Pierre Ouelette: "Die dritte Plage"


Moderne Thriller über Pandemien oder Epidemien neuer Krankheiten suchen meistens die Schuld in irgendeiner Weise im menschlichen Handeln oder in der Unterlassung eines Handelns. Oft spielen an irgendeinem Punkt unverantwortlich handelnde Wissenschaftler oder Politiker eine Rolle, und nicht selten hat eine Forschung im militärischen Bereich eine Menge mit den beschriebenen Ereignissen zu tun.
Zumindest die ersten beiden Momente spielen auch in diesem Roman eine bestimmte Rolle dabei, dass am Ende etwa 60 Prozent der Erdbevölkerung tot sind. Aber diese Personengruppen sind hier nicht schuldig. Schuld trägt der Umstand, dass unsere Welt so schnell so viel kleiner geworden ist, und Menschen und Waren sich 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche um die Erde bewegen, die soziale Mobilität größer geworden ist und dies eigentlich ein unumkehrbarer Prozess ist, der neben den uns bekannten Vorteilen eben auch etliche Gefahren birgt. Die menschlichen Dramen von Verrat und Verbrechen, von Liebe und Eifersucht, von Gewinnstreben und Angst machen diesen Roman sehr vielschichtig und sind für sich allein genommen schon überaus lesenswert, aber sie können nicht darüber hinweg täuschen, dass der Ausbruch einer Pandemie in unserer Welt in erster Linie auf der Verkettung von unglücklichen Zufällen beruhen dürfte, über die die Figuren in der Romanwelt - und wohl auch wir in der realen Welt - keinerlei Kontrolle haben dürften.

Darum ist neben der Welt der Menschen auch der mikrobiologische Mikrokosmos in diesem Roman von besonderer Bedeutung, in dem Bakterienstämme ihre eigenen Abenteuer erleben, die jedes Eintauchen in einen neuen Organismus wie das Entdecken einer neuen Welt erscheinen lässt. Hierbei werden die Erreger stellenweise natürlich stark anthropomorphisiert, was allerdings nie wirklich ins absolut Unwissenschaftliche abgleitet und dafür sehr komplexe Geschehen im Mikrokosmos leichter verständlich macht. Insofern ist "Die dritte Plage" ein Lehrbuch über einen Teil unserer Welt, über den wir meist nur sehr vage Vorstellungen haben und den wir vielleicht auch - für unseren eigenen Seelenfrieden - gar nicht so genau kennen wollen. In "Hotzone" wurde nach dem bekannten Film "Outbreak" beschrieben, wie der ehemalige Direktor des CDC nach seiner Pensionierung in die Berge an einen einsamen See zog, wo die geringste Verseuchungsgefahr auf der Welt besteht. Dummerweise gibt es nicht so viele einsame Bergseen, dass wir alle sorglos leben könnten. Hier kurz die Kerngeschichte:

In dem Kühlraum eines großen Frachters kommt es zu einer Störung und etwa ein Dutzend eingefrorener Hühnchen werden leicht angetaut, was einige Salmonellenstämme in ihrem Fleisch aktiviert. Eines dieser Hühnchen steht schließlich zum Auftauen auf einer Fensterbank, wo eine Fliege sich daran gütlich tut, die dann in einen Papageienkäfig fliegt, wo sie einige der Erreger auf dem Vogelfutter hinterlässt, das der bereits an der Papageienkrankheit erkrankte Vogel frisst. In den Nasenschleimhäuten dieses Papageis tauschen die Salmonellen mit den Erregern der Papageienkrankheit DNA-Fragmente aus, wodurch die Papageienkrankheit gegen eines von zwei noch wirksamen Antibiotika resistent wird. Über einige Umwege landet dieser Papagei dann in einer Bar auf einer kleinen Insel vor der afrikanischen Küste, wo er eine an Syphilis erkrankte junge Frau beißt. Deren mit Erregern angereichertes Blut findet den Weg zu den mutierten Salmonellen, und es findet ein weiterer Informationsaustausch statt. So entsteht eine vollständig antibiotikaresistente Chlamydiae-Erregergruppe, die zunächst Erkältungssymptome auslöst, bevor sie dann systemisch wird und zu einer schrittweisen Auflösung des Wirtes führt, der davor allerdings etwa zwei Wochen lang als "Bakterienmutterschiff" diese Erreger durch die Welt trägt. Dass die Insel ein Reisedurchgangspunkt ist, macht die Katastrophe perfekt, bevor die ersten Krankheitsfälle auftreten und den Gesundheitsbehörden der Welt bewusst werden.
Danach bekommen Leserin und Leser sehr anschaulich präsentiert, wie wenig selbst die am weitesten "entwickelten" Länder der Welt auf eine solche Pandemie vorbereitet sind und welche Veränderungen dies hervorrufen wird.
Absolut nichts für depressive Menschen oder Pessimisten. Aber sehr spannend und informativ.

 (K.-G. Beck; 09/2002)


Pierre Ouelette: "Die dritte Plage"
Taschenbuch:
Heyne, 2001. 511 Seiten.
ISBN 3-453-18911-6.
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