Jens-Uwe Krause: "Kriminalgeschichte der Antike"
Verbrechen und Strafe im klassischen Altertum
Krause untergliedert seine Arbeit in zwei wesentliche Teile, nämlich die Kriminalität
im Klassischen Athen und die Kriminalität im Römischen Reich, wobei letzterer
bedeutend mehr Umfang gewidmet wird.
Die Griechen
Beleuchtet wird zuerst die Polizei der athenischen
Antike, welche mit "Polizei" im modernen Verständnis nicht viel gemein hat.
Ohnehin wird man schnell feststellen, dass sich das antike Strafverfolgungssystem,
bei den Griechen wie bei den Römern, in vielen Dingen stark von den uns geläufigen
Mustern abhebt. So war damals das Mittel der Selbsthilfe Gang und Gäbe, selbst
bis zum Ende des Römischen
Reiches. Heute würde der Strafrichter solches Verhalten allenfalls als Strafverschärfungsgrund
werten und nur in wenigen Fällen als Rechtfertigungsgrund anerkennen. Selbstjustiz
ist in der modernen Gesellschaft verpönt.
Die Verfolgung der Straftaten erfolgte größtenteils auf Betreiben privater Personen,
die zudem damit wirtschaftliche Risiken eingingen. Viele Delikte konnten nur
von den Opfern oder deren Angehörigen vor Gericht gebracht werden. Offizialdelikte
waren die Ausnahme.
Ein weiteres Kapitel im Zusammenhang mit der Athenischen Kriminalgeschichte
behandelt die Arten der
Kriminalität im klassischen Athen, gegliedert in verschiedene
Kategorien. Hiebei untersucht werden
verbale
Gewalt, Körperverletzungen, Tötungsdelikte, Diebstahl und Sexualdelikte.
Durch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Straftaten, deren Opfern
und Tätern gelangt der Leser zu einer neuen, ganz anderen Sicht auf die griechische
Antike. Es ist unglaublich fesselnd, etwas über das soziale Gefüge und die Probleme
der damaligen Bevölkerung zu erfahren, waren es doch oftmals eben diese Faktoren,
die sich für verschiedenen Straftaten kausal gezeichnet haben.
Die Römer
Nach dem kurzen Streifzug durch die altgriechische Kriminalgeschichte geht es
mit raschen Schritts voran ins Römische Weltreich. Auch hier bleibt Krause seinem
Schema, zuerst das vorherrschende Strafverfolgungs- und Gerichtssystem zu untersuchen,
treu. Wie schon erwähnt, spielt bei den Römern die Selbsthilfe eine bedeutende
Rolle, wird aber zunehmend durch die in Anspruchnahme der öffentlichen Gerichte
verdrängt. Besondere Bedeutung hat natürlich die dem Familienoberhaupt zukommende
Hausgewalt (patria potestas), welche den pater familias befugt über die ihm
unterstehenden Familienangehörigen und Sklaven Strafen zu verhängen und zu vollziehen.
Was die Strafgerichtsbarkeit und die strafrechtlichen Sanktionen betrifft, so
unterscheidet Krause zwischen der Republik und der Kaiserzeit. Vor allem die
Kaiserzeit zeichnet sich durch Androhung drakonischer Strafen unter gleichzeitiger
vergleichsweise "milder" Strafpraxis aus. Gängige Strafen waren Geldbußen, Verbannung,
Strafarbeit in unterschiedlicher Qualität und Verurteilung zum Tode.
Schließlich widmet sich der Autor noch ausführlich den verschiedenen Arten der
Kriminalität. Zuerst den Verbalinjurien, welche nicht selten in Gewaltdelikte
mündeten.
Ebendiesen Gewaltdelikten wird besonderes Augenmerk zu Teil. So untersucht man
städtische und ländliche Gewalt separat und macht sich ebenso Gedanken zur Rechtslage
wie zum Waffenbesitz.
Mord und Todschlag kommen als nächstes zur Sprache. Besondere Furcht scheint
damals vor Giftmorden geherrscht zu haben. Bemerkenswert ist, dass der Täter
regelmäßig im engsten Familien- und Bekanntenkreis zu finden war. Dementsprechendes
Misstrauen lag an der Tagesordnung.
Exorbitante Angst hatten die Menschen vor den Eigentumsdelikten, namentlich
die Delikte Diebstahl und Raub. Es konnte durch den Verlust der eigenen Habe
ein Römer in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden. So war die Sorge
um das Eigentum zumeist intensiver als jene um die körperliche Unversehrtheit.
Eine gewichtige Rolle in der antiken Kriminalgeschichte spielt der Menschenraub.
Man muss sich vor Augen halten, dass im Römischen Reich ein Heer von
Sklaven
gehalten wurden, deren Lebenserwartung zudem nicht besonders hoch gewesen ist.
Nicht immer konnte der Bedarf an neuen Sklaven durch Kriege gedeckt werden.
Daher fielen auch Freie den Menschenräubern zum Opfer und wurden als Ware verschachert
oder man benutzte sie, um ein Lösegeld aus deren Angehörigen heraus zu pressen.
Die Sexualdelikte, insbesondere Ehebruch und Homosexualität, bilden den Abschluss
der von Krause exzellent und detailliert dargebrachten Untersuchung verschiedener
Straftaten.
Dieser kurze inhaltliche Abriss gibt einen groben Überblick über die mannigfaltigen
Aspekte der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit. Jeder historisch Interessierte
wird für eine Geschichtslektion aus einem anderen Blickwinkel dankbar sein.
Auch dem Rechtshistoriker kann Krauses Abhandlung wärmstens empfohlen werden.
Die klare Sprache tut das, was man von ihr erwartet: sie vermittelt Informationen
auf wissenschaftlichem Niveau.
Natürlich kann man sich nicht erwarten, quasi über die Seiten zu "fliegen";
das sollte man auch nicht, denn wie so oft steckt vieles im Detail.
Mein Dank gilt dem Autor jedenfalls dafür, dass er ein und dasselbe Problem
immer wieder von verschiedenen Seiten betrachtet und so dem Leser ein umfassendes
Bild der gesamten Thematik vermittelt. So wird bereits vertraute Information
wiederholt und um weitere Aspekte vertieft. Mir persönlich gefallen außerdem
die antiken Fachbegriffe, besonders jene der Griechischen Epoche. Sie werden
immer an passender Stelle, aber keinesfalls inflationär, gebraucht und verleihen
beim Lesen ein gewisses "akademisches" Gefühl. Und die vielen praktischen Beispiele,
stammend aus den antiken Schriften, tun ihr Übriges, um eine breitgefächerte
Vorstellung der damaligen Kriminalität und ihrer Bekämpfung zu erzielen.
Jens-Uwe Krauses "Kriminalgeschichte der Antike" kann jedem empfohlen werden,
der sich die Zeit nehmen möchte in diese, dem schulischen Geschichtsunterricht
völlig fehlende, Materie einzutauchen.
(MagMaMa; 09/2004)
Jens-Uwe Krause:
"Kriminalgeschichte der Antike"
C. H. Beck, 2004. 228 Seiten.
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Jens-Uwe Krause lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Sozialgeschichte der Antike bildet einen seiner Forschungsschwerpunkte.