
von einem Moslem adoptiert und wird durch den Kontakt mit Ibrahim zu "Momo",
dieser Name ist die Kurzform von Mohammed. Er wird zum ersten Mal in seinem
Leben von "Ibrahim dem Araber" ernst genommen, so wie er ist, mit all seinen
Schwächen. Momo, als elfjähriger Junge, liest den Koran, kann ihn aber noch
nicht verstehen, sehr wohl aber Ibrahims Art zu leben. Nur auf diesem Nährboden
kann über alle Religionen hinaus eine zwischenmenschliche Beziehung zwischen
Beiden mit Vertrauen, Liebe und Zuneigung wachsen.
Ich denke, Schmitt
will mit dieser Geschichte die Gleichheit aller Religionen feststellen und dabei
zeigen, dass Religion, egal welcher Konfession, nur dann ihren Sinn erfüllen
kann, wenn sie ausschließlich auf das Leben übertragen wird.
Im Herbst des Jahres 2003 entbrannte in der Schweiz eine Diskussion in den Medien, die
Schmitt des Plagiats bezichtigte und letztendlich wieder davon frei sprach.
Er hätte, so Nicole Müller ("Die Weltwoche"), Iris Radisch ("Die Zeit") und
die Kultursendung des Schweizer TV "B-Magazin" vertreten durch Tilman Jens, die
Geschichte von Romain Garys Buch "La vie devant soi" ("Du hast das Leben noch
vor dir"; unter dem Pseudonym Emile Ajar 1975 erschienen)
abgeschrieben.
Schmitt, so Verleger Egon Ammann, könne auf keinen Fall
des Plagiats bezichtigt werden und Ammann legt dar, dass beide Geschichten im
Pariser Soukh spielen und die Menschen dort bis zum heutigen Tag die selben
seien; so könnten durchaus Ähnlichkeiten entstehen. Außerdem sei es bei Ajar ein
muslimischer Junge und dessen Ziehmutter eine alte Jüdin, bei Schmitt sei der
Sohn Jude und der Ziehvater Moslem. Ajar schreibe breit und ausführlich (knapp
300 Seiten), Schmitt hingegen kurz und prägnant.
Auch Marc Zitzmann ("NZZ"; Artikel: "Eric-Emmanuel Schmitt ein Plagiator?") kann neben
Ähnlichkeiten in beiden Geschichten sogar viele markante Unterschiede erkennen
und meint: "... Der Tatbestand des Plagiats ist mehr als
diskutabel."
Maritn Eberl ("Tages-Anzeiger"; Artikel: "Ein
Literaturskandal, der keiner ist. Ist er der Erfolgsautor Eric-Emmanuel Schmitt
ein Plagiator? Anmerkungen zu einer künstlich aufgeheizten Debatte") kommt
letztendlich zum selben Ergebnis wie Zitzmann und Ammann.
Somit kann der
Aufruhr um die Diskussion, Plagiat - ja oder nein -, nur dazu führen, dass beide
Romane in der nächsten Zeit, durch die kostenlose Werbung in den Medien,
häufiger gekauft werden.
Eric-Emmanuel Schmitt, geboren am 28. März 1960
in St-Foy-les-Lyon, studierte Musik in Lyon und Philosophie in Paris. Mit 26
Jahren schloss er seine Dissertation über "Diderot und die
Metaphysik" ab. Von 1986 bis 1993 lehrte er Philosophie in Besançon und an der
Université de Savoie in Chambéry. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitet er als
Romancier, Dramatiker und Autor für Theater, Film und Fernsehen. Seit 1991
wurden sechs seiner Theaterstücke uraufgeführt. Eric-Emmanuel Schmitt ist heute
neben Yasmina Reza der im In- und Ausland meistgespielte Bühnenautor
Frankreichs, seine Stücke sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Sein
Theaterdebüt als Dramatiker gab er mit "La nuit de Valognes" (1991); sein erstes
Erfolgsstück "Der Besucher" ("Le visiteur", 1993) ermöglichte ihm, das Schreiben
zum Hauptberuf zu machen. Es folgten u. a. "Der Freigeist" ("Le Libertin", 1997;
verfilmt 2000 von Gabriel Aghion mit Fanny Ardant, Michel Serrault und Vincent
Perez), "Enigma" ("Variations Enigmatiques", 1996 uraufgeführt mit Alain Delon
und Francis Huster), "Hotel zu den zwei Welten" ("L'hôtel des deux mondes",
2000). "Frédérick oder Boulevard du Crime" ("Frédérick", 1998) schrieb er für
Jean-Paul Belmondo - das Stück war bereits in mehrere Sprachen übersetzt, bevor
es in Paris uraufgeführt wurde. 1999 wurden "Enigma" und "Der Freigeist" für den
Prix Molière nominiert.
Eric-Emmanuel Schmitt lebt in Paris und
Irland.
Der Erzähler Matthias Ponnier wurde am 26. März 1940 in Berlin
geboren. Er ist seit über 30 Jahren in vielen Fernsehfilmen und TV-Serien zu
sehen und ist renommierter und vielbeschäftigter Synchron- und Hörspielsprecher.
(Ingrid; 12/2003)
Eric-Emmanuel Schmitt: "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran"
Der Audio Verlag, 2003. 1 CD; 80 Minuten Laufzeit.
Gelesen von Matthias Ponnier. Regie: Ulrich Biermann.
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Weitere Bücher des Autors
(Auswahl):
"Oskar und die Dame in Rosa"
Der zehnjährige Oskar hat
Leukämie
und weiß, dass er
nur
noch kurze Zeit zu leben hat. Seine Eltern sind Feiglinge und meiden das
Thema. Nur die ehemalige Catcherin Oma Rosa hat den Mut, mit Oskar zusammenzusitzen
und über seine Fragen nachzudenken. Sie rät ihm, sich jeden verbleibenden Tag
wie zehn Jahre vorzustellen, und so durchlebt Oskar auf wundersame Weise ein
ganzes Menschenleben: Pubertät, erste Liebe,
Eifersucht, Mittlebenskrise und
schließlich das Alter. Glücklich, erschöpft und manchmal auch enttäuscht und
nachdenklich erstattet er dem lieben Gott davon Bericht und kann endlich erfüllt
und mit seinem Schicksal versöhnt sein Erdendasein beenden.
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"Vom Sumo, der nicht dick
werden konnte"
Kann einer ein wirklich großer Sumoringer werden, wenn er allen
Anstrengungen zum Trotz einfach nicht zunimmt?
"Ich sehe schon, wie groß und stark du einmal wirst",
prophezeit der alte Shomintso jedes Mal, wenn er den schmächtigen Jun in den
Straßen Tokios trifft. Und wie beiläufig lässt er ihm eine Eintrittskarte fürs
Sumoringen da. Doch für Jun ist Sumo die albernste Sache der Welt, "der
Inbegriff dessen, was ich an
Japan hasste, der Gipfel der Geschmacksverirrung,
der Fudschijama des Horrors". Erst als das Schicksal dem fünfzehnjährigen
Straßenjungen auch noch das Letzte genommen hat, besucht er das Zentrum des
alten Shomintso. Was er dort erlebt, krempelt alles Bisherige von innen nach außen,
und Jun macht den ersten Schritt in ein völlig neues Leben. An der Seite von
Meister Shomintso eröffnen sich ihm ungeahnte Welten. Aber kann einer ein
wirklich guter Zen-Schüler und großer Sumoringer werden, wenn er allen
Anstrengungen zum Trotz kaum ein Gramm zunimmt?
In "Vom Sumo, der nicht dick werden konnte" erzählt Eric-Emmanuel
Schmitt die Parabel einer Wandlung. Denn erst, wenn sich einem der Blick für
das Wesentliche öffnet, kann man die Schritte tun, die tatsächlich zu tun
sind. (Ammann)
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