Berndt List: "Das Gold von Gotland"

Ein Störtebeker-Roman


Freibeuter und "hanseatische Pfeffersäcke"

Die Vitalienbrüder, Seefahrer der Nord- und Ostsee, machten sich im 14. Jahrhundert während des Krieges zwischen Dänemark und Schweden als Freibeuter einen Namen. In späteren Jahren kaperten sie Schiffe der Hansestädte, deren Händlern wegen des gewinnbringenden Handels mit Gewürzen der Name "Pfeffersäcke" anhaftete. Unterstützt wurden sie von ostfriesischen Häuptlingen, die für die Schiffe der Freibeuter Ankerplätze zur Verfügung stellten und für die Vermarktung der Beute sorgten.

Einer der bekanntesten Vitalienbrüder war Klaus Störtebeker (1370-1401). Um ihn ranken sich zahlreiche Legenden. Für die Einen ist er ein ehrloser skrupelloser Pirat und für die Anderen ein Freiheitskämpfer, der sich für die Rechte der Armen eingesetzt hat. Auf Basis historischer Werke und verschiedener Legenden erzählt Berndt List in "Das Gold von Gotland" eine fiktive Abenteuergeschichte, die den Geist der Vitalienbrüder zu neuem Leben erweckt.

Die Geschichte beginnt in Spanien. Auf einer Pilgertour nach Santiago de Compostela, dem wichtigsten Wallfahrtsort der Christen, verunglückt der Hansekaufmann Bertold Gronewold schwer. Kurz bevor er stirbt, vermacht er seinem Begleiter, dem Spanier Feliciano de Valencia, eine geheimnisvolle Schatzkarte, verbunden mit der Bitte, sein Schiff nach Hamburg zu bringen und dort seine Tochter Greta aufzusuchen.
Valencia ist trotz der dürftigen Hinweise bestrebt, Gronewolds letzten Wunsch zu erfüllen. Für ihn beginnt eine Odyssee, die seine kühnsten Träume übersteigt.

Die Überfahrt nach Hamburg ist gefährlich. Den Attacken einiger schlecht ausgerüsteter Seeräuber kann Valencia standhalten, bis er dem berüchtigten Piraten Klaus Störtebeker begegnet. Dieser ist nicht nur für seine erbarmungslose Härte gefürchtet, sondern verfügt zudem über Menschenkenntnis und lässt sich nicht so leicht hinters Licht führen.
Er kannte Gronewold und ahnt welches Geheimnis er Valencia in seinen letzten Stunden anvertraut haben könnte. Wenn es einen Schatz gibt, wird er ihn finden.

Berndt List zeichnet ein facettenreiches Bild der Protagonisten, deren Alltag von Misstrauen geprägt ist. Die Beziehungen zwischen Störtebeker, Valencia und Greta schwanken zwischen vorsichtigen Annäherungen und Gewaltbereitschaft. Die Charaktere, Anfangs noch unscharf konturiert, nehmen im Zuge der Ereignisse allmählich Gestalt an. Die Erzählungen erfolgen (mit Ausnahme der beiden letzten Kapitel) aus der Perspektive von Feliciano de Valencia.

Der Autor hat sich mit der Situation der Menschen im Mittelalter beschäftigt. Auch wenn die Hintergrundbeschreibungen nicht so ausführlich sind, wie in einem Historienroman von Umberto Eco, so sind sie dennoch informativ und tragen zum Verständnis des harten Lebens im Mittelalter bei.
Positiv fällt auf, dass der Autor die Welt nicht in "Gut und Böse" einteilt, sondern eine differenzierte Sicht der gesellschaftlichen Verhältnisse beschreibt. Die Gier nach Macht und Geld zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft.

Der Roman ist spannend geschrieben, und man legt das Buch nur ungern aus der Hand. Einzig in den Schlusskapiteln wird den Lesern eine gehörige Portion Fantasie abverlangt. Aber irgendwie muss der Autor ja auf die Legenden von Störtebeker reagieren.

Wer sich für Piratengeschichten interessiert und einmal die Insel Rügen besucht, sollte sich die imposanten Störtebeker-Festspiele auf der Naturbühne Ralswiek bei Bergen nicht entgehen lassen. Was ich von dieser Aufführung und dem vorliegenden Roman mitgenommen habe, ist neben spannender Unterhaltung eine differenzierte Sicht auf die gesellschaftliche Situation der Vitalienbrüder.

(Klemens Taplan; 03/2006)


Berndt List: "Das Gold von Gotland"
Kindler, 2006. 414 Seiten.
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Berndt List wurde 1944 in Hamburg geboren. Nach Abschluss der Filmakademie in Berlin arbeitete er als Autor und Regisseur und inszenierte zahlreiche Spiel- und Dokumentarserien für die ARD. Für seine Wirtschaftsfilme erhielt er internationale Auszeichnungen. Berndt List lebt in Berlin. "Das Gold von Gotland" ist sein zweiter Roman.

Der erste Roman Berndt Lists:

"Der Goldmacher"

Berndt List erzählt in diesem spannenden Roman das abenteuerliche Leben des Johann Friedrich Böttger, der Gold machen wollte und das Porzellan erfand. (Aufbau Verlag) Lien: https://www.dergoldmacher.de/.
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Dieter Zimmerling: "Störtebeker & Co. Die Blütezeit der Seeräuber in Nord- und Ostsee"

Mit "Störtebeker & Co." liegt eine sachkundige und historisch genaue Schilderung der Geschichte dieser legendenumwobenen Figur vor, die die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen, unter denen Störtebeker lebte, zeigt. Zimmerlings Werk besticht durch seine Mischung aus Erzählkunst und umfassendem Fachwissen.
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Günter Bräuer, Klaus Püschel und Ralf Wiechmann (Hrsg.): "Klaus Störtebeker. Ein Mythos wird entschlüsselt"
Als 1878 vor den Toren Hamburgs zwei auf Pfähle aufgenagelte menschliche Schädel gefunden wurden, war sofort klar: Dies konnten nur die Überreste von Klaus Störtebeker sein. Vieles sprach dafür: Die Schädel stammen von einem besonderen Ort, denn auf dem sogenannten Grasbrook lag der ehemalige mittelalterliche Hinrichtungsplatz. Zudem geht aus den schriftlichen Quellen hervor, dass hier im Jahr 1400 der berühmt-berüchtigte Pirat Störtebeker mit seinen Kumpanen durch den Scharfrichter vom Leben zum Tod befördert wurde. Die Legende besagt sogar, der willensstarke Mann sei noch ohne Kopf an seinen Mannen vorübergeschritten. Das lübische Recht sah damals vor, die Köpfe der hingerichteten Piraten auf Stöcke aufzunageln. Aus diesen Gründen wurden die Schädel schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer mit der sagenumwobenen Figur Störtebekers verbunden. Bis heute verbindet sich mit diesem Namen die Vorstellung vom wilden Piraten, von verwegenem Glücksrittertum, aber auch vom "Robin Hood" der Nord- und Ostsee und der segensreichen Hilfe für die Armen. Die Schädelfunde vom Hamburger Grasbrook bilden somit eine Schnittstelle zwischen Legende, Fiktion und wissenschaftlicher Realität. Nachdem in einem 120 Jahre währenden wissenschaftlichen Dornröschenschlaf die exzeptionellen Funde keiner weitergehenden Untersuchung unterzogen worden sind, hat sich nun ein Team von namhaften Historikern, Archäologen, Anthropologen und Gerichtsmedizinern zusammengefunden, um mit den neuesten Methoden das Rätsel um Störtebeker und seine Verbindung mit den Schädelfunden zu ergründen. (Wilhelm Fink Verlag)
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