Arturo Pérez-Reverte: "Der Schlachtenmaler"
Von der individuellen Verantwortung in Kriegszeiten
"Die Kunst ist unsere Rettung, Trost und Erinnerung, die
einzige Form, die Schrecken der Natur zu überwinden. Ich bin
ehrlich überzeugt, dass es für unsere Welt keine
Rettung gibt. Das Böse und der Schmerz werden immer bestehen.
Das zu leugnen ist unmöglich. Lösungen gibt es keine.
Was bleibt zu tun? Wir können einen Teil unseres Lebens, der
Natur und der Welt abschirmen und so mit dem Schrecken leben."
Der Protagonist in Arturo Pérez-Revertes Roman "Der
Schlachtenmaler" versucht genau das, was sein Schöpfer
unlängst in einem Interview ziemlich illusionslos
ausgedrückt hat: Er zieht sich zurück und versucht,
die Erfahrung seines Leben zu verarbeiten.
Andres Faulques ist ehemaliger Kriegsfotograf. Seit Mitte der 1970er
Jahre hat er so ziemlich alle Kriegsschauplätze dieser Welt
gesehen und fotografiert; Zypern, Vietnam, Libanon, Kambodscha,
Eritrea, El Salvador, Nicaragua, Angola, Mosambik, Irak, den Balkan -
ähnlich übrigens wie
Pérez-Reverte selbst, der über lange Jahre als
Kriegsberichtserstatter geschrieben hat und weiß, wovon er in
diesem außergewöhnlich dichten und tiefen Roman
erzählt.
Faulques hat sich in einen alten Wehrturm an der spanischen
Küste zurückgezogen. Er unterhält kaum mehr
Kontakte zu anderen Menschen und malt in diesem Turm ein riesiges
Schlachtengemälde. Mit diesem monströsen Kunstwerk,
zu dem er Anleihen bei vielen Künstlern der jüngsten
und besonders der älteren Vergangenheit nimmt, versucht er
seine Erfahrungen zu bannen, indem er sie ausdrückt. Er plant
nicht, dieses riesige Wandbild irgendjemandem zu zeigen. Nach der
Fertigstellung und nach seinem Tod sollen es Andere zufällig
entdecken. Natürlich denkt er beim Malen nach und reflektiert
über seine Arbeit als Kriegsfotograf:
"Er versuchte nie, den beutegierigen Charakter seiner Fotos zu
beschönigen, wie jene, die behaupteten, sie besuchten
Kriegschauplätze, weil sie den Krieg hassten und ihm ein Ende
bereiten wollten. Er sehnte sich auch nicht danach, die Welt zu
erklären. Er wollte lediglich den Code des Liniennetzes, die
Chiffre der Geheimschrift verstehen, damit der Schmerz und alle
Schmerzen erträglich wurden. Von Anfang an hatte er etwas
anderes gesucht: den Punkt, von dem aus man das Gewirr der geraden und
krummen Linien, den schachbrettartigen Raster wahrnehmen oder
wenigstens ahnen konnte, der die Triebkräfte des Todes, das
Chaos und seine Formen, den Krieg als Struktur, als klar erkennbares
Knochengerippe des riesigen kosmischen Paradoxons einteilte."
Eines Tages steht ein Mann vor dem Turm. Er heißt Ivo
Markovic, ist Kroate und hat sehr lange nach Faulques gesucht. Von
diesem Mann hatte Faulques vor vielen Jahren ein Foto gemacht, das bald
danach ausgezeichnet wurde und um die Welt ging. Für den
Kroaten Markovic bedeutete diese traurige Berühmtheit fast den
Tod. Er wurde von den Serben gefangengenommen, gefoltert und kam nur
mit viel Glück nach Jahren wieder in eine Freiheit
zurück, die er nicht mehr
unbefangen leben konnte, weil das Grauen des Krieges seine Seele
beherrschte.
Markovic will mit Faulques diskutieren, bevor er ihn tötet.
Vor allen Dingen will er genau wissen, warum Faulques ein paar Tage,
nachdem er Markovic
abgelichtet hatte, an der Straße in Borovo Nasalje einen
toten Frauenkörper fotografierte. Es war der Körper
der Partnerin des Fotografen, Olvido, die auf eine Mine getreten und
zerrissen worden war.
Und nun beginnt ein sich über mehrere Tage hinziehendes langes
Gespräch zwischen dem Schlachtenmaler und Ivo Markovic
über den Krieg, die Schuld desjenigen, der den Krieg und die
Folter dokumentiert und was das alles mit seiner Seele anrichtet. Sie
reden über Gut und Böse, über Folgen von
Taten, die bei ihrer Ausführung überhaupt nicht
absehbar waren, und Markovic will wissen, was mit Olvido war. In den
Gesprächspausen erinnert sich der Schlachtenmaler an sein
Leben, wie er Olvido kennenlernte, er berichtet von gemeinsamen Reisen
an die Kriegsschauplätze dieser Welt und davon, dass
für Olvido, kurz bevor sie auf der Straße in Borovo
Naselje auf die Mine trat, schon etwas zu Ende gekommen war und er
spürte, wie ihre gemeinsame Zeit auslief.
Immer wieder macht Markovic den Fotografen für sein Schicksal
verantwortlich, doch Faulques verwickelt ihn in ein Gespräch
über das Wesen des Kriegs, die Menschen und ihr
Verhältnis zur Gewalt, über Ordnung und
Chaos in der
Welt. Dieses Gespräch und die Reflexionen des Autors sind von
außergewöhnlicher Dichte und Tiefe, wobei er seine
eigenen Erlebnisse im mehrere Monate umzingelten Sarajewo zu
verarbeiten versucht.
Die strenge Aussichtslosigkeit des Autors kommt den Leser hart an. Er
zeigt keinen Ausweg, weil er keinen sieht. "Merken Sie nicht,
dass wir hier in einer abgeschirmten Atmosphäre eine irreale
Frist erhalten haben und die Welt rund um uns absolut
gefährlich und feindselig ist?", sagt er in einem
Interview.
So, wie sein Protagonist Faulques sich auf einen Turm
zurückzieht, lebt Pérez-Reverte selbst heute als
Aussteiger fernab
der Nachrichtengesellschaft. Arturo Pérez-Reverte
weiß seine Segeljacht im Hafen von Cartagena jederzeit
auslaufbereit und erlaubt sich im Gespräch die
Allüren eines von Lesern und Kritik verwöhnten
Erfolgsautors. Dies tut der Qualität seines Romans jedoch
keinen Abbruch.
"Der Schlachtenmaler" ist ein Aufschrei gegen die Gewalt und den Krieg,
gegen die Folter und die Massenvergewaltigungen, obwohl
der Roman ebendies ausdrücklich nicht sein will. Doch die
Lektüre lässt den Leser nicht kalt. Die eher
kühlen Überlegungen des Protagonisten haben
jedenfalls beim Rezensenten heftige und fast körperliche
Reaktionen hervorgerufen.
Ein entmutigendes, trauriges Buch, das aber auch hellsichtig und von
hoher literarischer
Qualität ist.
(Winfried Stanzick; 11/2007)
Arturo
Pérez-Reverte: "Der
Schlachtenmaler"
(Originaltitel "El pintor de batallas")
Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann.
C. Bertelsmann, 2007. 287 Seiten.
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Arturo Pérez-Reverte, geboren 1951 im spanischen Cartagena, war über zwanzig Jahre Kriegsreporter, ehe er zu einem der international wichtigsten Schriftsteller Spaniens wurde.