Steffen Mensching: "Lustigs Flucht"
Roman, Satire, Robinsonade
Ernst Lustig, promovierter Germanist und Literaturhistoriker, kommt mit seinem
letzten Auftrag, einer Schillerbiografie, nicht voran. Auch sonst hat er
Probleme mit seiner Freundin, die ihm dem Laufpass gegeben hat, seiner Lektorin,
die ungeduldig auf sein neues Buch wartet und seinen Freunden und Verwandten,
die ihn manchmal sehr nerven. So schließt er sich in seiner Berliner
Arbeitswohnung ein, mit dem Vorsatz, sie nicht zu verlassen, bevor sein Buch
vollendet ist.
Die Abkopplung von der Gesellschaft mit ihren Verlockungen und Verpflichtungen
erweist sich als schwierig. Wie kann man
Robinson Crusoe spielen, wenn
Familienmitglieder, Auftraggeber, Freunde und Bekannte da nicht mitmachen
wollen? Unentwegt suchen sie den Kontakt zu ihm per E-Mail, Telefon oder durch
unerwarteten Besuch.
Protagonist Ernst Lustig, sein Name kann als Metapher für seine eigene Widersprüchlichkeit
und Zerrissenheit gedeutet werden, zimmert sich eine Scheinwelt, um seine
Abwesenheit von der Gesellschaft plausibel begründen zu können. Sein Rückzug
ins Ich bewirkt, dass er immer spleeniger wird und seine Ausreden zunehmend
abenteuerlicher klingen. So verreist er fiktiv nach Vietnam, um für begrenzte
Zeit unerreichbar zu sein. Der Leser wartet gebannt: Wann bricht dieses
Kartenhaus in sich zusammen?
Steffen Mensching ist, wie auch auf seiner Homepage illustriert, zugleich Dichter
und Clown. Er thematisiert
eine Schillerbiografie,
die, ähnlich wie Godot, ständig erwähnt wird, aber nie in Erscheinung tritt.
Dagegen beleuchten eingestreute Retrospektiven die Lebensgeschichte des Protagonisten.
Der Autor versteht es, seinen Roman mit zahlreichen Querverweisen zur Literatur
anzureichern. Auch wenn die Geschichte zäh beginnt und der Leser schon befürchtet,
die gesamte Handlung könnte sich in der Arbeitswohnung abspielen, kommt
rechtzeitig die Wende. Zur Unterhaltung und zu Lustigs Inspiration trägt maßgeblich
die Figur des vietnamesischen Fahrradboten, Restaurantbesitzers und Händlers
Minh bei.
Protagonist Ernst Lustig ist der tragische Anti-Held der Geschichte, dem die
Trennung von der verlogenen Konsum- und Medienwelt nur gelingt, indem er sich
eine eigene verlogene Scheinwelt aufbaut. "Jenseits der Illusionen" lauern neue
Illusionen. Menschings Roman ist eine treffende Satire auf "Schein und Sein"
unserer Medien- und Konsumwelt.
Steffen Mensching, 1958 in Berlin (Ost) geboren, studierte Kulturwissenschaft an
der Humboldt-Universität Berlin. Seit 1983 ist er freiberuflicher Autor,
Schauspieler und Regisseur. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Jacobs
Leiter" (2003).
(Klemens Taplan; 10/2005)
Steffen Mensching: "Lustigs Flucht"
Aufbau-Verlag, 2005. 328 Seiten.
ISBN 3-351-03053-3.
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Lien zu Steffen Menschings Netzseite:
https://www.steffen-mensching.de/.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Jacobs Leiter"
Ein deutscher Schriftsteller trifft in Chelsea, Manhattan, auf den Antiquar
Jack, der ihm 4000 alte deutsche Bücher zum Kauf anbietet. Der Mann ist hin-
und hergerissen. Was soll er mit dieser
Emigrantenbibliothek?
Da beginnen die Bücher zu erzählen.
"Jacobs Leiter", ein Kaleidoskop menschlicher Schicksale im 20.
Jahrhundert, ist eine Melange aus Dokument und Fiktion und eine
Liebeserklärung
an die Welt der Bücher.
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