Jules Michelet: "Das Meer"
Der
Autor (1798-1874) war nach Verlagsauskunft "einer der bedeutendsten
Historiker und Schriftsteller seiner Zeit" - zumindest waren seine
Bücher über die Renaissance und die
Französische Revolution damals in der Diskussion. Das 1861 im
Original erschienene
"philosophisch-naturgeschichtlich-ökologische" Buch 'La Mer'
wurde hier in der Übersetzung von Rolf Wintermeyer leicht
gekürzt. Michelet begreift "Weltgeschichte als Teil der
Naturgeschichte" (vgl. Vorwort von Michael Krüger), er sieht
einen "Krieg des Menschen gegen die Natur", und Geschichte ist
für ihn ein "Bericht über diesen nicht endenwollenden
Kampf" (zit. Michelet). Spielhagen hatte das Buch zum ersten Mal ins
Deutsche übersetzt - Michelet bezeichnete übrigens
Frankreich und Deutschland als die "zwei Hirnlappen Europas." Das Buch
ist in 4 Großkapitel gegliedert: 'Ein Anblick der Meere' -
'die Entstehungsgeschichte des Meeres' - 'Die Eroberung des Meeres' -
'Die Wiedergeburt durch das Meer'.
Michelet sieht das Meer als tiefes, dunkles und
einschüchterndes Element in seiner Ambivalenz: "Wohl hilft es
dem Schwimmer, doch es beherrscht ihn: er fühlt sich wie ein
schwaches Kind in der Wiege der starken Hand, welche ihn ebensogut
zerbrechen könnte." Die See "macht verrückt" und
"fesselt ... die Männer" - und Michelet belehrt uns: "Man muss
erst zum eigentlichen Verständnis des Meeres vordringen." Und
er berichtet uns, wie er an der Küste der Bretagne "jene edle,
hohe Traurigkeit verspürt" habe, "welche der beste, erhabenste
Eindruck des Meeres ist." Dergestalt beschreibt uns Michelet dieses
Element in seinen natürlichen, naturwissenschaftlichen,
geografischen, planetarischen und atmosphärischen
Gegebenheiten - die Dimensionen, die Entfernungen, die Tiefen, die
Strömungen und die darüber brausenden
Stürme, welche die Seefahrer von jeher herausforderten.
Am Beispiel der Vermehrung und Vernichtung der Fische
erklärt uns Michelet die "reine Harmonie" zwischen Leben und Tod.
Überdies ist er der Überzeugung, aus einem
Wassertropfen des Meeres die Geschichte des Universums mit der
Entstehung allen Lebens auf der Erde erklären zu
können - das vermittelt ihm ein Blick durchs Mikroskop. Dabei
entdeckt er, dass die Korallen drei Lebensbereichen angehören:
dem animalischen, dem pflanzlichen sowie dem mineralischen - und der
Genius der Metamorphosen lässt die bekannte Vielfalt
entstehen. Der Wal erweist sich dabei als ein "misslungener Entwurf":
er braucht Luft zum Atmen, muss aber ob seines Gewichts im Wasser
leben. Und der Seehund andererseits habe nach dem Menschen das
leistungsfähigste Gehirn.
Nach Michelet sind die Walfänger schon vor dem 15. Jahrhundert
die Entdecker der Meere und neuer Küsten gewesen, weil sie
notgedrungen den Walen hinaus auf die hohe See folgen mussten. Erst
nach ihnen folgten die Entdecker
und die Eroberer, die Handelsleute,
die Piraten und die Kolonisatoren. Michelet mahnt uns, dass man nicht
vergessen dürfe, "dass das Meer ein eigenes geheiligtes Leben
führt." Schließlich erinnert der Autor noch daran,
wie man bereits Mitte des 18. Jahrhunderts das Meer als
Gesundheitsspender entdeckte: das Meerwasser findet seitdem innerliche
wie äußerliche Anwendung und das jeweilige
Meeresklima ist für unterschiedliche Genesung
nützlich. Aus dem Ozean spricht nämlich "das
Unendliche zu unserer Seele. (...) So schließt das Meer das
Herz auf."
In seinem Nachwort bemerkt der Herausgeber Rolf Wintermeyer, dass sich
freilich für den heutigen Leser einiges verändert
hat, dass andererseits Kritiker Michelet weniger als Wissenschaftler,
vielmehr als fantasiebegabten Poeten klassifizieren wollten. Dabei
betrieb Michelet durchaus Recherchen in zeitgenössischen
naturwissenschaftlichen Werken und durch eigene Anschauung. Wenn man
bedenkt, dass Michelets Buch zwei Jahre nach
Darwins "Über die Entstehung der
Arten durch natürliche Zuchtwahl"
erschienen
ist, kann man es als originelle Ergänzung lesen. Michelet war
auf seine Art vom Meer absolut fasziniert, wollte quasi immer mehr in
es hineininterpretieren bzw. aus ihm heraus erforschen. Man kann das
Buch also auch heute noch mit Gewinn lesen - und eventuell dadurch noch
überzeugter das Meer lieben lernen.
(KS; 11/2006)
Jules Michelet: "Das Meer"
Übersetzt von Rolf Wintermeyer
Campus Verlag, 2006. 357 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Jules
Michelet wurde durch seine "Geschichte der
Revolution"
und seine
Studien über "Das Volk", "Die Frau" und "Die Hexe"
weltberühmt:
"Die Hexe"
Die Geschichte der
Hexenverfolgung
als Geschichte der
Unterdrückung der Frau: Mit dieser These provozierte der
französische Historiker Jules Michelet 1862 Kirche und
Gesellschaft und begründete eine neue Sichtweise auf die
brutale Hexenjagd. Der Klassiker zum Thema - neu illustriert sowie neu
herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Helmut Werner.
(area-verlag)
Buch
bei amazon.de bestellen
Noch ein Buchtipp:
Callum Roberts: "Der Mensch und das
Meer. Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist"
Die Ozeane sind nicht nur der größte Lebensraum der
Erde, sondern auch der am wenigsten erforschte. Die unermessliche Vielfalt
dieses Ökosystems beginnen wir erst jetzt bis in die letzten Winkel zu begreifen
- auch wie wichtig das Meer für unser Leben ist. Im 20. Jahrhundert hat jedoch
die Herrschaft des Menschen über die Natur auch die Ozeane erreicht: Wir fischen
die Meere leer und füllen sie stattdessen mit Umweltgiften. Tiefseebergbau droht
den Lebensraum unzähliger Pflanzen und Tiere bis zur Unkenntlichkeit zu
verändern. Die Klimaerwärmung ließ bereits ein Viertel aller Korallen zugrunde
gehen. In seinem aufrüttelnden Buch beschreibt der Meeresbiologe und Meeresschützer
Callum Roberts den großen Reichtum der
Ozeane und ihren Wandel, und er ruft dazu
auf, der Zerstörung der Meere endlich Einhalt zu gebieten, denn noch ist es
nicht zu spät. (DVA)
Buch
bei amazon.de bestellen