Rosemarie Marschner: "Das Jagdhaus"
Der Deutsche Taschenbuch Verlag hat in
diesem Herbst in seiner wunderbaren Reihe dtv premium zeitgleich zwei Bücher von
österreichischen Autorinnen veröffentlicht, die sich mit der Zeit der
Nazi-Diktatur in Österreich befassen.
Die Begeisterung und
Kollaboration
der Bevölkerung einerseits und der stille oder auch manifeste Widerstand von
einzelnen Menschen andererseits, die Frage, wie man überleben kann in einer
Diktatur und wie man weiterleben kann nach einer totalen Zerstörung und
Desillusionierung, das sind die Themen dieser beiden Bücher.
Das erste,
Renate Welshs
"Die schöne Aussicht", reflektiert diese Themen mit einer Hauptfigur aus dem
Arbeitermilieu, der ungeliebten und ungewollten Wirtstochter Rosa, die in dieser
schrecklichen Zeit alle Wesen und Menschen verliert, die sie liebt, und die
dennoch auf ihre Art bis zum Ort ihrer Grabstätte eine Hoffnung lebt, die Mut
machen kann.
Das zweite, hier zu besprechende Buch ist Rosemarie
Marschners "Das Jagdhaus". Schon mit ihrem 2004 ebenfalls bei dtv premium
erschienenen Buch "Das Bücherzimmer" hat sie eine breite Leserschar positiv auf
sich aufmerksam gemacht. Auch in ihrem neuen Roman spielt eine Frau die
Hauptrolle. Antonia Bellago hat im September 1939 ihrem Mann Ferdinand, einem
angesehenen Rechtsanwalt, zum zweiten Mal eine Tochter geschenkt. Bei der Taufe
des Kindes, mit deren Schilderung das Buch beginnt, sagt der Pfarrer: "Dieses
Kind ist so alt wie der Krieg."
Sechs Jahre später, als die Bomben auf Linz
fallen, wird sie sich voller Angst und Hoffnung an diesen Satz
erinnern.
Doch zunächst ist die Tauffeier fröhlich und ausgelassen. Im
bürgerlichen Hause Bellago hält man sich raus aus der Politik. Die
Nationalsozialisten, ihr Ton und ihr Auftreten widern die Familie an, sie ziehen
sich, seit dem "Anschluss" schon, immer mehr aus dem Linzer Gesellschaftsleben
zurück, in dem sie jahrzehntelang eine führende Rolle spielten. Aber sie
schweigen und rechnen im Stillen damit, dass dieser unzivilisierte Spuk in
einigen Monaten vorüber ist und man wieder an sein früheres Leben anknüpfen
kann.
Ganz im Unterschied zu Johann Bethany, Antonias Vater, einem Wiener
Hochschullehrer für Alte Geschichte und Frühe Demokratien, der sich
entsprechende Bemerkungen politischer Art in seinen Vorlesungen nicht verkneifen
kann und nun wirklich ernsthaft bedroht ist. Während der Feierlichkeiten zur
Taufe seines zweiten Enkelkindes lässt Johann Bethany im Haus von Franz
Josef Bellago, Antonias Schwiegervater, die Katze aus dem Sack. Er werde mit
seiner Familie nach Italien emigrieren, ins Heimatland seiner Frau. Da sein
jüngster Sohn Peter (11) nicht mitwolle, bitte er, ihn im Hause Bellago
aufzunehmen, es handele sich sicher nur um eine kurze Zeit.
Wenig später,
die Bethanys sind schon Italien, Antonia grollt ihren Eltern über diese Flucht,
Peter gewöhnt sich langsam in die neue Familie ein, der Angriffskrieg der Nazis
meldet immer neue Eroberungen, da begegnet Antonia zum ersten Mal Marie. Es wird
sich im Verlauf des Buches herausstellen, dass diese eine Tochter ihres Mannes
Ferdinand ist.
Bis diese wahre Identität geklärt ist und die beiden
Frauen Frieden miteinander gemacht haben, reflektiert Rosemarie Marschner über
ihre Hauptfiguren die Geschichte zwischen 1939 und 1945. Der Leser erfährt
Details über politische Vorgänge und Entscheidungen, auch speziell aus
österreichischer Sicht, immer gekoppelt mit kritischen Reflexionen der
Protagonisten.
Wie Rosemarie Marschner in einem spannend zu lesenden
Familienroman die politischen und geschichtlichen Daten und Fakten und die
Gefühle der Menschen, die davon betroffen sind, zusammenbringt, ist meisterhaft.
Ihr Buch ist ein Liebesroman, ein Familienroman, ein Geschichtsbuch und ein Buch
der Hoffnung.
Rosa in Renate Welshs "Die schöne Aussicht" verliert alles
und behält doch die Hoffnung für das Leben. Antonia Bellagos Mann, ihr Bruder
Peter, ihre Schwiegereltern, alle bleiben am Leben, nicht unversehrt, aber
fähig, neu zu beginnen.
Am Schluss dieser natürlich fiktiven Geschichte
habe ich versucht, sie weiterzuspinnen und darüber nachgedacht, was diese
allesamt privilegierten Menschen mit diesem Geschenk des Überlebens wohl
angefangen haben. Ob sie weiterhin ihre streng konservativ und katholisch
geprägte politische Zurückhaltung gepflegt haben, angeblich neutral und doch
immer mit den Mächtigen im Bund, oder ob sie gelernt haben und ihr Wissen, ihre
Kompetenz und ihren Reichtum für ein anderes, ein demokratisches, nicht
fremdenfeindliches Österreich eingesetzt haben.
"Sie hatte das Gefühl, sie
könnte fliegen." So endet das Buch. Was einmal befreite, gerettete Menschen mit
einem solchen Zustand wohl anfangen?
Rosemarie Marschner hat ein
wunderbares Buch geschrieben, das man besonders den nach 1950 Geborenen ans Herz
legen möchte. Ich habe, wie gesagt, selten einen anspruchsvollen
Unterhaltungsroman gelesen, der so gut und dennoch leicht als wirklich
kritisches Geschichtsbuch daherkommt wie "Das Jagdhaus".
"Die schöne
Aussicht" von Renate Welsh und "Das Jagdhaus" von Rosemarie Marschner gehören
zusammen. Die parallele Lektüre ist sehr zu empfehlen.
(Winfried Stanzick; 12/2005)
Rosemarie Marschner: "Das
Jagdhaus"
dtv, 2005. 460 Seiten.
ISBN
3-423-24501-8.
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Rosemarie Marschner, geboren in Wels
(Oberösterreich), lebt seit 1973 in Düsseldorf, wo sie als freie Journalistin
und Schriftstellerin arbeitet.
Weitere Bücher der Autorin
(Auswahl):
"Die Insel am Rande der
Welt"
"Ich werde getragen von einer gigantischen Kraft, die mich
unüberwindlich macht." Diese Worte spricht
Napoleon
Bonaparte auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nur wenige Jahre später, im
Oktober 1815, wird er mit einer kleinen Schar ihm treu Ergebener für den Rest
seines Lebens auf eine karge, sturmumtoste Insel verbannt: St. Helena, "Käfig,
dessen Gitter das Meer bildet".
Wie ist einem Mann zumute, der sich zwischen
Ratten und Ungeziefer, in tropischer Hitze, geplagt von den ununterbrochen
wehenden Passatwinden, eingestehen muss, dass seine unendlich scheinende Macht
endgültig gebrochen ist? Der verbittert ist, schon zu Lebzeiten bedroht vom
Vergessen? Der seines Lebens nicht mehr sicher ist? Der im neuen englischen
Gouverneur, seinem "Gefängniswärter", ein Werkzeug sieht, dessen er sich
bedient, um seinen Nachruhm zu festigen? Zu spät durchschaut der pflichtbewusste
Sir Hudson Lowe die Absichten des einst mächtigsten Kaisers. (dtv)
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"Das Bücherzimmer"
Ein anrührendes und überzeugendes
Frauenbild vor dem Hintergrund einer widrigen Zeit.
Einem unehelichen Kind
stehen nicht alle Türen offen in der österreichischen Provinz. Die
vierzehnjährige Marie muss froh sein, dass sie Dienstmädchen in der großen Stadt
Linz werden darf. Aber am leichten Leben der Stadtmenschen, die ihre Tage mit
Zeitung Lesen, Tennisspielen und Reisen zubringen, darf das Mädchen nicht
teilhaben.
Ihr Leben ist von harter Arbeit und strengen Regeln geprägt, die
von der betagten Haushälterin eisern durchgesetzt werden. Nur ganz allmählich
eröffnen sich Freiräume, nur ganz allmählich zeigen die "gnädige Frau" und der
"gnädige Herr" auch einmal menschliche Züge.
Und dann beginnt sich der Franz
für das junge Mädchen zu interessieren, ein fescher Bursche, der Sohn eines
gutverdienenden Bäckers, der sogar ein Motorrad besitzt. Nach zähem Ringen mit
den Eltern wird Marie seine Frau. Die Hochzeitsreise führt
nach Wien, und nun
könnte eigentlich alles gut werden, wenn da nicht die Politik wäre.
Man
schreibt das Jahr 1938, Österreich ist annektiert worden, in Linz wird ein
riesiges Stahlwerk gebaut und alle, die den neuen Herren im Weg stehen, werden
beseitigt. Da wird dann auch manche private Rechnung beglichen ...
(dtv)
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"Nacht der Engel"
Was für ein
historischer Roman! Die schöne Francesca hat alles, was das Herz begehrt:
Reichtum, Ansehen, eine glückliche Familie. Bei
Lorenzo de' Medici ist sie ein
mehr als nur gern gesehener Gast. Aber es ist auch gefährlich, der
Fürstenfamilie so nahe zu stehen. Denn in den Straßen der Stadt predigt der
Bettelmönch Savonarola gegen Luxus, Prachtentfaltung und Gottlosigkeit. Und er
gewinnt täglich an Einfluss ... (dtv)
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