Benjamín Prado: "Als einer von uns Laura Salinas töten wollte"
Liebe macht blind. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Im Spiel gibt es keine Freundschaft. Verdacht ist der Freundschaft Gift.
"Der Schnee ist leer" - so lautet der
Buchtitel im Original. Dabei handelt es sich übrigens um einen Satz aus dem
25. Kapitel. Doch weil wir gerade beim Zitieren sind, wenngleich die eingangs
angeführten Sätze dem volkstümlichen Redensartenschatzkistchen entstammen, soll
Friedrich Schiller nicht fehlen: "Der Freunde Eifer ist's, der mich zugrunde
richtet, nicht der Hass der Feinde" (aus
"Wallensteins Tod"). Dies hier näher auszuführen würde allerdings dem interessierten
Leser das Vergnügen am Selbstentdecken rauben; nur soviel: "Als einer von uns
Laura Salinas töten wollte" ist ein Spiel auf mehreren Ebenen, bei dem nur ein
Einziger die Fäden zieht.
Drei miteinander befreundete Männer, Verkettungen sonderbarer Begebenheiten,
deren Zusammenhänge sich erst rückblickend aufklären, und eine mysteriöse Schöne
- dies sind die Zutaten, aus denen Benjamín Prado seine Geschichte zusammengebraut
hat. Mehr Novelle als Roman, wird darin eine Reihe von Ereignissen zunächst
bedächtig in Gang gesetzt, an deren Ende Freundschaften, ja ganze Existenzen
ausgelöscht sind, und nichts mehr so ist, wie es zu Anfang den Anschein hatte.
Aus Gründen der Erhaltung einer gewissen Spannung verbietet es sich selbstverständlich,
die Handlung im Detail nachzuerzählen, daher seien lediglich einige Eckpunkte
skizziert:
Einer der drei Männer, die sich häufig abends in Glorias Bar, der innerhalb
der Geschichte in etwa die Funktion eines Regieraumes zukommt, gemeinsam den
einen oder anderen Schluck genehmigen, Alcaén Sanchez, arbeitet als braver Angestellter
bei einer Versicherungsgesellschaft, deren Tageseinnahmen er täglich zählen
und wegschließen muss, träumt von einem Leben in Saus und Braus und (natürlich)
von der großen Liebe. Doch zumindest hinsichtlich Ersterem bleibt es nicht beim
Träumen: Alcaén wirft sich gern in Schale, ändert für einige Stunden seine Umgangsformen
und besichtigt, solcherart als Neureicher kostümiert, zum Kauf angebotene Luxusvillen,
deren Anschaffungskosten freilich seine realen finanziellen Möglichkeiten übersteigen.
Bei einer dieser hochstaplerischen Immobilienbesichtigungen trifft er auf die
überaus attraktive Maklerin Laura Salinas und ist ihr augenblicklich mit Haut
und Haar verfallen. Eine unheilvolle Bekanntschaft, wie sich zeigen wird, denn
die Dame scheint Ansprüche zu stellen, unglücklich mit einem brutalen Fiesling
verheiratet und überdies eine Meisterin des weiblichen Spiels von häppchenweiser
Hingabe und Sich-Entziehen zu sein ...
Iker Orbáiz ist Schriftsteller, laboriert an wiederkehrenden Schreibblockaden
und greift folglich dankbar Vorkommnisse aus seinem persönlichen Umfeld auf,
die er großteils unverändert in seine Geschichten einbaut.
Und der Dritte im Bunde ist der hochintelligente Arzt Ángel Biedma, der seinem
schreibenden Freund sowohl großzügige Geschenke macht als auch zündende Anregungen
zur literarischen Verwertung liefert und deren schriftliche Umsetzung im Rahmen
der allabendlichen Treffen väterlich kritisiert.
Was geschehen muss, damit der vormals unauffällige Versicherungsangestellte
Alcaén beinahe zum Dieb und tatsächlich zum Mörder wird, was weiter geschieht,
damit der ein wenig weltfremde Schriftsteller Iker Orbáiz Bodenhaftung gewinnt
und die fatalen Zusammenhänge erkennt, was es mit der scheinbaren Selbstlosigkeit
des Herrn Doktor Ángel Biedma auf sich hat, und wer Laura Salinas ist, all das
führt Benjamín Prado routiniert aus, bietet recht interessante Einblicke in
seelische Abgründe und gewisse menschliche Charakterstrukturen.
Die männlichen Charaktere und deren Motive sind großteils detailfreudig und
auch mit leidlich psychologischem Tiefgang komponiert, wohingegen die Figur
der Laura Salinas, jener Dame, der eine gleichermaßen verhängnisvolle wie letztendlich
beschämend banale Rolle zukommt, an Oberflächlichkeiten festgemacht ist.
In Erinnerung bleibt, neben der Unmittelbarkeit der sprachlichen Ebene, vor
allem der überhebliche Ich-Erzähler, dessen Wortmeldungen allzu oft den Erzählfluss
hemmen, und dessen dem Leser penetrant unter die Nase geriebene Neunmalklugheit
ihn wahrlich wenig sympathisch macht, was freilich beabsichtigt zu sein scheint:
Welcher der drei Protagonisten des Romans als Erzähler, der seine Duftmarken
zu setzen bestrebt ist und dabei möglichst lange anonym bleiben möchte, fungiert,
wird nämlich erst gegen Ende enthüllt, was an und für sich eine nette, vielleicht
sogar reizvolle Anordnung darstellen könnte, übte sich der Erzähler, der sich
stets mit naseweisen Ratschlägen und Anmerkungen an den Leser zu wenden pflegt,
in etwas mehr Zurückhaltung, was ihm jedoch unmöglich ist, weil es sich um den
Drahtzieher der Ereignisse handelt!
Ein erzählerisch gewagter Schachzug, der ebensogut dazu führen könnte, dass
man die Lektüre bereits nach Seite 7 entnervt abbricht, was schade wäre, denn
die Geschichte hat durchaus ihre guten Momente.
Sofern man mit wenigstens durchschnittlicher Menschenkenntnis ausgestattet an
die Lektüre herangeht, lichten sich die erzähltechnischen Nebelschleier des
1961 in Madrid geborenen Benjamín Prado allerdings rasch, und das immerhin ansprechend
gestaltete Ende birgt keine unvorhergesehenen Überraschungen.
Fazit: Nette Unterhaltung, rasch konsumierbar.
(Felix; 02/2004)
Benjamín Prado: "Als einer von uns
Laura Salinas töten wollte"
(Originaltitel "La Nieve está vacía")
Aus
dem Spanischen von Matthias Strobel.
Luchterhand, 2004. 192
Seiten.
ISBN 3-630-87170-4.
ca. EUR 19,-.
Buch bestellen