Magdalen Nabb: "Eine Japanerin in Florenz"
Guarnaccias dreizehnter Fall
Magdalen Nabb hat mit ihrem Maresciallo
Salva Guarnaccia, der in diesem neuen Buch "Eine Japanerin in Florenz" seinen
mittlerweile dreizehnten Fall löst, eine wunderbare Polizistenpersönlichkeit
erschaffen.
Guarnaccia stammt aus Siracuse auf Sizilien, und nicht nur
der gleichen Abstammung wegen erinnert man sich beim Lesen oft an
Camilleris
Salvo Montalbano. Ähnlich wie er ist Guarnaccia nah bei den Menschen und hat
eine ganz eigene, auf seine Intuition und sein Gefühl bauende Weise entwickelt,
an seine Fälle heranzugehen.
Mit einem weiteren berühmten italienischen
Polizisten aus der Krimiliteratur vergleicht man ihn noch öfter:
Donna Leons
Commissario Brunetti, wohl deshalb, weil Brunetti so wie Guarnaccia immer in
derselben Stadt ermittelt - jener in Venedig, dieser in Florenz -, und weil
beide Schriftstellerinnen über ihre Bücher mit den beiden Polizisten viel über
die Kultur und das Leben in diesen beiden Städten transportieren. Und doch
könnten sie unterschiedlicher nicht sein, dort der mit einer Adligen
verheiratete, intellektuelle Brunetti, und hier der aus einfachen Verhältnissen
stammende Guarnaccia.
Sie bekleiden auch sehr unterschiedliche Ränge: Als
Guarnaccia in "Der Tod eines Engländers" 1981 seinen ersten Fall löst, ist er,
gerade aus Sizilien nach Florenz gekommen, einfacher Wachtmeister, während
Brunetti schon seit seinem ersten Fall als Commissario bei der Polizia di Stato
arbeitet.
Die Carabinieri sind in Italien eine polizeiliche Gendarmerie
mit einer fast zweihundertjährigen Geschichte und seit dem Jahr 2000 eine
eigenständige Teilstreitkraft der italienischen Armee neben dem Heer, der Marine
und der Luftwaffe. Organisatorisch gehören sie zum Verteidigungsministerium, das
auch den Haushalt der Carabinieri finanziert. Abseits militärischer und
administrativer Belange unterstehen sie jedoch dem Innenministerium, das allen
italienischen Polizeieinheiten gegenüber weisungsbefugt ist. Die Carabinieri
sind militärisch gegliedert.
Man muss sich diese italienischen
Besonderheiten deutlich machen, um die Bücher von Magdalen Nabb verstehen zu
können. Dabei ist der mittlerweile zum Maresciallo aufgestiegene Guarnaccia
keineswegs ein soldatischer Kommisskopf. Magdalen Nabb zeichnet ihn als
Familienmenschen (seine Familie ist vor einigen Jahren von Sizilien nach Florenz
gezogen), der auch seine Mitmenschen und die, mit denen er bei seinen Fällen zu
tun hat, als Personen mit einer (Familien-) Geschichte und in diese im Guten und
wie Schlechten eingebunden sieht. Guarnaccia, obwohl aus dem Süden (!)
zugereist, ist in seinem Viertel "eingewohnt" und lebt unter den Menschen dort
wie ein Fisch im Wasser.
Auch um einen jungen Kollegen namens Esposito, noch
in Ausbildung befindlich, kümmert er sich wie ein Vater, und so kann er nicht
fassen, als jener in einem Mordfall in den Kreis der Tatverdächtigen
gerät.
In den Boboli-Gärten wird in einem mit Algen übersäten Teich die
Leiche einer jungen Frau gefunden. Es ist die Japanerin Akiko, die gegen den
Willen ihrer Eltern nach Florenz gekommen ist, um bei dem Schuhmacher Peruzzi
eine Ausbildung zu machen. Peruzzi fertigt Einzelstücke mit der Hand und
verkauft sie teuer in der ganzen Welt. Gegenüber Peruzzis Werkstatt betreibt
Lupo seine Trattoria, und auch andere kleine Handwerker und Geschäfte befinden
sich in der Nähe. Das ist Guarnaccias Mikrokosmos:
"Es war ihr Gemeinsinn -
und seine Solidarität mit ihnen, auf die er nach all den Jahren zählte. Er
wusste nicht, wie er anders hätte vorgehen können, und bisher war er damit auch
gut gefahren."
Der Maresciallo hält sich an seine Maxime, auch als sein
junger Kollege Esposito verschwindet und unter dringenden Tatverdacht gerät.
Akiko war schwanger von Esposito, wollte ihn aber nicht heiraten, um nicht noch
einmal in die Abhängigkeit einer großen Familie zu geraten. Selbst als Esposito
nach dessen Suizid in Rom tot aufgefunden wird und sich der Verdacht gegen ihn
erhärtet, bleibt der Maresciallo bei seiner Unschuldsvermutung und gelangt mit
Hilfe der Nachbarn Peruzzis zu einer unvermuteten Lösung ...
(Winfried Stanzick; 02/2006)
Magdalen
Nabb: "Eine Japanerin in Florenz"
(Originaltitel "The
Innocent")
Aus dem Englischen von Ursula Kösters-Roth.
Diogenes, 2006. 352
Seiten.
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