Klaus Merz: "LOS"
Eine Erzählung
Liebe
und Tod: Die zwei
großen Themen der Weltliteratur verdichtet Klaus Merz auf wenigen Seiten. Die
beiden Lebensextreme werden häufig ineinander verschränkt, und selbst, wenn
sich ein kleiner Abstand auftun mag, führt der Weg schnell wieder in die Zugehörigkeit
zurück.
Das Leben ist ein Auf und Ab wie eine Bergwanderung. Thaler begibt sich auf
eine solche und wird immerfort von seiner Kindheit geblendet. Die winzigen Reminiszenzen
an den Halbwüchsigen, der Bruder und Vater bald verliert und sich in eine Einsamkeit
schmieden mag, an der später auch seine Frau und sein Kind nichts ändern können,
gehören zu den stärksten Momenten der Geschichte. Hier offenbart sich die Dramatik
eines Lebens, das nie ausbrechen konnte. Stets war Klein-Thaler nur ein Zuschauer,
nie ein Beteiligter am Leben. Er hütet das Tor bei den Fußballspielen der Klasse
und ist froh, der Meute nicht ergeben zu sein, wenngleich diese schnell
an ihn heranstürmen und in unsichere Gefilde stürzen kann.
Als Thaler sich zu einer Bergwanderung entschließt, scheint es, als würde er
sein Ende vorhersehen. Er geht weiter, nachdem er in einer kleinen Hütte einen
Gästebucheintrag hinterlassen hat. Der Einheimische warnt ihn, bei schwierigen
Wetterverhältnissen nicht weiter zu wandern. Er bietet Thaler eine Übernachtung
an. Doch der arbeitslose Philosoph und Lehrer schlägt diesen Ratschlag in den
Wind. Er will weiter einen Schritt vor den anderen setzen, bis er endlich abstürzt
und sich das Schicksal erfüllen mag, das er insgeheim schon lange Zeit ersehnt
hat. Der Vater und der Bruder sind ihm vorausgegangen, und er wird sich ihnen
bald anschließen. Er lächelt sogar in sich hinein und verspürt überhaupt
keine Todesangst. Still nimmt er Abschied.
Die kurze Erzählung von Klaus Merz ist ein trauriger Abgesang an ein Leben, das
nicht gelingen wollte. Thaler will dem Leben nicht länger zugehörig sein. Eine
Todessehnsucht erfüllt sich. Merkwürdig sind zwei Komponenten, welche wie
"zufällig" zu Ingredienzien des Büchleins werden.
Franz
Kafka erscheint in der Todesstunde des Protagonisten wie ein Engel, da
Thaler mehr an die Prosa des Prager Autors zu glauben vermag als an den lieben
Gott. Und das Wandern ist für Thaler eine Beschäftigung, bei der er nicht
denkt. Gerade jenes aber ist eine Umkehrung des Verständnisses für einen
Philosophen, der Schritt für Schritt setzt und mit jedem Schritt einen neuen
Gedanken kreiert.
Im Endeffekt ist Thaler wohl ein "Anti-Held", der sich gegen die Welt
und das Leben verschworen hat. Er liebt die Natur und ist trotzdem nicht
gewillt, seinen Platz in dieser einzunehmen. Wenn er in letzter Konsequenz zu
einem Teil der Natur wird, löst sich der Widerspruch auf, durch den er ein
Leben lang am Leben haftete. Eine Metamorphose mag in ihm vorgehen. Der Tod
vollendet ihn als Teil der Schöpfung...
(Al Truis-Mus; 03/2005)
Klaus Merz: "LOS"
Haymon, 2005. 94 Seiten.
ISBN 3-85218-466-5.
ca. EUR 14,90.
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Klaus Merz wurde 1945 in Aarau
geboren. Er lebt als Erzähler und Lyriker in Unterkulm/Schweiz. Klaus Merz
erhielt mehrere Preise, u.a. den Solothurner Literaturpreis 1996, den
Hermann-Hesse-Literaturpreis 1997, den Prix littéraire Lipp 1999 sowie den
Gottfried-Keller-Preis 2004.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Löwen Löwen. Venezianische Spiegelungen"
"Die grauen Schärpen der Nebelhörner wehen durch die Nacht. Und die Damen
Venedigs halten den Ratten der Stadt stoisch ihre fetten Nerze entgegen."
Solche Texte entstehen, wenn ein Dichter längere Zeit
in
Venedig verbringt. Aus Alltagsereignissen, Beobachtungen, Assoziationen
und Gedanken werden poetische Miniaturen, spiegelt sich die Stadt des Wassers
und der steinernen Löwen, der Brücken und Tauben. Man könnte diese "Spiegelungen"
auch mit einem glitzernden Mosaik vergleichen: aus vielen kleinen, bunt reflektierenden
Einzelteilchen entsteht ein seltsam gebrochenes, lebendiges Bild Venedigs. (Haymon)
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