"Der Herr der Kraniche" erzählt von Kerstin
Chen,
Bilder von Jian Jiang Chen
Tugend, reizvoll verpackt!
Form ...
Besonders auffällig
an diesem Buch ist die auf den ersten Blick erkennbare Diskrepanz zwischen der
Welt des Wortes und der des Bildes, was die Eignung als Kinderbuch betrifft: Da
ist die schlichte, reduzierte Sprache einerseits, die dem Erzählton eines Vorlesers
entgegenkommt, andererseits sind die begleitenden Illustrationen eher dazu angetan
die Fantasie aufzuwühlen, weshalb dieses Buch nach Möglichkeit nicht als Gute-Nacht-Geschichte
gewählt werden sollte.
Dunkle, kräftige Farben auf grobfaseriger Leinwand erzeugen
nicht gerade jene steril-plakative Disneybildsprache, die Kinderaugen üblicherweise
ermüden lässt. Jian Jiang Chen legt offensichtlich größten Wert darauf, Stimmungen
einzufangen, "Gefühle in Farben zu tauchen" und dem Inhalt mittels Symbolik Tiefgang
zu ermöglichen. Bei aller Liebe zum Detail überlässt er gewisse optische Schlussfolgerungen
dem Auge des Betrachters - eine Freiheit, die der moderne Seher erst wieder handzuhaben
lernen muss...
... und Inhalt ...
"Der
Herr der Kraniche" ist eine chinesische Sage:
Ein weiser alter Mann namens
Tian (=Himmel), reist auf den Schwingen eines Kranichs von einem Berggipfel in
den Wolken, den er mit seinen Freunden (den Kranichen nämlich) bewohnt, zurück
zur Erde, die Menschen zu prüfen. Er tauscht seine prachtvolle Kleidung gegen
die Lumpen eines Bettlers ein und durchwandert schöne Städte, deren reiche Bewohner
kein menschliches Mitgefühl zeigen.
Erst in der Person des Gastwirts Wang findet
Tian einen Menschen der bereit ist, ihm Verköstigung ohne Gegenleistung zu gewähren.
Herr Wang erkennt an den Augen des Fremden, dass es sich um einen guten Menschen
handelt. Im Vertrauen auf seine Menschenkenntnis bewirtet er den vermeintlichen
Bettler selbstlos und ohne Fragen zu stellen viele Monate lang, stets auf die
gleiche, freundliche Art und Weise, weil es ihn selbst glücklich macht, jemandem
zu helfen. Eines Tages jedoch belohnt der weise Mann Herrn Wang für sein rechtschaffenes
Verhalten, indem er ein wundersames Bild an eine Zimmerwand des Gasthauses malt:
Kraniche, die aus der Wand heraustreten und tanzen, wenn die Gäste fröhlich sind!
Daraufhin zieht Herr Tian weiter.
Herrn Wangs Gasthaus wird ob der Sehenswürdigkeit
rasch weithin bekannt und er selbst ein reicher Mann. Auch die Armen profitieren
von seinem Wohlstand, weil er weiterhin ein rechtschaffener Mensch bleibt, und
nicht der Geldgier und der damit oft verbundenen Ignoranz dem Leid anderer gegenüber
erliegt.
Eines Tages kehrt Herr Tian zurück und Herr Wang wünscht ihm zu danken,
all das Gute zu vergelten und seinen Namen zu erfahren. Tian antwortet mit einer
himmlischen Melodie,
die
er seiner Flöte entlockt und dem Hinweis, dass Wangs Mildtätigkeit
den Bedürftigen gegenüber alles sei, was er als Dank wünsche.
Tian stimmt die
magische Melodie ein zweites Mal an, die
Kraniche
entsteigen der Malerei und nachdem sich die beiden Männer voneinander verabschiedet
haben ("...eines Tages werden wir uns wiedersehen..."), fliegt Tian mit seinen
Kranichen zurück in den Himmel. Da erkennt Herr Wang mit einem Mal die Natur des
geheimnisvollen Bettlers und das ihm zuteil gewordene
Wunder.
(kre)
"Der Herr der Kraniche" von Kerstin Chen
und Jian Jiang Chen.
Neugebauer Verlag, 2000. ISBN 3-8519-5632-X.
ca. EUR
12,80.
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