Haruki Murakami: "Kafka am Strand"
"Als mein fünfzehnter Geburtstag gekommen war, ging ich von zu Hause fort, um in einer fernen, fremden Stadt in einem Winkel einer kleinen Bibliothek zu leben. Wenn ich alles der Reihe nach erzähle, brauche ich dafür wahrscheinlich eine Woche. Wenn ich stattdessen zunächst nur die wichtigen Punkte aufführe, dauert es ungefähr genauso lange. Das klingt vielleicht wie der Beginn eines Märchens. Aber es ist kein Märchen. In keinem Sinne.“
Kafka, "die Krähe", Tamura hat seinen
fünfzehnten Geburtstag erreicht, und der stärkste Junge Japans ist entschlossen,
das
väterliche Haus zu verlassen, um sich dem Zugriff seines künstlerisch arbeitenden
Vaters zu entziehen und seine verschwundene Mutter und die ältere Schwester
zu suchen. Mit dem Vornamen Kafka begibt er sich in die Stadt Takamutsa, weil
dies gerade Ziel des ersten Busses ist, der aus seinem Heimatort wegfährt. Bereits
auf der Reise lernt er eine junge Dame kennen, die ebenfalls auf dem Weg nach
Takamatsu ist, und schnell freunden sich die beiden an. Mit dieser Reisegefährtin
namens Sakura soll Kafka auch seine erste sexuelle Erfahrung machen.
In Takamatsu angelangt, bekommt Kafka die Möglichkeit, eine Stelle in einer
obskuren
Privatbibliothek
anzunehmen, und es wird ihm sogar gestattet, dort zu nächtigen. Zwischen den
Büchern, und in Gesellschaft der beiden Bibliotheksangestellten, taucht Kafka
immer mehr in seine eigene Identität und in das Erwachsenwerden ein.
In einer parallel laufenden Handlung ist der 60-jährige Nakata bei seiner Beschäftigung:
entlaufene Katzen aufzuspüren und ihren Besitzern zurück zu bringen. Dies gelingt
ihm vortrefflich, weil er seit einem seltsamen Vorfall im Zweiten Weltkrieg
bei einem Schulausflug geistig stark beeinträchtigt ist, dafür aber mit Katzen
reden kann. Eine dieser Katzen bringt ihn bei einem seiner Aufträge auf die
Spur eines unheimlichen Hundes, der ihn in das Haus eines sadistischen Katzenquälers
namens Johnnie Walker bringt, den er in einer seltsam gestellten Szene töten
muss. Danach kann Nakata die Katzen nicht mehr verstehen, aber sein Leben entwickelt
sich überaus sonderbar. Es regnet Fische und Blutegel, und ein junger Fernfahrer
schließt sich ihm auf einer abenteuerlichen Reise an, deren Sinn und Ziel Nakata
nicht kennt, von der er aber weiß, dass er sie beenden muss.
Begleitet von allerlei seltsamen Umständen, die irgendwo zwischen japanischer
Mystik, Kafka und Hesses "Steppenwolf" anzusiedeln sind, bewegen sich die Akteure
durch ein Japan, das viele Züge eines magischen
Theaters
hat, um am Ende ihr jeweiliges Ziel zu erreichen. Dabei berühren sie auch die
Leben der Menschen um sie herum auf zauberhafte Art und Weise und lassen so
eine in kleinen Teilen sicherlich glücklichere Welt entstehen.
Kunst, Musik, Literatur und Philosophie sind in den Gesprächen und Betrachtungen
der Figuren aus sehr unterschiedlichen Perspektiven miteinander verflochten,
wobei bestimmte Standards des frühen 20. Jahrhunderts aus den westlichen Kulturen
und der Popkultur mit japanischen Konzepten
und Ideen verknüpft werden, die ihre Hochblüte zum Teil im feudalistischen Japan
hatten. Trotzdem werden die Leser hier weder mit Kampfsportphilosophie noch
mit Waffenklirren konfrontiert, obwohl es zumindest einen Mord auf den Buchseiten
gibt.
Hier sind wache und flexible Leser gefordert, um der gedanklichen Komplexität
des Romans gerecht zu werden, unter der nach Empfinden des Rezensenten gelegentlich
die erzählerische Struktur ein wenig leidet. Wer aber ein ausgewogenes Gleichgewicht
zwischen Philosophieren und Handlung zu schätzen weiß, wird an diesem Roman
viel Vergnügen haben.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 05/2004)
Haruki Murakami: "Kafka am
Strand"
(Originaltitel "Umibe no Kafuka")
Übersetzt aus dem
Japanischen von Ursula Gräfe.
DuMont, 2004. 637 Seiten.
ca. EUR 24,90.
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Ergänzende Buchtipps:
"Gefährliche Geliebte"
Hajime
ist Ende dreißig, nach Jahren der Ziellosigkeit ein erfolgreicher
Jazz-Bar-Besitzer, Ehemann und Vater. Frauen haben sein Leben geprägt. In der
Kindheit Shimamoto, wie er selbst ein egozentrisches Einzelkind. Mit Shimamoto
hört er Schallplatten, hält Händchen und spricht über die Zukunft. Mit zwölf
Jahren verlieren sie sich aus den Augen, um sich ein Vierteljahrhundert später
wieder zu begegnen. Wie eine Halluzination taucht die Kindergeliebte Shimamoto
wieder auf, unfassbar und geheimnisumwoben. Sie verkörpert für Hajime, was ihm
im klugen Geschäftsleben und zusammen mit der ausgeglichenen Ehefrau Yukiku
abhanden gekommen ist. Shimamoto erscheint immer an regnerischen Abenden, wie
eine Andeutung aus einer fremden Welt. Die Frau mit dem bezaubernden Lächeln,
das verloren geglaubte Seiten anrührt. Hajime ist bereit, sein bisheriges Leben
aufzugeben, doch nach ihrer ersten gemeinsam verbrachten Nacht ist Shimamoto
verschwunden - auf mysteriöse Weise.
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"Naokos Lächeln"
Der Beatles-Ohrwurm "Norwegian Wood" ist für den siebenunddreißigjährigen
Toru Watanabe ein melancholischer Song der Erinnerung: an den Aufruhr der Gefühle
in einer schmerzvollen und schicksalhaften Jugend, die er zu bewahren und zu
verstehen versucht. "Naokos Lächeln" erzählt lebendig und leidenschaftlich von
einer Liebe mit Komplikationen in den unruhigen 1960er Jahren: Toru, der einsame,
ernste Student der Theaterwissenschaft, begeistert von Literatur, Musik und
wortlosen Sonntagsspaziergängen auf Tokios Straßen, erfährt früh, dass der Verlust
von Menschen zum Leben und zum Drama des Erwachsenwerdens dazugehört. Der Jugendfreund
Kizuki begeht Selbstmord, die geheimnisvoll anziehende Naoko verirrt sich in
ihrer eigenen unerreichbaren Welt, und Toru Watanabe muss sich zwischen ihr
und der vor Lebenslust vibrierenden Midori entscheiden.
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"Sputnik Sweetheart"
Zur Rezension
"Tanz mit dem Schafsmann"
Ein
großstädtischer Junggesellen-Nomade ist Haruki Murakamis erzählender Held. Sein
Leben ist aus der Spur geraten: vierunddreißigjährig, geschieden, ein Freund
gestorben, von einer Frau ohne Erklärung verlassen. Wiederkehrende Träume und
die Erinnerungen an Kiki, die "professionelle Traumfrau" und mysteriös
verschwundene Geliebte, führen von Tokyo nach Sapporo ins Hotel Delfin, eine
ehemals schäbig-schrille Absteige, die um glitzernden Luxuspalast geworden ist.
Hier begann alles, hier wird alles enden - denn verborgen haust hier der
Schafsmann: ein weise-orakelnder Alter, Schutzengel und Schatten des Erzählers.
Seine sanfte Botschaft lautet: Tan, tan, tan. "So gut du kannst. Du hast keine
andere Wahl."
Auf der Suche nach einem neuen Leben verwickelt sich Haruki
Murakamis Erzähler in seltsame Ereignisse. Er lernt die "Hotelfee" vom Empfang
kennen, spürt einen ehemaligen Schulfreund auf, der zum Filmstar geworden, mit
Kiki auf der Leinwand zu sehen ist, und zu dessen Luxusleben teure Call-Girls
gehören; er wird in ominöse Mordfälle hineingezogen und, zwischen Tokyo und
Hawaii, zum Beschützer Erzieher der jungen Yuki, die ein Geheimnis mit ihm
teilt. zur
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"Nach dem Beben"
"Nach dem
Beben", sechs Erzählungen, die Haruki Murakami schrieb, als die japanische Insel
bebte und ein Giftgasanschlag die Gesellschaft erschütterte. Beide Ereignisse -
das Erdbeben von Kobe mit Tausenden von Toten und die Terrorakte in der U-Bahn
von Tokyo - bewogen ihn 1995 aus dem "Exil" zurückzukehren, um, wie er sagte,
seinem Land beizustehen.
Nach dem Beben: Fünf Tage und Nächte verbringt die Frau eines Verkäufers für
Hifi-Geräte vor dem Fernsehen mit den Katastrophenbildern vom Erdbeben - dann
verlässt sie ihren Mann, der sich mit einem mysteriösen Päckchen auf eine Reise
begibt. Eine Wahrsagerin sieht tief in die hasserfüllte Seele einer Ärztin,
die einem Mann aus Kobe, der ihre Hoffnungen zerstört hat, den Tod wünscht.
Die kleine Sara begegnet in ihren Alpträumen dem Erdbebenmann, der sie in eine
Kiste sperren will. Und
der Bankangestellte
Katagiri hat in seiner Wohnung Besuch von einem Riesenfrosch, der Tokyo
vor der Zerstörung durch einen Wurm retten will. Aber der zwingendste Charakter
von allen ist das Erdbeben selbst: Der sichtbare Schaden ist weniger schmerzlich
als der untröstliche in der Seele der Menschen.
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