Andrea Parr: "Pepita la Pistolera"

Gefährliche Geschichten

Amoklaufen am laufenden Band und Geschlechterkampf bis aufs Messer:
Auge um Auge, Zahn um Zahn


Sie mögen absurde Figuren, die überwiegend in gehobenem Ambiente leiden und leiden lassen, oberflächliche Grausamkeiten, die Untiefen dessen, was gemeinhin als "Normalität" bezeichnet wird, und begeistern sich - theoretisch, versteht sich - für Handlungen im Affekt, deren Konsequenzen nicht unbedingt absehbar sind? Dann werden Sie "Pepita la Pistolera" vermutlich mit einigem Vergnügen lesen.
Es handelt sich um 13 ziemlich bitterböse Texte, die überwiegend blutrünstige Entgleisungen, allerhand Genrespezifisches aus dem Krimifach mit Zeitgeist würzend, in knapper Sprache zu teils verstörenden, teils unterhaltsamen Episoden vermischen. Dass Begriffe wie "Recht" und "Unrecht" mitunter höchst subjektiv interpretierbar sind, dürfte ja allgemein bekannt sein ... Und vermutlich sollte man in Momenten, da man sich psychisch instabil fühlt, von derartiger Lektüre tunlichst die Finger lassen.
Weshalb? Nun, urteilen Sie selbst:

Da gibt es Victoria, die von Minderwertigkeitsgefühlen beherrschte Tochter eines verführerischen Filmstars, die sich in einem Befreiungsschlag ihrer übermächtigen Mutter recht unsanft zu entledigen scheint (Zeugen und Beweise fehlen freilich), wobei ein Leopard keine unbedeutende Rolle spielt; Robert wird vom Balkon des perfekt-unwohnlichen Familienwohnsitzes gestoßen, weil sein nicht enden wollendes meckerndes Gelächter für Ella, die neurotische Gemahlin, das Fass zum Überlaufen bringt; Felicitas Wagner erschießt die Diebe ihres Wagens ohne mit der Wimper zu zucken; Lili und Erich fechten einen dieser typischen Beziehungskleinkriege zum Thema Kleider aus; einer von seiner Allergie auf Blumen schwer beeinträchtigter Ganove stellt zu spät fest, dass sein Plan null und nichtig ist; die von der eigenen Familie und den Mitmenschen überhaupt enttäuschte, unscheinbare Rentnerin Frau Drewe übt in den unterirdischen Labyrinthen der U-Bahnhöfe ihr mörderisches "Handwerk" aus und rechtfertigt dies mit Bibelzitaten; Alan - blind vor lang aufgestauter Wut - prügelt seine Frau Cosima in der ebenso teuren wie scheußlichen Umgebung der ungeliebten Wohnung im Verlauf einer eskalierenden Auseinandersetzung, bei der die Frau den folgenschweren Fehler begeht, Alans Laptop mit Espresso zu übergießen; Ilona, eine verlassene, schießwütige Ehefrau, übt Selbstjustiz - mit überraschendem Ausgang; Teresa, "ein seltsames Mädchen" fällt - sozusagen sehenden Auges - einem Lustmörder zum Opfer; die Atmosphäre eines Nobelhotels treibt die gleichermaßen sex- wie fitnessbesessene, kokainsüchtige Ruth in den Wahnsinn und schließlich in den Tod (- oder hat da etwa der in seinem Stolz verletzte Fitnesstrainer/Liebhaber seine Finger im Spiel?); eine junge Frau wird in Argentinien von den Schatten ihrer grausamen Untaten eingeholt; und die ebenso schrägen wie eingebildeten Frühlingsgefühle des ältlichen Fräuleins Wally finden ein jähes Ende ...

Lauter eigenständige Texte also, die - jeder für sich genommen - hinter Schlagzeilen der Boulevardpresse stehen könnten, gelegentlich von einem Hauch "Pulp Fiction" durchströmt.

Andrea Parr, geboren 1960, ist promovierte Theaterwissenschaftlerin und arbeitet als Schriftstellerin und Journalistin. 
Bisherige Publikationen: 
Sachbücher: "Gnadenlos glücklich. Das süße Leben um die 30" (1995, zusammen mit Claudius Seidl), "Mythen in Tüten. Der Deal mit den Stars" (1997); einige Kurzgeschichten; Romane: "Herzen pflastern ihren Weg" (1997), "Sliding Doors - Sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht" (1998, zusammen mit Peter Horwitt) und  "La Belle und La Betty" (2000).

(S. Gabriel; 07/2003)


Andrea Parr: "Pepita la Pistolera"
dtv, 2003. 176 Seiten. 
ISBN 3-423-20633-0.
ca. EUR 9,-.
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Ergänzende Buchtipps:

Andrea Parr: "Mythen in Tüten. Der Deal mit den Stars"
An dem Wandel und gleichzeitig den Konstanten des Startums, das zu jeder Zeit auch ein Spiegel seiner Zeit ist, lässt sich ein Wandel der Medien- und Konsumgesellschaft ablesen. Stars früher wie heute sind ein Produkt, an dem vom Drehbuchautor über den PR-Manager bis zum Fan alle mitstricken - das Prinzip bleibt, die Muster hingegen ändern sich. So liest sich dieser temperamentvolle Ritt durch die Stargeschichte, von der Autorin angereichert mit zahlreichen staunenswerten Anekdoten, kleinen Bosheiten und nostalgischen Huldigungen, auch wie eine Sitten- und Mentalitätsgeschichte.
dtv, 1997. 200 Seiten.
ISBN 3-423-24106-3.
ca. EUR 12,27.
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Andrea Parr, Claudius Seidl: "Gnadenlos glücklich. Das süße Leben um die 30"
Das Leben geht weiter nach dem großen Spaß der 1980er Jahre. Wie lieben und leben sie danach, die Late-Bloomers, die, nun doch erwachsen geworden, den Ernst des Lebens nicht nur im Spiegel begegnen?
Zwei von ihnen, Andrea Parr und Claudius Seidl, ziehen Bilanz, ganz persönlich und doch für alle. Da ist vom Heiraten die Rede, aber auch von Singles, von denen, die es geschafft haben, aber auch von denen, die ihre Träume im metallenen Küchengrab versenken oder am Steuer ihres mittlerweile eigenen Taxis abgeben mussten. Ob Politik, Kultur oder ganz einfach die Liebe: Sie sprechen über sich und über das, was sie erlebt haben, und was sie kennen wie keiner - das süße Leben diesseits und jenseits der Dreißig.
dtv, 1995. 208 Seiten.
ISBN 3-423-30495-2.
ca. EUR 14,32.
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