Amélie Nothomb: "Kosmetik des Bösen"


Amélie Nothombs "Kosmetik des Bösen" ist auf keinen Fall als Bettlektüre zu empfehlen!

Es ist ein Buch, das den Leser heftig schaudern lässt, das er jedoch genauso wenig abschütteln kann, wie die Hauptfigur Jérôme Angust seinen aufdringlichen Verfolger. Und trotzdem ist das Buch so lesenswert! Weil es kein einfacher Splatter-Roman ist. Blutige Einzelheiten bleiben dem Leser erspart - nicht aber bitterböse Schlagabtausche über Moral und Gewissen. Mit ihrem rasanten Dialog schafft es Amélie Nothomb, den Leser unausweichlich dazu zu bringen, über verborgene Kellerleichen der menschlichen Psyche nachzudenken.

In dem Roman wartet der Pariser Geschäftsmann Jérôme Angust am Flughafen auf seine verspätete Maschine, als er von einem wildfremden Mann angesprochen wird. Ungefragt beginnt der Unbekannte, Jérôme seine Lebensgeschichte zu erzählen. Und was für eine! Der Mann, der sich Textor Texel nennt, gesteht, vor zwanzig Jahren eine Frau vergewaltigt zu haben. Eiskalt berichtet er von seiner Tat und zeigt dabei keine Spur von Reue. Als Gipfel der Scheußlichkeit behauptet Textor sogar, diese Frau zu lieben! Jérôme fühlt sich von dem ungeheuerlichen Fremden angewidert und verurteilt ihn als abartig, makaber, gewissenlos und unfähig zu echter Liebe. Er will nichts weiter hören und setzt sich demonstrativ auf einen anderen Platz. Aber Jérôme hat keine Chance. Der aufdringliche Verfolger lässt sich nicht abschütteln: Jérôme muss zuhören.

Wie besessen sei Textor durch ganz Paris geirrt, immer auf der Suche nach der unbekannten Frau, die ihm nach der Vergewaltigung entwischt und in der Menge verschwunden war. Jahrelang suchte er nach ihr, die er angeblich so sehr liebte. Als er ihr plötzlich gegenüber stand, entwickelte sich eine verworrene Begegnung voll gehässiger Wortgefechte, die damit endete, dass er ihr ein Messer in den Leib rammte. An dieser Stelle des Lebensberichtes erstarrt Jérôme. Er weiß nun, dass der Fremde nicht zufällig gerade ihn mit seiner düsteren Lebensgeschichte belagert: Voller Entsetzen erkennt Jérôme, dass der Andere viel mehr mit seiner eigenen Lebensgeschichte zu tun hat, als ihm lieb ist ...

(Almuth Weinberg; 04/2004)


Amélie Nothomb: "Kosmetik des Bösen"
(Originaltitel "Cosmétique de l’ennemi")
Aus dem Französischen von Brigitte Große.
Diogenes, 2004. 112 Seiten.
ISBN 3-257-06393-8.
ca. EUR 16,90. Buch bestellen

Amélie Nothomb wurde am 13. August 1966 in Kobe (Japan) geboren. Die diplomatische Laufbahn ihres Vaters im Fernen Osten bestimmte die Stationen ihrer Kindheit. Als sie mit 17 zum erstenmal nach Europa kam, nach Brüssel, um alte Sprachen zu studieren, erlebte sie einen Kulturschock. Sie kannte Europa nur aus Romanen von Stendhal, fand keine Freunde und merkte, dass ihre Familie aristokratisch ist. Aus Einsamkeit begann sie zu schreiben. Nach dem Studium zog sie sofort wieder nach Asien. In Tokio arbeitete sie als Dolmetscherin "zwölf Stunden am Tag, 360 Tage pro Jahr" und war genauso oft unglücklich. Sie beschloss, doch Europäerin zu werden, verließ ihre Firma und ihren japanischen Verlobten und kehrte nach Brüssel zurück.

Ergänzende Buchtipps:

"Quecksilber"
Man schreibt das Jahr 1923. Ein alter Mann und eine junge Frau leben auf einer Insel in totaler Abgeschiedenheit. Fünf Jahre zuvor hat der alte Kapitän das Mädchen nach einer Bombardierung aus den Trümmern gerettet. Seither ist sie in seiner Obhut - und in seiner Gewalt. Als die junge Frau von einem Fieber befallen wird, bestellt der Alte eine Krankenschwester auf die Insel. Sie soll die Kranke pflegen, unter der Bedingung, dass sie ihr nichts über ihren wahren Zustand verrät. Andernfalls müsse sie sterben. Die Krankenschwester gehorcht dem Alten. Doch wird sie auch zur Komplizin des Mädchens. Es beginnt ein Intrigenspiel, das um so raffinierter ist, als man nicht unterscheiden kann zwischen Gewalt und Liebe, Betrug und Wahrheit, Illusion und Wirklichkeit. Ein phantastischer philosophischer Thriller.
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"Metaphysik der Röhren"
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"Im Namen des Lexikons"
Nomen est omen. Lucette weiß, dass ihrer Tochter ein besonderes Schicksal vorbestimmt ist. Deshalb lässt sie sie auf den Namen Plectrude taufen. Dieser Name soll Garantie sein für ein intensives und abenteuerliches Leben. Und tatsächlich: Plectrude ist anders. Anders als ihre Geschwister, anders als die Klassenkameraden. Mit ihren großen Augen bezaubert oder erschreckt sie die Leute. Sie hat kein Talent, außer fürs Ballett. Darin ist sie hochbegabt. Ein Wunderkind! Als Kleinkind lebt Plectrude in einer märchenhaften Fantasiewelt. Doch schon bald wird sie von der Wirklichkeit eingeholt: In der Schule ist sie die totale Außenseiterin. Nur das Ballett bietet noch Raum für hochfliegende Träume - bis Plectrude die École des rats an der Pariser Oper besucht, wo auch die letzten Illusionen zerbrechen. "Im Namen des Lexikons" ist die rasant erzählte Geschichte eines Wunderkinds - eine Geschichte, die tragisch enden könnte, wäre da nicht die übersprühende Lebenslust und die Erkenntnis, noch mal von vorne anfangen zu können: als (fast) ganz normaler Mensch.
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"Mit Staunen und Zittern"
Die junge Belgierin Amélie tritt freiwillig eine Höllenfahrt an: Aus Neugier und Abenteuerlust verpflichtet sie sich, 365 Tage lang bei Yumimoto zu arbeiten. Da sie weiß, von welcher Bedeutung Ehrenkodex und Hierarchie in einem japanischen Unternehmen sind, versucht sie sich unterzuordnen. Doch damit kommt sie nicht weit. Denn erstens ist sie Europäerin und zweitens eine Frau. Nichts scheint sie richtig zu machen. Ob es nun um das Verfassen eines einfachen Briefes, das Eintragen von Zahlen oder um simples Fotokopieren geht. Amélie fügt sich ihrem Schicksal und erträgt alle Demütigungen. Dennoch: Ihre Haltung - eine Mischung aus japanischem Zen und europäischer Ironie - ist keineswegs untertänig. Dank ihrer frechen und subversiven Gedankenkapriolen entkommt sie dem "huis clos" unbeschadet und verlässt die Firma Yumimoto nach exakt einem Jahr gestärkt und ein bisschen weiser.
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