Mo Yan: "Die Schnapsstadt"
Hochprozentiges für Aufgeweckte
Mo Yan (was so viel heißt wie "keine
Sprache") ist das Pseudonym von Guan Moye. Er wurde 1956 in Gaomi in der Provinz
Shandong geboren und entstammt einer bäuerlichen Familie. Seine Bücher wurden
mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet. Spätestens seit
Zhang Yimous
preisgekrönter Verfilmung seines Romans "Das rote Kornfeld" gilt Mo Yan auch
international als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Autoren der chinesischen
Gegenwartsliteratur.
Kannibalismus? Die Revolution frisst ihre Kinder ...
Ding Gou'er, der Sonderermittler der Regierung aus Beijing, wird in die Provinzstadt
Jiuguo geschickt, wo neben der Kohleförderung besonders die Schnapsherstellung
in hohem Ansehen steht. Neben den hochgeistigen Genüssen sollen sich die dortigen
Parteikader und Neureichen aber angeblich auch einem anderen Genuss zugewendet
haben, der nicht unbedingt gutgeheißen wird. Seit Neuestem scheinen in Jiuguo
nämlich Kinder auf der Speisekarte zu stehen.
Zunächst muss Ding Gou'er jedoch mit allen möglichen Leuten zur Begrüßung anstoßen,
was seinen Alkoholspiegel eklatant in die Höhe treibt. In diesem Zustand scheint
er, mehr oder weniger unfreiwillig, selbst an einer dieser verbotenen Mahlzeiten
Anteil zu haben. Und so beginnt seine weitere kafkaeske Reise durch die Schnapsstadt.
Zum Glück ist dies alles nur ein Roman (im Roman), mit dem sich der Autor Mo
Yan ziemlich abmüht. Als er daran arbeitet, bekommt er Post von einem jungen
Nachwuchsautor, der in Jiuguo Doktorand für Alkoholkunde ist. Er möchte gerne
den berühmten
Schriftsteller als Lehrmeister für seine kreative Tätigkeit gewinnen und
schickt ihm immer wieder neue Geschichten zu, die von seinem Leben in der "Schnapsstadt"
geprägt sind. Da geht es um eine Vorlesung seines Schwiegervaters zum Thema
Schnaps und um die große Attraktivität seiner Schwiegermutter, die vom lebenslangen
Genuss von Schwalbennestern herrührt. Hierbei erfährt der Leser genug über Schwalbennestsuppe,
um nie wieder Appetit darauf zu haben. Auch das Interesse an Eselpimmel und
Eselinnenvagina wird nicht wirklich geweckt, obwohl diese in einer anderen Geschichte
eine große Rolle spielen, wie auch die richtige Zubereitung von Schnabeltieren
und kleinen Kindern. Man bekommt ganz eindeutig den Eindruck, dass Chinesen
alles essen, was sich irgendwie ausreichend zerkleinern lässt, um es in den
Mund zu bekommen - um dann mit großen Mengen Alkohol nachzuspülen.
Diese Geschichten, die zum Teil sehr ins Fantastische gehen, werden immer wieder
in Kommentaren des "Meisters" in Briefen an ihren Verfasser bewertet. Der Briefwechsel
führt schließlich zu einer offiziellen Einladung des berühmten Autors in die
"Schnapsstadt", wo er die Biografie eines der berühmtesten Bürger schreiben
soll. In der Hoffnung, so endlich auch ein vernünftiges Ende für seine Detektivgeschichte
zu finden, nimmt der Schriftsteller die Einladung an, nur um gleich am ersten
Abend in ein Delirium Tremens gefeiert zu werden.
Mit "Die Schnapsstadt" kann man sich gewissermaßen wirklich betrunken lesen.
Aufmerksamen Lesern bietet der Roman hintergründige Kritik an chinesischer Politik
und Gesellschaft. Die Themen Essen (meist handelt es sich übrigens um beim Rezensenten
eher Ekel erregende Gerichte) und exzessives Trinken treten oberflächlich betrachtet
sehr in den Vordergrund. Überdies finden sich kunstvolle Verschachtelungen,
verschriftlichte Bewusstseinsströme, detailreiche Schilderungen wie bei Joyce
und Márquez. Wer Gefallen daran findet,
in Bücher einzutauchen, sich mit Haut und Haar auf die Lektüre einzulassen,
wird diesen erstmals 1992 auf Chinesisch veröffentlichten, in China verbotenen
Roman zu schätzen wissen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2005)
Mo Yan: "Die Schnapsstadt"
(Originaltitel "Jiuguo")
Aus dem Chinesischen von Peter Weber-Schäfer.
Unionsverlag, 2005. 512 Seiten.
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Weitere Bücher des Autors:
"Das rote Kornfeld"
Der Roman beschreibt die Geschichte eines gebrochenen Helden vor und während
der japanischen Besatzung der chinesischen Provinz Nordost-Gaomi. Rund um eine
Schlacht zwischen chinesischen Dorfbewohnern, vagabundierenden Söldnertruppen
und der übermächtigen japanischen Armee, die sich in den Weiten der roten
Kornfelder zuträgt, beschreibt Mo Yan die anarchistischen Zustände und
brutalen Lebensbedingungen der chinesischen Landbevölkerung. In einer
ausgesprochen dichten, verwobenen und durch Zeitsprünge und Rückblenden immer
wieder aufgebrochenen Erzählung verweben sich Leid, Tapferkeit, Elend aber auch
Liebe und Eifersucht zu einem expressiven Gemälde in der sich das Blut der
Menschen mit dem Rot der endlosen Hirsefelder vermischt. (Rowohlt)
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"Der Überdruss"
Dieser Roman beginnt am 1. Januar 1950 in der Hölle.
Kurz zuvor ist durch Mao Tsetungs Landreformbewegung die traditionelle
Ordnung des ländlichen China abgeschafft worden.
Zwei Jahre lang hat Fürst Yama, der Herrscher der Unterwelt, den
Grundbesitzer Ximen Nao jeder möglichen Folter unterworfen, um ihn zu
zwingen, die Anklagepunkte zu akzeptieren, die zu dessen Hinrichtung durch
die Kleinbauern führten. Aber Ximen Nao beteuert hartnäckig seine
Unschuld.
Widerwillig lenkt Yama schließlich ein und erlaubt Ximen, auf die Erde zu
seinem früheren Besitz im verarmten Shandong zurückzukehren. Aber als
dieser dort ankommt, findet er zu seiner Enttäuschung heraus, dass er
nicht als Mann wiedergeboren wurde, sondern als Esel. Mit den Augen des
Tieres verfolgt er nun das Schicksal seiner früheren Familie, seiner
Freunde, Rivalen und Feinde. Weitere Wiedergeburten lassen ihn zu einem
Stier, einem Schwein, einem Hund und einem Affen werden und schließlich
zu einem Jungen mit großem Kopf, der ein verblüffendes Gedächtnis und
ein Talent für Sprachen hat. Aus der derben und außerordentlich
unterhaltsamen Perspektive eines jeden Charakters - sowie von Mo Yan
selbst, der immer wieder unterbricht, um Ereignisse zu kommentieren - erzählt
dieser Roman die letzten 50 Jahre der stürmischen Geschichte Chinas.
"Der Überdruss" ist dazu bestimmt, ein Klassiker der gegenwärtigen
Literatur zu werden.
Mo Yan, geboren 1956 in Gaomi, Provinz Shandong, verließ während der
Kulturrevolution die Schule, um in einer Fabrik zu arbeiten. Mit 20 Jahren trat
er in die Volksbefreiungsarmee ein, wo er noch als Soldat sein literarisches
Schaffen begann. Zu Beginn der 1980er-Jahre fiel er dann mit ersten Veröffentlichungen
auf. Der literarische Durchbruch gelang ihm 1987 mit der Veröffentlichung von
"Das Rote Kornfeld", mit dem er auch im deutschsprachigen Raum bekannt
wurde. Der Roman fand große internationale Anerkennung durch die gleichnamige
Verfilmung von Zhang Yimou. Mo Yan kann als Schriftsteller der ungeschminkten
Darstellung des ländlichen Lebens in China betrachtet werden, der schon früh
die Zwänge des offiziell sanktionierten Realismus hinter sich ließ und dessen
literarisches Schaffen unverkennbar und zunehmend von der Strömung des
magischen Realismus beeinflusst ist. (Horlemann Verlag)
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