Rosa Montero: "Im Herzen des Tartaros"


Wer Rosa Monteros frechen Witz und ihre unerschrockene Aufmüpfigkeit gegen das spanische Machotum in dem Erzählungsband "Geliebte und Feinde" und in dem Roman "Die Tochter des Kannibalen" genossen hat, wird die vertraute Handschrift in dem düsteren Roman "Im Herzen des Tartaros" nicht wiedererkennen und sie mit tiefem Bedauern vermissen. Mir sagt der bissige originelle Ton in den erstgenannten Werken sehr, der abgeklärte kassandrahafte im neuen Roman wenig zu. Kritisierte Montero früher konkret und fassbar die Unzulänglichkeiten spanischen Gegenwartslebens, so flüchtet sie sich jetzt - trotz realer Ortsangaben - fast ins Mythische. Die Personen wirken unwirklich, schattenhaft und überzeichnet.

An und für sich liegt dem Roman eine starke Geschichte zugrunde: Zarza, eine Verlagslektorin in mittleren Jahren, wird urplötzlich von ihrer verdrängten Vergangenheit eingeholt: Drogensucht, Prostitution, Kindesmissbrauch, Verrat an ihrem vergötterten Bruder nach einem missglückten Banküberfall. Seit dem Anruf ihres Bruders, der aus dem Gefängnis entlassen wurde, hängen Vergangenheit und die Erwartung des Vollzugs der Rache wie ein Fatum über ihr. Zwar flieht sie aus ihrer Wohnung und ergreift hektisch Vorkehrungen, dem Unheil zu entkommen, doch scheint sie sich, gequält von eigenen Schuldgefühlen, schon in das Unausweichliche ergeben zu haben. Gekonnt und geschickt, wie man es von einer großen Erzählerin nicht anders erwartet, enthüllt die Schriftstellerin Schritt für Schritt die Vorgeschichte, die tief in der Kindheit beginnt und durch die man das Handeln der Menschen in der Gegenwart erst versteht. Montero fügt noch eine weitere Dimension hinzu: Mit der Hineinnahme des höfischen Epos "La chevalier des la rose" von Chrétien des Troyes, an dessen Herausgabe Zarza gerade arbeitet, erhöht sie den Eindruck der schicksalhaften Vorherbestimmung. Das alles bietet von Idee und Anlage her vorzügliche Voraussetzungen für einen großen Roman. Ich habe mich gefragt, warum er mich dennoch unbefriedigt zurückgelassen hat. Meine Antwort lautet: Die Schriftstellerin hat sich zu früh auf den Olymp begeben. Dessen dünner Luft ist sie nicht gewachsen. Sie gebärdet sich allzu sehr als Seherin und Weise, die die letzten Geheimnisse des Lebens durchschaut und die unauflöslichsten Widersprüche des Daseins erkannt hat. Dazu ist sie aber nicht weise und sprachmächtig genug. Dieser Mangel schadet der Ausführung des Romans beträchtlich.

Die häufigen Kommentare "So ist das und nicht anders" stören die Handlung und nerven den Leser, der sich selbst einen Reim auf das Leben machen, der eigene Erkenntnisse ableiten möchte aus den Verhaltensweisen und Entscheidungen der Romanfiguren. Bedeutungsschwangere Formulierungen wie "Das Leben war ein Tropfen Grausamkeit in der Finsternis." (S. 262/62), "... alle menschlichen Existenzen waren im Grunde genommen absurd, betrachtet man sie vom strömenden Regen aus, der sie mit sich reißt." (S. 262/63) , "Die Kindheit ist der Ort, an dem man den Rest seines Lebens verbringt" (S. 173) entpuppen sich bei näherem Hinsehen als aufgeblähte Gemeinplätze. Das Ende des Romans bewegt sich gar auf dem gedanklichen Niveau eines schulischen Besinnungsaufsatzes: "Es kommt Zarza "in den Sinn, das es etwas gab, dass sie mit absoluter Sicherheit wusste, dass sie eines Tages sterben würde. Aber vielleicht hatte sie bis dahin entdeckt, dass das Leben trotz allem lohnt, gelebt zu werden." (S. 272) Platter geht´ s nimmer. Die Beschreibung einer Liebesvereinigung (S. 254), die zu zitieren ich mir verkneife, ist eine einzige sprachliche Entgleisung. Herhalten müssen Vokabeln wie "Explosion, Universum, Urknall, Algen, Strömung, Flut und Wogen", um "die flüssigen Geräusche der Lust" nachzumalen.

Der Leser wird sich fragen, ob sich die Lektüre des Romans trotz allem lohnt. Ich würde sagen: nein, und statt dessen lieber "Geliebte und Feinde" und / oder "Die Tochter des Kannibalen" ein zweites Mal lesen.

(Diethelm Kaminski)


Rosa Montero: "Im Herzen des Tartaros"
dtv premium 2003
300 Seiten
ISBN 3-423-24328-7
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