Åsa Nilsonne: "Im Verborgenen"

Vielschichtige Ermittlungen in Stockholm


Åsa Nilsonne erzählt in ihrem Kriminalroman "Im Verborgenen" die Geschichte einer jungen Frau, die durch ihre Umwelt zu einem kämpferischen und bedingungslos ehrlichen Menschen gemacht wurde. Hermine Gyldenklou ist Medizinstudentin und schreibt ihre Doktorarbeit, als sie ermordet aufgefunden wird. Die junge und ehrgeizige Polizistin Monika Pedersen ist zusammen mit ihrem Kollegen als Erste am Tatort. Was Monika jedoch nicht wissen kann ist, dass gerade sie in diesem Mordfall weiterermitteln wird. Am Tatort empfindet sie nur Mitleid mit der jungen Frau. Ein Gefühl, das sie sich eigentlich nicht erlauben darf.

Am nächsten Tag tritt Monika eine Vertretungsstelle bei der Mordkommission an. Und hier kommt sie auch gleich wieder mit dem Mordfall Gyldonklou in Berührung. Doch gleich zu Beginn der Ermittlungen kommt es zu einem unausgesprochenen Konflikt zwischen Monika und ihrer neuen Chefin Dagga, einer Powerfrau, die alle menschlichen Beziehungen auf das Sexuelle und wenn das nicht geht, dann zumindest auf Mann-Frau-Beziehungen reduzieren will.

Monika beginnt in der Vergangenheit der Toten zu ermitteln und erkennt immer mehr Parallelen zu ihrem eigenen Leben. Hermine Gyldenklou war ein unerwünschtes Kind. Ihrer Mutter gelang es nie, einen Draht zu ihr zu finden. Sie konnte für ihr erstes Kind keine wirkliche Liebe fühlen. Wegen ihres Todes empfindet sie erschreckend wenig Trauer. Doch um ihre Kinder aus zweiter Ehe kümmert sie sich rührend. Zum zweiten Mann ihrer Mutter hatte Hermine keinerlei Kontakt. Dagga wittert hier ein Motiv für Hermines Tod. Eine Ansicht, die Monika nicht mit ihr teilen kann. Hermines Vater war ein Adliger, der zwar nie den Kontakt zu seiner Tochter wollte, sie aber trotzdem bei ihrer Ausbildung finanziell unterstützte. All das machte Hermine zu dem Menschen, als den Monika sie kennen lernt. Hatten vielleicht ihre Halbgeschwister oder ihre Stiefmutter einen Grund, Monika zu ermorden?

Doch schon bald weisen die Ermittlungen Monikas in eine ganz andere Richtung. Hermine arbeitete in einem Forschungsinstitut an einem neuen Diagnoseverfahren für Virusinfektionen. In ihrem Schreibtisch findet Monika eine nicht zu identifizierende Substanz. Außerdem stellt sie fest, dass Hermine ihr Studium aus unerklärliche Gründen für ein Jahr unterbrochen und dieses Jahr in England verbracht hat. Monika reist auf eigenes Risiko nach England und besucht den Zoo, in dem Hermine zu dieser Zeit gearbeitet hat. Anfangs zeigen sich die ehemaligen Arbeitskollegen von Hermine denkbar unkooperativ, doch in einer Nacht am Strand erfährt Monika was Hermine in England gemacht hat und wer der Mann auf dem Foto war, das sie in Hermines Wohnung gefunden hat. Sie lernt Hermine als einen Menschen kennen, der nicht nur bedingungslos ehrlich war, sondern der auch bedingungslos für eine Sache kämpfen konnte. Hermine lag das Überleben vieler vom Aussterben bedrohter Tierarten am Herzen. Wollte sie einen Virus züchten, der die Anzahl der Menschen auf der Erde dezimieren würde, und wurde sie vielleicht deshalb getötet?

Zurück in Schweden merkt Monika, dass eigentlich niemand im Ermittlungsteam an den Ergebnissen ihrer Nachforschungen interessiert ist. Für Dagga ist ein ehemaliger Geliebter Hermines der Hauptverdächtige. Hermine hatte angeblich kurz vor ihrem Tod ein Buch über ihre Beziehung zu dem sehr berühmten und verheirateten Künstler geschrieben und angekündigt, es zu veröffentlichen. Wurde sie vielleicht deshalb ermordet? Auch wenn der Künstler festgenommen wird, glaubt Monika nicht an seine Schuld. Sie ermittelt weiter in dem Institut, in dem Hermine gearbeitet hat und findet heraus, dass sich vor nicht allzu langer Zeit eine Stipendiatin des Instituts das Leben genommen hat. Je weiter Monika ermittelt, desto mehr Fragen stellen sich ihr. Warum hielt Hermines Chefin sie für unfähig, warum machte Hermine die Arbeit im Institut keinen Spaß, und warum scheint die junge asiatische Stipendiatin Angst vor der Polizei zu haben?

Bis Monika Pederson den Mordfall mehr oder weniger im Alleingang lösen kann, leistet sie noch viel Ermittlungsarbeit, diese ist jedoch nicht nur für sie sondern auch für den Leser stellenweise ziemlich ermüdend.
Der Roman findet sein Ende in einem sehr spannenden und geradezu klassisch-heldenhaften Showdown.
Åsa Nilsonne weist in ihrem Roman typisch schwedisch auf viele soziale und ökologische Probleme hin, was den Roman lesenswert macht. Nur leider gelingt es ihr nicht, dem Leser diese Probleme ohne erhobenen Zeigefinger näher zu bringen.
An manchen Stellen hat mich "Im Verborgenen" sehr an einen Endzeitthriller erinnert. Wollte das Opfer die Menschheit mit einem tödlichen Virus infizieren, und ist die Kommissarin vielleicht schon mit dem Virus infiziert? Ist vielleicht das Forschungsinstitut in illegale Machenschaften verwickelt, die Hermine aufdecken wollte, und wurde sie deshalb ermordet? Oder starb sie einfach deshalb, weil sie schon von Geburt an unerwünscht war?

Dies alles wären interessante und durchaus glaubwürdige Motive für einen Mord. Allerdings verlieren sie an Wirkung, wenn sie alle auf eine Person zutreffen. Es gibt eindeutig zu viele Spuren und Verdächtige in diesem Roman, um ihn noch glaubwürdig erscheinen zu lassen und die Tatsache, dass die meisten Spuren von Monika und noch dazu praktisch allein entdeckt werden, macht das Ganze nicht unbedingt besser.

Ein Lichtblick im Roman ist die Person der Monika Pedersen, die angenehm normal ist. Dadurch gewinnt die ganze Geschichte wenigstens einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit zurück. Die Ermittlerin, die Åsa Nilsonne hier geschaffen hat, kann eine wirklich sympathische und glaubwürdige Figur werden. Jetzt sollten nur noch ihre Fälle weniger spektakulär und vor allem etwas klarer verlaufen.

Die Art und Weise, in der Åsa Nilsonne ihre Geschichte aufbaut, bringt für den Leser erhebliche Vorteile. Man hat nie das Bedürfnis, das Buch beiseite legen zu wollen, sondern man liest sich buchstäblich von einer Spur zur nächsten. Eine Tatsache, die sicher sehr beeindruckend ist. Beeindruckt hat mich auch die Tatsache, dass es Åsa Nilsonne gelingt, nebenbei auf alltägliche Probleme und Fragestellungen aufmerksam zu machen. Die wohl brisanteste Frage, die dem Leser im Buch gestellt wird, ist die nach dem Wert eines einzelnen Menschenlebens. Wenn es sowieso schon viel zu viele Menschen auf der Welt gibt, ist es dann falsch, ein Kind zur Welt zu bringen oder macht diese eine Kind auf die Weltbevölkerung bezogen gar nichts mehr aus? Hat vielleicht dieses eine Menschlein sein Recht auf Existenz deshalb, weil es einen Menschen, vielleicht seine Mutter oder jemanden Anderen, glücklich machen kann, und vor allem: braucht man eine Existenzberechtigung, um leben zu können und wertvoll zu sein?

Fazit: Viele Fragen, die es wert sind, gestellt zu werden. Aber leider fehlt es dem Roman zeitweise an Glaubwürdigkeit, und er kommt nicht umhin, den bitteren Nachgeschmack von Endzeitstimmung zu hinterlassen.

Trotzdem ein Buch, das man weiterempfehlen kann.

Åsa Nilsonne lebt in Stockholm, ist verheiratet und hat drei Söhne. Sie arbeitet als Psychiaterin und Forscherin am Karolinska Institut.

(Anna Mehlmann; 08/2003)


Åsa Nilsonne: "Im Verborgenen"
(Originaltitel "I det tysta")
Aus dem Schwedischen von Dagmar Mißfeldt.
Goldmann, 2002. 224 Seiten. 
ISBN 3-442-45441-7.
ca. EUR 7,90.
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