Oskar Pastior: "...sage, du habest es rauschen gehört"
Der
unreife Pastior
Als Band 1 der Werkausgabe liegen hier im wesentlichen Gedichte aus der
Frühzeit Pastiors (Jg. 1927) in chronologischer Reihenfolge
vor. Damit wird der Zeitraum erfasst, bevor Pastior die Wiener Gruppe
oder die Konkrete Poesie kannte bzw. bevor er sich nach Deutschland
absetzte. In Auszügen handelt es sich dabei um Textkontingente
der Gedichtbände "Offne worte" (1964), "Gedichte" (1966),
"namenaufgeben" (1968 geplant, aber nicht veröffentlicht),
"Vom Sichersten ins Tausendste" (1969) - wobei die meisten Gedichte in
den 50er Jahren geschrieben wurden. Pastior ist
Büchner-Preisträger 2006 - die Deutsche Akademie
für Sprache und Dichtung (Darmstadt) würdigte ihn als
"methodischen Magier der Sprache", er habe ein Werk "von
größter Radikalität und Formenvielfalt"
geschaffen und er "erzeugt aus Buchstaben und Lauten, anmutig und
witzig, immer neue poetische Welten."
Zusammen mit
Herta Müller schreibt Pastior an einem Roman
über seine fünf Jahre im Lager Donbass (1945/49),
wohin er von der Roten Armee deportiert worden war. Von der zur Zeit
erscheinenden Werkausgabe hat er zunächst die Bände 2
und 3 publizieren lassen, da ihm die Wiederbegegnung mit seinen
Anfängen unangenehm war. Damals in Rumänien machte
noch viele Kompromisse, um überhaupt gedruckt zu werden -
daher findet sich im vorliegenden Band noch längst nicht der
typische Pastior-Ton wieder. Erst später wird er bewusst daran
arbeiten - wie er sich einmal sinngemäß
ausdrückte - die Lücke zwischen der Sprache und der
Wirklichkeit immer enger zu machen.
Die Texte aus den 1950er-Jahren preisen noch die Sozialistische Partei
und auch den Frieden sowie die "Helden der Arbeit". In seiner
Nachbemerkung räumt der Herausgeber ein, dass viele dieser
Texte "Müll" (!) seien und dass man etliche Gedichte aus den
ursprünglichen Zusammenstellungen weggelassen habe, um sich
auf typische Beispiele zu beschränken. Insofern ist dieser
Band für Pastior-Liebhaber kein Genuss, sondern lediglich eine
dokumentarische Ergänzung um die Anfangsphase der
literarischen Unreife. Die Texte sind von der Form her noch ziemlich
konventionell, die Inhalte wirken oft gequält-pathetisch: "Das
Orchester der Schwerindustrie setzt ein" - oder: "Schienen
führen die nützlichen Güter über
pulsende Brücken, / im Kupferbecken der Täler
röstet der Tag / und füllt die geweiteten
Arbeiterhallen in den Städten mit dem / Geruch gemeinsamer
Vollendung." Das ist eben realsozialistischer Schwulst! Dazwischen auch
Natur- und Liebeslyrik - nach ca. 100 Seiten werden die Themen
vielfältiger, der Ton gerät reflektierender - und
vereinzelt schimmern schon poetische Perlen durch, wie etwa "Ich sah
neut nacht im Traum das Meer" oder auch "Und wird man mich fragen".
In der Abteilung "Vom Sichersten ins Tausendste" werden die Gedichte
merklich kürzer und konzentrierter - und da sind dann schon
die ersten schüchternen Experimente dabei: "ob zwo drei vier /
ob gleich ob schon / ob stür ob nei / ob obb obbb obbbb / ob
mir ob ab / ab rein." Schließlich schält sich so
allmählich der wahre Pastior nach ca. 250 Seiten heraus mit
Texten wie "Welche Künde Aber Wäre" oder "Es jahrt
das Jahr" oder "Auf der Au wo ist Groenfields Ruckdurst versuppert".
Einfach köstlich eine Spielerei wie "vorlich Keit und endig
Keit / Keit Gül Keit Endl / Keit keit vor Keit alles keit /
läu Gültig fäu / äu / Tor!"
Man kann es nicht oft genug betonen, wie wichtig Autoren wie Pastior
für die Entwicklung der modernen Lyrik sind. Wir registrieren
im vorliegenden Band die deutlichen Fortschritte und die zunehmende
Befreiung von allem ideologischen und sprachregulatorischen Ballast.
Daher verzeihen wir auch diesem Dichter seine Jugendsünden.
(KS; 08/2006)
Oskar Pastior: "...sage, du habest es
rauschen gehört"
Hanser, 2006. 376 Seiten.
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Oskar
Pastior wurde 1927 in
Hermannstadt (Sibiu, Rumänien) geboren.
Nach vier Jahren Elementarschule ist
er bis 1944 Schüler des humanistisch orientierten
Brukenthal-Gymnasiums in
Hermannstadt. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Rumänien
wird er Anfang
1945 zur Aufbauarbeit in die Sowjetunion (Ukraine, Donbas)
zwangsdeportiert.
1949 kehrt Pastior nach Hermannstadt zurück und arbeitet dort
als Kistennagler
und in einer Sportartikelfabrik. Es folgen drei Jahre
Militärdienst in einem
Arbeitsdetachement, während dieser Zeit holt er im Fernstudium
das Abitur nach.
Fortsetzung der Arbeit im Baubüro als Zivilangestellter. 1955
Beginn eines fünfjährigen
Studiums der
Deutschen Sprache und Literatur an der
Universität Bukarest.
1960-1968 Redakteur beim Rumänischen Rundfunk für die
Sendungen in Deutscher
Sprache im Inland. 1968 dreiwöchiger Studienaufenthalt in Wien
auf Einladung
der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.
Weiterreise nach Deutschland.
1969 sechsmonatiges Arbeitsstipendium des Berliner Senats.
Oskar Pastior starb in der Nacht zum 5. Oktober 2006
in Frankfurt.