Lajos Parti Nagy: "Meines Helden Platz"
Wenn das Proletariat mit der Weltherrschaft schnäbelt
Wohl aus werbestrategischen Gründen
prangt auf der Vorderseite des Umschlags von "Meines Helden Platz" eine
üblicherweise nicht an solch prominenter Stelle zu findende Anmerkung:
"Übersetzt von Terézia Mora". Ein Name, der für Qualität bürgt, ein
Gütesiegel? In der Tat, denn ein geistreicher Roman wie dieser verdient,
nein, verlangt eine kongeniale Übersetzung. |
"Vor wenigen Minuten sind tausend weiße Vorschüler vom Heldenplatz in die Luft geschossen worden. Ihr entzücktes Gekreisch ist selbst durch das Stimmengewirr zu hören, von meinem Fenster aus sind sie schön zu sehen, wie sie fluoreszierend zwischen den beleuchteten, bauchigen Wolken verschwinden, um eine Minute oder eine halbe später wieder herunterzufallen, der eine schneller, der andere langsamer, je nachdem, ob sich sein Engelsfallschirm geöffnet hat oder nicht. Der Stromausfall ist gerade zu Ende gegangen, ich schreibe hastig, wer diese Sendung öffnet, wird verstehen, wieso. Es ist acht Uhr durch, abends, die Zeit läuft mir allmählich davon, morgen früh um acht wird mich aller Wahrscheinlichkeit nach eine gewisse Person besuchen, um mich mitsamt des Computers mitzunehmen und ausstopfen zu lassen, eventuell sogar zu häuten: einen ehemaligen Mitmenschen, ja Verbündeten, über den die Sprache des Blutes hinweggegangen ist. Ich habe also sehr wenig Zeit, eine einzige, angebrochene Nacht, spätestens Viertel vor acht morgen früh muß ich dieses verhinderte Skript-Konvolut zusammengestellt und per E-Mail versendet haben." (Beginn von "Meines Helden Platz") |
Ihr erster Roman "Alle Tage" war anno
2004 in aller Munde ("'Alle Tage' ist das bestechende Albtraumbuch unserer Zeit"
- DIE ZEIT; "Ein wahres Wunderbuch" - FAZ; "Und wenn Sie nichts müssen in diesem
Herbst, das müssen Sie jetzt lesen. Sie müssen!" - DIE WELT).
Terézia Moras schwungvolle, kreative Übersetzung von "Meines Helden Platz" ist
eine ebensolche Meisterleistung.
Palomismus verleiht Flügel
Im "Duden Fremdwörterbuch" findet sich zu "Populismus" folgende allgemeine Definition:
"Von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik mit dem Ziel,
durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen".
In "Meines Helden Platz" müssen die Massen kräftig Federn lassen, denn der am
12. Oktober 1953 im ungarischen Szekszárd geborene Lajos Parti Nagy hält den
Zeitgenossen mit seinem anno 2000 entstandenen Roman in der Tradition klassischer
Gesellschaftssatiren
einen Spiegel vor, indem er auf humorvolle Weise das absurde Gehabe rabiater
Umstürzler samt Hohlkopfwortschatz detailgetreu versprachlicht. Auch vermittelt
er die Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber einem in sämtliche Bereiche des
Daseins einsickernden Parteiapparat; doch Verlockungen der Macht, Bestechlichkeit
und Verführbarkeit werden ebenso entschleiert wie die Mechanismen von Kollaboration
und Wegschauen.
In dieser literarischen Gattung gängige Elemente wie Perspektivenwechsel und
Rollentausch kennt man u.A. aus Michail Bulgakows "Hundeherz", Pierre
Boulles "La planète des singes" (dt. "Planet der Affen") oder George Orwells
"Animal Farm" (dt. "Farm der Tiere").
Lajos Parti Nagy macht in "Meines Helden Platz" turbulente Veränderungen des
Gesellschaftsklimas vornehmlich anhand von Sinneseindrücken sichtbar und spürbar;
Bilder, Gerüche und Geräusche vermitteln das eingekesselt Sein in einer mit
jedem Tag befremdlicher werdenden Umgebung, wo selbst der Rückzug in die eigenen
vier Wände keinerlei Schutz bietet, denn ein aufgeplusterter Wichtigtuer wie
Cäsar Tubitza kommt und geht überall nach Belieben ein und aus.
Cäsar Tubitza, der größenwahnsinnige Oberrassenvizepräsident (nach einem internen
Gemetzel sogar Rassenpräsident) mit einschlägig-billigem Vokabular, nistet sich
vorerst beim Erzähler ein und verstrickt diesen im Zuge der überwiegend als
aufgeblähte sexbesessene und machtgeile Monologe ablaufenden Unterhaltungen
in einen Teufelskreis aus Überwachung, Verfolgungswahn und Zukunftsvisionen.
So soll der von Natur aus mit
"Taubenhaut" gesegnete Erzähler namens Lajos als menschliches Versuchs"kaninchen"
fungieren, um die Machbarkeit der Metamorphose zur Menschentaube zu testen,
quasi als unfreiwilliger Prototyp einer genmanipulierten Ikarusvariation. Außerdem
soll er sein schriftstellerisches Talent in den Dienst der Bewegung stellen.
Die "Lebenspalomistische Bewegung" verfügt über Hochleistungsmikrowellenbrutapparate
und geheime Genstudios, man trägt unter jedem Flügel ein Mobiltelefon, die Schusswaffen
sitzen locker, um ein Menschenleben macht man kein Federlesen. Spitzelwesen
und Denunziation liegen in der Luft, denn schließlich soll die "neue Ordnung"
im Zeichen des Krallenkreuzes obsiegen.
Blindwütige Umstürzler gehen über Leichen, daran lassen Cäsar Tubitzas unverhohlene
Drohungen keinerlei Zweifel aufkommen. Wer aufmuckt, landet umgehend als Leiche
im Fahrstuhlschacht.
Im Eifer des Wortgefechts kann es freilich schon einmal vorkommen, dass Dampfplauderer
Tubitza anstelle von Wasserwerfern Turbowasserbetten bestellt, zur Schande der
Bewegung, zumal diese Wasserbetten ausschließlich taiwanesische Sprachkommandos
erkennen können. Wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne - die eine oder
andere Bruchlandung ist vorprogrammiert.
Cäsar Tubitzas cognackirschensüchtiges Weibchen Renzi, ein einfältiges Turteltäubchen,
schießt in mancherlei Hinsicht den Vogel ab.
Auf vergnügliche Weise wird die bescheidene Intelligenz der Palomisten dargestellt,
beispielsweise als Cäsar die Ereignisse in Lajos' Literatur für bare Münze nimmt
und hartnäckig versucht, den verzweifelnden Schriftsteller über die Produkte
der schriftstellerischen Fantasie auszuquetschen als handle es sich um Tatsachenberichte.
Irgendwie sind sie das auch buchstäblich; doch dazu später.
Unter "Brüdern" wird ungeniert geschnattert - pardon, gegurrt -, wie der Schnabel
gewachsen ist, Gesinnungsterror ist auf dem Vormarsch, Schlägertrupps ("Adlerboys")
und "Kolibripitbulls" machen die Straßen (un)sicher, den Gruß
"Reinenweizen"
zu gebrauchen empfiehlt sich, man kaut lässig Weizengummi, eingehüllt in Domestosschwaden
und Federpuder.
Die Vormachtstellung der Menschen soll nämlich beendet werden, und zwar ausgerechnet
von neureichen Taubenemporkömmlingen, die sich anschicken, die Weltherrschaft
zu übernehmen. Denn: "Der Punkt ist, keiner ist weniger wert als der andere,
maximal mehr."
Stadttauben gehören nun gewiss nicht zur Elite der Vogelwelt, vielmehr werden
sie von Menschen oftmals als "geflügelte Ratten", deren ätzender Kot Fassaden
und Denkmäler verunziert und beschädigt, bezeichnet. Manche Städte leiden unter
wahren Taubenplagen.
Wie Netzseiten zum Thema "Taubenabwehr" zu entnehmen ist, halten Rabenattrappen
angeblich Tauben auf Distanz, und auch "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua.
Ein republikanisches Trauerspiel" von Friedrich Schiller liefert einen Denkansatz:
"Wie Tauben auseinander flattern, wenn in den Schlag sich ein Geier wirft?"
In "Meines Helden Platz" findet sich jedoch weder eine Rabenattrappe noch ein
Geier, und längst führen Tauben kein Schattendasein mehr, wie es
Georg
Trakl in "Verlassenheit" darstellte ("In den düsteren, dunklen Höfen fliegen
Tauben umher und suchen sich in den Ritzen des Gemäuers ein Versteck. Sie scheinen
immer etwas zu befürchten, denn sie fliegen scheu und hastend an den Fenstern
hin.").
Ganz im Gegenteil, mit geschwellter Brust suhlt sich die dreiste Taube von heute
im Großstadtunrat und weiß sich dabei in guter Gesellschaft. Zahlenmäßige Überlegenheit
verleiht Einigkeit und Selbstbewusstsein.
"In meinem Buch geht es Macht, um Größenwahn, um Verführbarkeit und um die
Angst der Menschen, Angst vor uns selbst. Welche Fehler und dummen Dinge wir
machen. Ich glaube, das gilt für die ganze Menschheit. Ich meine, dass man seine
Ängste im Griff haben soll." (Lajos Parti Nagy)
Möglicherweise wundert man sich zunächst ebenso wie der Ich-Erzähler des Romans,
der bereits erwähnte Schriftsteller Lajos, als dieser von seinen Taubennachbarn
angesprochen wird, wobei alles ganz harmlos anfängt und der Eindruck entsteht,
des Erzählers Fantasie gehe beim Protokollieren gewisser Ereignisse mit ihm
durch (bei Dichtern angeblich keine Seltenheit), zumal die Grenze zwischen als
solchen kenntlichen Gedankenspielereien und realen Begebenheiten mit jeder Buchseite
durchlässiger wird.
Obdachlose mutieren infolge Genusses eines experimentellen Weingemischs (zum
Glück nur vorübergehend) zu Riesen, was die alarmierten Sicherheitsorgane ratlos
mitansehen müssen, der Erzähler prahlt im Freundeskreis mit seinen tollkühnen
Einfällen, und nach dem damit einhergehenden Besäufnis erwacht der Protagonist
gleichsam zweigeteilt. Doch handelt es sich hierbei erst um den Auftakt eines
weitreichenden Wandels; denn: Tubitzas Organisation verleiht auch Mitläufern
Flügel - durchaus im Wortsinn.
Aber wo befindet sich der im Romantitel erwähnte
Held? Sein
Platz ist lange Zeit sozusagen "auf der anderen Seite des Computermonitors"
- "Alice im Wunderland"
lässt grüßen. Wie ein moderner "Kalif Storch"
berichtet der "Doppelgänger" seinem alter ego, dem gebannt vor dem Bildschirm
ausharrenden Schriftsteller, monatelang in tagebuchartig abgefassten E-Mails
aus dem Hauptquartier der Palomisten ("Haus des Erwachens") von den dortigen
Zuständen und vom Verlauf seiner Genesung nach der wahnwitzigen Hauttransplantation,
im Zuge derer seine Kehrseite mit gefiederter Taubenhaut samt Flügeln ausgestattet
worden ist. Prompt findet der Held Gefallen am mühsam erlernten Fliegen sowie
am Aufstieg innerhalb der Bewegung, muss der Gemahlin Cäsar Tubitzas zu Willen
sein und überhaupt allerlei Erniedrigungen ertragen. Allerdings gilt, dass am
besten lacht, wer dies zuletzt tut!
Vor dem Monitor stellt der Literat Lajos mit Erschrecken fest, dass die Vorgänge
in seiner Wirklichkeit zunehmend den von seinem Helden geschilderten Ereignissen
entsprechen. Dem Menschen Lajos kommt in einer Art loser Rahmenhandlung die
Rolle eines Chronisten zu, der im Lauf der "Nacht des Reinen Weizens" beide
Erzählstränge verbindet.
Lajos Parti Nagy schwelgt stellenweise in überaus detailfreudigen atmosphärischen
Schilderungen und ausufernden Monologen, die sich infolge Wiederholung unweigerlich
abnützen; eine Geschmacksfrage sicherlich.
"Meines Helden Platz" besticht in erster Linie durch einfallsreiche Effekte
und Sprachwitz, denn eines steht außer Zweifel: Der Autor hat zeitgenössischen
Populisten genau auf die Schnäbel geschaut, ihre Parolen gerupft und sodann
mit fremden Federn geschmückt.
Schließlich grinsen Figuren wie Cäsar Tubitza von zahlreichen Plakatwänden,
und ihr Geschwätz dringt aus Radios und Fernsehapparaten.
Sagen Sie also nicht,
werter Leser, man hätte Ihnen nicht rechtzeitig "Reinenweizen" eingeschenkt!
(kre)
Lajos Parti Nagy: "Meines Helden Platz"
(Originaltitel "Hösöm Tere")
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora.
Gebundene Ausgabe:
Luchterhand, 2005. 301 Seiten.
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Taschenbuch:
btb, 2007.
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Ein Buchtipp:
Terézia Mora: "Alle Tage"
Am Anfang hängt in einem abgetakelten Bahnhofsviertel ein Mann kopfüber von
einem Klettergerüst. Sein Name ist Abel Nema, und man sagt ihm nach, ein Genie
zu sein. Doch was nützt das, wenn sich einmal ein Leben derart verändert hat,
dass sich nichts und niemand mehr am richtigen Ort befindet - am allerwenigsten
man selbst. Zuerst verschwindet der Vater spurlos, dann, nachdem Abel ihm seine
Liebe erklärt hat, der Jugendfreund, und schließlich bricht in seinem Heimatland
auch noch ein
Bürgerkrieg aus - seitdem sitzt er im Westen
fest. Immer wieder nimmt er Anlauf, Herr über sein Schicksal zu werden, versucht
sich als Lehrer und als Landstreicher, und am Schluss sogar als Ehemann. Er
wird, und nicht nur einmal, geliebt, dennoch: "Eines Tages ist der talentierte
Mensch, der ich bin, einfach verzweifelt."
Ein Prosalabyrinth von seltener
Sprachkraft und einem ausgesuchten Reichtum an Bildern, der in der
deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seinesgleichen sucht.
Terézia Mora
erzählt den Höllentrip eines entwurzelten und wortlosen Mannes, für den es am
Ende doch eine Erlösung geben wird. (btb)
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