Rüdiger Safranski: "Romantik"

Eine deutsche Affäre


Hundert Jahre Kultur- und Geistesgeschichte im deutschen Sprachraum

Kaum eine Epoche der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte wird so kontrovers diskutiert wie die Romantik. Das verwundert nicht, wenn man berücksichtigt, dass sich die Romantik im Grunde gar nicht eindeutig definieren lässt, und dass sie zahlreiche sehr unterschiedliche Strömungen in sich aufnahm - ganz davon abgesehen, dass romantisches Gedankengut später auch missbraucht wurde.

Rüdiger Safranski fasst in seinem Buch vor allem die wenigen Jahrzehnte der Früh- und Hochromantik zusammen, doch er widmet sich in gebotener Ausführlichkeit auch der Fortführung und Weiterentwicklung des Romantischen vor allem in der Musik und der Philosophie des 19. Jahrhunderts sowie weiteren Ausprägungen im 20. Jahrhundert.

In den ersten Kapiteln kommen erste als romantisch zu bezeichnende Gedanken auf, eingangs von Herder auf einer Seereise formuliert, für die gelten kann: der Weg ist das Ziel. Denn auf dem Meer begreift Herder die Natur und mit ihr den Menschen als Teil eines Entwicklungsprozesses, durchdrungen von Schöpfungskraft. Hier zeichnet sich bereits die Epoche des Sturm und Drang ab, die der Romantik den Weg bereitet. Wesentlichen Anteil daran hat jedoch auch die Französische Revolution, mit der sich alle Romantiker auseinandersetzen, und die sie ebenso prägt wie etwas später Napoleon. Während die Deutschen aber wissen, dass in ihrem Flickenteppichland eine Revolution nach französischem Vorbild von innen heraus nicht möglich ist, schafft Napoleon von außen die Wende. Von den jungen deutschen Romantikern zunächst meist überschwänglich begrüßt, stößt der Kaiser jedoch bald auch auf Kritik, bei Kleist gar auf blanken Hass.

Die politische Entwicklung nimmt, wie der Autor aufzeigt, einen großen Einfluss auf die Entstehung der Romantik, ebenso aber weist er nach, dass sie als eine Abwendung von der allem Mystischen abholden Aufklärung zu verstehen ist, als aufkommender Zweifel am Fortschritt. Schlegel führt die Ironie als ernstzunehmendes Stilmittel ein, Fichte lenkt den Blick von Schriftstellern und Philosophen auf das Ich. Und nun erreicht die Romantik bereits ihren Höhepunkt mit Jena und Heidelberg, die großen Namen geben sich ein Stelldichein, Tieck, Novalis, Schleiermacher, Görres und viele andere. Philosophen und Schöngeister wenden sich vom Christentum ab und schaffen sich eine eigene Religion; manche von ihnen werden später allerdings "rückfällig".
Mit Eichendorff, dem vielleicht romantischsten Dichter, hat die Epoche jedoch ihren Zenit bereits hinter sich gelassen. Was bleibt, ist das Romantische, nicht die Romantik, und so trägt der zweite Teil des Buchs auch den Titel: "Das Romantische".

Im ersten Kapitel dieses Abschnitts erläutert der Autor, wie Philosophen und Schriftsteller aus der Zeit unmittelbar nach der Romantik diese Epoche rezipieren, oftmals sehr kritisch, ohne jedoch vom Romantischen loszukommen; dies gilt unter anderem auch für Marx. Wagner und Nietzsche stellen Weichen, zunächst gemeinsam, dann löst sich Nietzsche von Wagner.

Ein wichtiges Kapitel widmet sich der Jugendbewegung, romantischen Gedanken im wilhelminischen Deutschland und der aus einem verzerrt romantischen Weltbild entstandenen Kriegsbegeisterung 1914. Wichtige Biografien werden mehr oder weniger intensiv berührt: Hugo von Hofmannsthal, Stefan George, Rilke, Thomas Mann. Auch in der Weimarer Republik hat der romantische Gedanke nicht ausgedient, ganz im Gegenteil. Hesse bringt sie in die Dichtung zurück, Heidegger setzt ihr eine politische Komponente zu.

Von besonderem Interesse dürfte für viele Leser das Kapitel über den Zusammenhang zwischen Romantik und Nationalsozialismus sein: Bedingten der romantische Mystizismus, die Naturverehrung und -vergöttlichung die diffuse "wissenschaftliche" Selbstrechtfertigung der Nazis? Sorgsam wägt der Autor ab, lässt sich weder zum Ankläger noch zum Verteidiger der Romantik und des Romantischen stempeln. Es folgen Betrachtungen zu der Zeit nach 1945, unmittelbar eingeleitet von Manns "Doktor Faustus". Und ähnlich, wie die allzu raue Aufklärung die romantische Gegenbewegung auslöste, provozierte die "neue Sachlichkeit", so das Buch, junge Menschen zur 68er-Bewegung, die eine stark von romantischen Ideen geprägte Komponente aufwies.

Es ist ein weiter Bogen, der sich von Herder bis zu den Achtundsechzigern erstreckt. Da der Autor jedoch logisch argumentiert und keineswegs auf eine einseitige Auslegung der Romantik und des Romantischen fixiert ist, lässt sich die entsprechende Entwicklung über ein Jahrhundert hin fast lückenlos nachvollziehen. Wie aus dem Inhaltsabriss hervorgeht, werden viele einzelne Protagonisten der Kultur- und Geistesgeschichte herangezogen, sowohl anhand von wesentlichen Teilen ihrer Biografien als auch mittels Zitaten aus ihren Werken, die ebenfalls sehr gut dazu beitragen, die Entwicklung des romantischen Gedankenguts und der darin enthaltenen verschiedenen Strömungen zu verstehen.

Zentrale Themen des Buchs sind, falls eine solche Festlegung überhaupt möglich ist, zunächst Wagner und Nietzsche, anschließend dann der Nationalsozialismus. Kritisch untersucht der Autor diese Ausprägungen des Romantischen beziehungsweise die Einflüsse des Romantischen auf die dazugehörigen Bewegungen.
Die Quintessenz des Buches lautet, dass das Romantische dann gefährlich wird, wenn es sich mit der Politik verbindet, und Rüdiger Safranski weiß dieses Fazit auch vorzüglich zu belegen, nicht nur anhand des Nationalsozialismus.

Das Buch ist trotz der hohen inhaltlichen Dichte und des nicht geringen Anspruchs an den Leser durchaus angenehm zu lesen. Vor allem gibt es einen umfassenden Überblick über ein eigenartiges deutsches Phänomen.

(Regina Károlyi; 10/2007)


Rüdiger Safranski: "Romantik. Eine deutsche Affäre"
Hanser, 2007. 415 Seiten.
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Leseprobe:

Vorwort

Was man um 1800 die 'Romantische Schule' genannt hat, was sich um die Gebrüder Schlegel versammelte, was sich in deren kurzlebiger, aber heftiger Zeitschrift "Athenäum" selbstbewußt und bisweilen doktrinär zu Wort meldete, dieser entfesselte Spekulationsgeist des philosophischen Beginns von Fichte und Schelling, was in den frühen Erzählungen von Tieck und Wackenroder bezauberte als Vergangenheitssehnsucht und als neu erwachter Sinn für das Wunderbare, diese Hinneigung zur Nacht und zur poetischen Mystik bei Novalis, dieses Selbstgefühl des Neuanfangs, dieser beschwingte Geist einer jungen Generation, die zugleich gedankenschwer und verspielt auftrat, um den Impuls der Revolution in die Welt des Geistes und der Poesie zu tragen - diese ganze Bewegung hat selbstverständlich eine Vorgeschichte, einen Anfang vor dem Anfang.

Die jungen Leute, denen es nicht an Selbstbewußtsein mangelte, wollten einen neuen Anfang setzen, aber sie setzten doch auch fort, womit eine Generation früher der 'Sturm und Drang' begonnen hatte. Johann Gottfried Herder, der deutsche Rousseau, hatte den Anstoß dazu gegeben. Und deshalb kann man die Geschichte der Romantik mit dem Augenblick beginnen lassen, da Herder 1769 zu einer Seereise nach Frankreich aufbrach, überstürzt und fluchtartig, überdrüssig der beengenden Lebensverhältnisse in Riga, wo sich der junge Prediger mit den Orthodoxen herumschlagen mußte und in ärgerliche literarische Fehden verwickelt war. Unterwegs kommen ihm Ideen, die nicht nur ihn beflügeln werden.

Herder sticht also in See. Hier beginnt unsere Reise auf den Spuren der Romantik und des Romantischen in der deutschen Kultur. Sie führt nach Berlin, Jena, Dresden, wo die Romantiker ihre Hauptquartiere aufgeschlagen hatten und wo sie das Feuerwerk ihrer Ideen abbrannten. Wo sie träumten, kritisierten und phantasierten. Die Epoche der Romantik im engeren Sinne endet bei Eichendorff und E.T.A. Hoffmann, romantische Entfesselungskünstler und doch auch anderweitig gebunden. Der eine ein guter Katholik und Regierungsrat, der andere ein liberaler Kammergerichtsrat. Beides Doppelexistenzen, die nicht auf Romantik festgelegt sind. Eine kluge, eine lebbare Form der Romantik.

Es geht in diesem Buch um die Romantik und um das Romantische. Die Romantik ist eine Epoche. Das Romantische eine Geisteshaltung, die nicht auf eine Epoche beschränkt ist. Sie hat in der Epoche der Romantik ihren vollkommenen Ausdruck gefunden, ist aber nicht darauf beschränkt; das Romantische gibt es bis heute. Es ist nicht nur ein deutsches Phänomen, aber es hat in Deutschland eine besondere Ausprägung erfahren, so sehr, daß man im Ausland bisweilen die deutsche Kultur mit Romantik und dem Romantischen gleichsetzt. Das Romantische findet sich bei Heine, der es zugleich überwinden will, so wie auch bei seinem Freund Karl Marx. Der Vormärz hat es in die Politik gelegt, in die nationalen und sozialen Träume. Dann Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, die keine Romantiker sein wollten, aber es doch waren als Jünger des Dionysos. Ungehemmt romantisch war die Jugendbewegung um 1900. Beim Kriegsbeginn 1914 glaubten Thomas Mann und andere, die romantische Kultur Deutschlands gegen die westliche Zivilisation verteidigen zu müssen. Die unruhigen 20er Jahre sind ein Nährboden für romantische Erregungen, bei den Inflationsheiligen, den Sekten und Bünden, den Morgenlandfahrern; man wartet auf den großen Augenblick, auf politische Erlösung. Heideggers Vision einer seinsgerechten Politik mündet in eine fatale politische Romantik, die ihn Partei nehmen läßt für die nationalsozialistische Revolution. Wie romantisch war der Nationalsozialismus? War er nicht vielleicht doch eher pervertierter Rationalismus als verwilderte Romantik? Ist Thomas Manns "Doktor Faustus" nicht doch eine zu hohe Interpretation des kruden Geschehens (Mann)  ein romantisches Buch also, das über die Romantik zu Gericht sitzt? Dann die Ernüchterungen der Nachkriegszeit, die 'skeptische Generation' mit ihrem Vorbehalt gegen das Romantische. Die Reise durch die bizarre deutsche Geisteslandschaft endet bei dem vorläufig letzten größeren romantischen Aufbruch, bei der Studentenbewegung von 1968 und ihren Folgen.

Die beste Definition des Romantischen ist immer noch die von Novalis: Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.

In dieser Formulierung merkt man, daß die Romantik eine untergründige Beziehung zur Religion unterhält. Sie gehört zu den seit zweihundert Jahren nicht abreißenden Suchbewegungen, die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen. Romantik ist neben vielem, was sie sonst noch ist, auch eine Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln. Das hat ihr die Kraft zur beispiellosen Rangerhöhung des Imaginären gegeben. Die Romantik triumphiert über das Realitätsprinzip. Gut für die Poesie, schlecht für die Politik, falls sich die Romantik ins Politische verirrt. Dort also beginnen die Probleme, die wir mit dem Romantischen haben.

Der romantische Geist ist vielgestaltig, musikalisch, versuchend und versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewußte, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion. Der romantische Geist bleibt sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich, sehnsüchtig und zynisch, ins Unverständliche vernarrt und volkstümlich, ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt und gesellig, formbewußt und formauflösend. Der alte Goethe sagte, das Romantische sei das Kranke.

Aber auch er mochte nicht darauf verzichten.

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