(...) Anders die Pepi. Die hatte schon in
frühen Jahren Lust auf dieses tolle, verrückte und unmögliche Etwas, Lust auf
Leben, auf Durchdringung, auf Es-willens-Haben, steif und fest. Sie entwickelte
sich zu einer hochgewachsenen Brünetten mit kleinen Grübchen neben dem dicklippigen
Mund. Ihre Augen waren wie ein Honigtopf, unendlich tief, bernsteinfarben, süß,
leicht vorstoßendes Kinn. Sie hatte das, was Männer närrisch macht, weil es ihnen
sagt, dass sie für alles ist. Dabei waren es hauptsächlich die Lippen, die gewölbt
waren, als müssten sie sich unbedingt um etwas stülpen. Und dahinter Zähne, weiß
wie Schlagobers, aber keinesfalls perfekt. Die obere Reihe war schräg nach vorne
stehend, große Zwischenräume, wodurch ihr ansonsten makelloses Gesicht etwas Dümmliches
erhielt. Ja, es war sogar ein wenig so, als würde aus dieser traumhaft schönen
Frau, die in einem geradezu sensationellen Körper wohnte, worauf Busen und Po
wie große Schlagzeilen geschrieben standen, eine Idiotin. Eine Fleisch gewordene
Puppe, die zu nichts anderem als zur
Fellatio zu gebrauchen war.
Und tatsächlich eilte ihr die
Mundpropaganda voraus, sie sauge literweise Männlichkeit, Unmengen Leidenschaft,
die ganze Phantasie. Und scharenweise verliebten die Freier
sich in sie. Wie eine Spinne in ihrem Netz wartete die Wurznbacher auf sie, fing
sie, schälte sie, spann sie ein, quälte sie zu Tode, langsam, und saugte sie dann
aus. Ohne Erbarmen.
Weil ihr ein jeder, auf den sie Gusto
hatte, bald ins Netz ging, schwand bald ihr Mitgefühl, wurde sie unter ihrem Panzer
wie ein alter Klebstoff trocken. Eine zähe, nach Gummi riechende Masse wurde sie,
die einen anfangs zum Herumdrücken noch interessierte, um sie bald darauf doch
wegzuwerfen.
So riss sich auch Pepis Leben, hier wie Wäsche
an der Leine zur Ansicht ausgestellt, bald von der Kluppe und verflog. Schon der
halboffene Wurznbacherkörper wurde elfjährig im Heim schwer erziehbarer Kinder
vom Heimleiter, vom Küchenchef und den größeren Kindern derart mit
Sünde abgefüllt,
dass man mit dem spermazoiden Wesen nichts anderes machen konnte, als es an ein
Bordell zu verkaufen, wo es in einer Suite weit weg vom Tageslicht den aufgestauten
Tag von Geschäftsmenschen, Betriebsräten und Direktoren hingestottert und auf
den Bauch geklatscht bekam. All ihr Lebenssinn bestand scheinbar bloß darin, die
groß gemachten Würmer wieder klein zu machen. Männer hatten nur Interesse, die
aufgestaute Lust hinauszuschleudern, die Triebe tot zu machen, um den Kopf frei
zu bekommen für die Realität. Dabei füllten die meisten Freier die Pepi mit ihrem
eigenen gescheiterten, im Unsinn versandeten, nur als Kaufkraft dienenden Leben
derart an, dass sie zwei Sodaflaschen brauchte, sich das auszuwaschen. So lernte
gerade die Pepi auf ihre Art etwas, Dinge über das Leben, die manchem immer ein
Geheimnis blieben. Dass jeder Mensch ersetzbar war, ihn niemand liebte um seiner
selbst willen, man, wenn erst die Konvention weggeschabt war, nur auf Hass stieß,
Neid und Selbstgefälligkeit. Alles, was die Menschheit tat, war falsch, hatte
zu Katastrophen nur geführt, zu Killerviren, zum Ozonloch und zu
Aids.
Alles was erreicht war, war ein Fehler. Sinnlos jeder, überflüssig. Lauter Missverständnisse.
Pepi,
das Spiel von Begehren und Verweigerung, Aufreizen und Rückzug, Sucht und Wahnsinn
schnell durchschauend, manipulierte sich bald aus ihrer Austauschbarkeit heraus
in die Leitung eines Pornokonzerns hinein. Die Queen.
Sie
wurde reich, berühmt und von Schlagzeilen heimgesucht. Bald konnte sie, um von
ihren Anbetern sicher zu sein, nur noch hinter vier Meter dicken Mauern leben,
in einer Trutzburgvilla, abgeriegelt, weggesperrt vom Leben. Sie, die mit dem
Slogan "Schlaffes aufzurichten" berühmt geworden war, wurde nun von der ganzen
Steifheit um sie her verfestigt. Was blieb, war Langeweile. Bald fand sie nur
noch Spaß daran, ihr Leben mit nutzlosen Dingen zu verbringen, andere zu sekkieren.
Ein kleines, seelenloses Wesen stachelte sie zum Beispiel auf, gegen ihren Bruder,
der in der heiligen Firma gelandet war, auszusagen. Ihrem anderen Bruder, der
schwer an der Vergangenheit zu tragen hatte, ließ sie Briefe zukommen, die ihn
erinnerten, ihm den Vater vor Augen führten, den sie ebenfalls suchte, wenn auch
bislang vergeblich, um ihn Franzls Rache auszuliefern. Ihr ganzes Denken war darauf
fixiert, ihre Familie auszulöschen, am Ende sogar sich, ihr uneheliches Kind,
das sie mit 15 geboren hatte, das nun siewusstenichtwo als Siewusstenichtwas lebte.
(...)
Aus dem Roman "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" von Franzobel.