R. M. Schindler: "Bauten und Projekte"
Hrsg. von Michael Darling, Elizabeth A. T. Smith.
California Dreaming
R. M. Schindlers lange unterschätzter
Beitrag zur Architektur der Moderne
Als Rudolph Michael Schindler 1953 in Los Angeles starb, wurde der aus Wien stammende, vorwiegend in Südkalifornien tätige Architekt lediglich als eine "Figur von regionaler Bedeutung" gesehen. 1887 geboren, studierte Schindler bei Otto Wagner an der Akademie der Bildenden Künste und der Bauschule von Adolf Loos. Frühe Entwürfe wie sein Projekt für das Hotel Rong, das große Ähnlichkeit zu Wagners Wohnhaus in der Neustiftgasse 40 zeigt, dokumentieren Schindlers enge Verbindung zum berühmten Wiener Baukünstler. Die fortschrittlichen Ideen Wagners zu Technik, Form und der Wichtigkeit des fortlaufenden Experimentierens als Grundlage künstlerischen Arbeitens prägten den jungen Architekten aber auch für sein späteres Schaffen ebenso entscheidend wie seine Kontakte zu Loos und dessen Theorie vom Raumplan.
Ab 1914 arbeitete Schindler für die Firma Ottenheimer, Stern und Reichert in Chicago, wo er mit seinem bereits stark von Frank Lloyd Wright beeinflussten Projekt für den Buena Shore Club am Ufer des Lake Michigan großes Aufsehen erregte. Vier Jahre nach seiner Übersiedlung in die Vereinigten Staaten konnte er sich endlich eine Anstellung im Büro Wrights sichern, die ihn 1920 als Bauleiter eines seiner Projekte nach Los Angeles führte.
Anfang der 1920er Jahre entschloss sich Schindler, der neben seiner Arbeit für Wright auch an unabhängigen Entwürfen gearbeitet hatte, in der aufstrebenden kalifornischen Metropole ein eigenes Büro in seinem Haus in der Kings Road im heutigen West Hollywood zu eröffnen. Dieses 1922 fertiggestellte Wohnhaus und Studio gilt neben dem Philip Lovell Beach House als Schindlers wichtigstes frühes Bauwerk und wird gemeinsam mit diesem heute zu den bedeutendsten Bauten der Moderne gezählt. Von Schindler, der wie seine Frau Pauline alternative Formen des gemeinsamen Wohnens erproben wollte, als "A Cooperative Dwelling for Two Young Couples" ("Eine kooperative Behausung für zwei junge Paare") beschrieben, zeichnet sich das Gebäude besonders durch eine, wie der Architekt stolz bemerkte, "gänzlich neue räumliche Verknüpfung zwischen Innenraum und Garten" aus, die in ihrer Radikalität lange beispiellos blieb.
In den folgenden Jahrzehnten seines Schaffens entstanden rund 500 eigene Projekte, von denen mehr als 150 realisiert wurden. Zu Schindlers Œvre zählen vor allem Einfamilien- und Apartmenthäuser, doch entwarf der vielseitige Architekt auch Geschäfte, Restaurants, Motels, Tankstellen und oftmals aus Sperrholz gefertigte Möbel, die sich mit ihren einfachen Formen ideal in die offene und dynamische Raumstruktur seiner Bauten einfügten. Gemeinsam mit dem ebenfalls aus Österreich stammenden Richard Neutra, der mehrere Jahre in seinem Haus in der Kings Road wohnte und mit ihm die "Architectural Group for Industry and Commerce" gründete, beteiligte sich Schindler auch an Großprojekten wie dem Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf. Getreu den Anregungen seiner Lehrer experimentierte Schindler vor allem im ersten Jahrzehnt seiner selbständigen Arbeit mit Baumaterialien und -verfahren wie dem "tilt-up"-Beton (Aufkippbeton), beschäftigte sich eingehend mit der Nutzung des Raums als formgebendes Medium und fand besonders in den letzten Jahren seiner Tätigkeit mit Projekten wie der Maurice Kallis Residence oder der Bethlehem Baptist Church zu einer expressiven individuellen Sprache, die ihn deutlich von seinen Zeitgenossen abhebt.
Schindlers Experimentierfreude und unkonventionelle Lösungen, die sich mehr an den jeweiligen Gegebenheiten eines Projekts als an den Dogmen des Internationalen Stils orientierten, führten dazu, dass er zu wichtigen Ereignissen wie der 1932 im New Yorker Museum of Modern Art gezeichneten Schau über die Architektur des Internationalen Stils oder dem nach dem 2. Weltkrieg ins Leben gerufenen "Case Study House Program" nicht eingeladen und nach seinem Tod längere Zeit nur als Randfigur der Architektur der Moderne wahrgenommen wurde.
Der vor allem ab den 1970er Jahren einsetzenden Neubewertung seiner Arbeiten trägt auch der von den Kuratoren einer großen Schindler-Retrospektive des Museum of Contemporary Art in Los Angeles herausgegebene Band Rechnung, der Schindler als den wegweisenden, Entwicklungen wie die Postmoderne vorwegnehmenden Neuerer präsentiert, als der er heute eingeschätzt wird. Reich illustriert mit Architekturfotos, privaten Bildern, Plänen und Entwurfzeichnungen präsentieren Michael Darling, Elizabeth A. T. Smith und andere Autoren wissenschaftlich fundiert das Werk Schindlers von seinen Anfängen in Wien bis zu seinen letzten Arbeiten in Kalifornien, befassen sich mit dem anregenden Leben im Künstlerhaushalt in der Kings Road und dokumentieren umfassend die Bedeutung und die Rezeptionsgeschichte seines Schaffens.
Neben Ausstellungen wie der erwähnten nach Los Angeles und Washington auch im Wiener Museum für Angewandte Kunst gezeigten Werkschau leistet das attraktive Buch, das die umfassendste derzeit erhältliche deutschsprachige Studie zum Thema darstellt, einen wichtigen Beitrag, R. M. Schindler auch in der breiten Öffentlichkeit jene verdiente Aufmerksamkeit und Anerkennung zu verschaffen, die er in der Fachwelt bereits genießt.
(sb; 03/2002)
R.
M. Schindler: "Bauten und Projekte"
Hrsg.
von Michael Darling, Elizabeth A. T. Smith.
Hatje Cantz, 2001.
284 Seiten.
ISBN 3-7757-1006-X.
ca. EUR 68,-.
Buch bestellen