(...) Gott der Herr straft
uns für unsere Missetaten. Die Hölle, sie wird ewig sein. Es sei denn, wir versöhnen
uns mit ihm. Zita und Aurelia waren nach Italien gekommen, um Venedig zu retten
und so für ihre Sünden zu büßen. Es würde ja alles untergehen, der Markusplatz,
die Seufzerbrücke, Donna Leon, die schönste
Stadt auf dieser Welt, sie drohte, im Meer zu versinken. Und was machte so ein
Meer damit? Wusste es sich damit etwas anzufangen? Nichts. Und die Jugend? Wieso
interessierte sich die Jugend nicht? Die lachten über jeden Dreck, wollten nur
tanzen, blöde Reden führen, hatten keinen Bezug zu Gott, wussten von Venedig nichts.
Kannten nur den großen Hmtadi-Hmpf und Stampf. So lange würden die trampeln, bis
von den Medicis nichts mehr übrig wäre, alle Venezianer am Grund des Meeres lägen,
die schönste Stadt der Welt verschwunden wäre. Venedig. Schon jetzt stand es da
wie jemand, der am Rande eines Schwimmbeckens von hinten einen Stups bekommt,
noch mit den Händen rudert, ringt, und trotzdem fällt. Deshalb waren sie lieber
nicht nach Venedig gefahren. Jetzt, wo es unterging. In
Rom, hatten sie gedacht, konnte man mit den Menschen sprechen. In Rom konnte
man was tun für Venedig. Sie hatten nur vergessen, dass sie kein Italienisch sprachen,
eine Sprache voller Knoten. Vor allen wichtigen Regierungsbauten standen bewaffnete
Polizisten, den Eintritt zu versperren. Ein undurchdringliches Netz. Schon was
sie wollten, konnten Zita und Aurelia nicht sagen, bloß Venice, Venice. Rettet
Venice! Worauf die Wachebeamten jedesmal glaubten, dass sie nach Venedig wollten,
und ihnen also den Weg zum Bahnhof beschrieben, aber da wollten sie nicht hin.
Also irrten sie herum, sahen sich Kirchen, Basiliken, Kapellen und was sie sonst
Heiliges erahnten, an und debattierten dabei über das, was sie für die Hölle hielten.
Bereiteten sich darauf vor. Für Zita war die Hölle eine leere Stelle, ein Herausgebrochensein.
-
Die Hölle, deklamierte sie, ist wie ein Familienalbum, in dem plötzlich etwas
fehlt, ein einziges Bild, und das ist deine Seele, das bist du. So stelle ich
mir die Hölle vor, dass man einfach nicht mehr ist, man fehlt. Und niemand fällt
es auf.
- Für mich, blickte Aurelia sie wie durch einen Schleier
an, ist die Hölle die Angst vor Schmerz. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Die
Hölle ist ein Nichterfülltsein, ein Zustand der Leere, eine Feuchtigkeit, die
niemand trockenreibt, ein ungutes, prickelndes Gefühl, das muss die Hölle sein.
Auch Italien, der viele Lärm, die Lebenslust, die Sünde überall, die nur eine
Zwischenstufe auf dem Weg zur Hölle ist. Die Hölle, das ist Wien für mich, das
Amt zur Verschickung der Einberufungsbefehle. Dort hatte Aurelia gearbeitet. Nach
dem Vorfall mit Wurznbacher und dem Tumult beim Feisten Fridolin war sie aber
völlig durchgedreht und hatte wahllos, um ihr Amt zu desavouieren, Daten gelöscht.
Darunter die von Zdenko Faulhaber.
-
Nach Schätzung eines Jesuiten, ergänzt der Ecce
homo, ist das Haus des Teufels 200 Meilen lang und kann zwei Milliarden Seelen
aufnehmen. Anderen Berechnungen zufolge besteht die Beelzebubische Bürokratie
einschließlich des ausführenden und subalternen Personals aus 7 405 926 Teufel.
-
Und laut Johannes-Offenbarung passen nur 144 000 Seelen ins Paradies.
- Aber da,
wie wir an uns sehen, die Seelen
wandern, sich entwickeln von der niedersten Stufe, den Amöben, rauf zu den
Menschen, weiter noch zu Feststoffen, bevor sie endlich Steine werden, muss es
zig Trilliarden geben, noch viel mehr.
- Wie sollen alle
in die Hölle gehen? Wie ins Paradies?
- Angeblich gibt es
eine Apparatur zur Seelenkomprimierung.
- Ich, sagt der Ölbergjesus,
habe gehört, dass wir Versteinerten überhaupt ausgeschlossen sind.
-
Blödsinn, wehren sich die anderen.
- Stein, belehrt der Bruderkuss,
ist das Höchste, das Oberste von allem. Das Beständigste. Wenn es ins Paradies
geht, dann sind wir die ersten. Marmor. Heiligenfiguren. Was will man mehr?
-
Man sagt, flüstert die Pieta, auch Marmor zerfällt zu Kalk, wird Staub, zerbröckelt.
-
Gerüchte!
- Es gibt andere, die sind viel schlimmer dran.
(...)
Aus dem Roman "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" von Franzobel.