Marek Krajewski: "Gespenster in Breslau"
Dem
interessierten Krimipublikum
ist er längst ein Geheimtipp: der Pole Marek Krajewski mit
seinen historischen
Kriminalromanen um den Kriminalpolizisten Eberhard Mock. Im hier zu
besprechenden Band führt Krajewski sein Lesepublikum
zurück in die Anfänge
der polizeilichen Tätigkeit seines Protagonisten. Nach der
Lektüre dieses in
der zeitlichen Reihenfolge der Handlungen ersten Bandes der Tetralogie
wird dem
Leser vieles deutlich über den Werdegang und die dramatische
Geschichte eines
ganz außergewöhnlichen Polizisten. Der
Vollständigkeit halber soll hier
einmal diese zeitliche Reihenfolge dokumentiert werden:
1. "Gespenster in Breslau", dtv 2007, spielt im September 1919
2. "Der Kalenderblattmörder", dtv 2006, spielt im Jahr 1927
3. "Tod in Breslau", btb 2002, spielt im Jahr 1933
4. "Festung Breslau", dtv 2008, spielt in den letzten Tagen der
Nazibesatzung Polens und ist für den mittlerweile
62-jährigen Eberhard Mock
der letzte Fall.
Eberhard Mock, 1883 geboren, hat wie viele Andere als Soldat im
Ersten
Weltkrieg
gedient. Zuvor hatte er eine humanistische Bildung genossen, mit
Latein-,
Griechisch- und Philosophieunterricht und danach ein Studium
absolviert.
Eberhard Mock ist gebildet, und in Stresssituationen, "wenn
er wütend
oder irritiert war, pflegte er sich an antike Gedichte zu erinnern, die
er als
Gymnasiast und später als Student analysieren musste. Er
erinnerte sich an die
damals auswendig gelernten Phrasen des Seneca, an die leichten
Hexameter des
Homer, an die klangvollen Verse des
Cicero."
Mock ist, wie so viele andere Kriegsteilnehmer, immer noch
traumatisiert von
dem, was er auf den Schlachtfeldern erlebt hat. Er leidet unter
nächtlichen
Alpträumen und versucht, gerade erst in den Polizeidienst
eingetreten und beim
Sittendezernat arbeitend, seine Schlaflosigkeit mit Alkohol und
Exzessen mit den
Nutten zu übertünchen, die er kontrollieren soll.
Immer wieder träumt er von
einer rothaarigen Krankenschwester, von der er glaubt, dass sie ihm in
einem
Lazarett nahe war und die ihm zur Obsession wird. Er lebt mit seinem
Vater,
einem ehemaligen Schuhmacher zusammen in einer Wohnung über
dem ehemaligen
Metzgerladen seines Onkels in Breslau. In seinem Assistenten Smolorz
hat
Eberhard Mock einen absolut loyalen Kollegen, der ihm inner- und auch
außerdienstlich
Tag und Nacht unter die Arme greift.
Vier Matrosen werden hingeschlachtet auf einer Oderinsel gefunden. An
ihren übel
zugerichteten, fast nackten Körpern findet sich eine Botschaft
an den
Kriminalassistenten Mock:
"Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Mock, gesteh
Deinen
Fehler ein; gesteh, dass Du endlich glaubst. Und wenn Du keine Toten
mehr sehen
willst, gesteht Deinen Fehler ein."
Weil sein Vorgesetzter, der neue Kommissar Mühlhaus, sich
denken kann, dass
Mock unter diesen Umständen private Ermittlungen aufnehmen
wird, versetzt er
ihn zur Mordkommission, um ihn in die offizielle Fahndung einzubinden.
Es
geschehen noch etliche weitere Morde, immer wieder verbunden mit dieser
Botschaft. Mock und seine Leute ermitteln im Rotlichtmilieu, und
Krajewski
gelingt es, ein eindrucksvolles Bild vom Leben in der Halbwelt einer
großen
Stadt kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu zeichnen. Doch
Krajewski
beschreibt auch die politische Situation der damaligen Zeit, als sich,
wie in
ganz Deutschland, kommunistisch gesinnte und nationalistisch
orientierte Gruppen
in Kneipen und auf den Straßen zum Teil heftige
Auseinandersetzungen boten. Ein
Vorgeschmack auf die Weimarer Zeit (vgl. "Der
Kalenderblattmörder")
und den beginnenden Faschismus (vgl. "Tod in Breslau").
Im Vordergrund der Handlung steht allerdings die schrittweise und sehr
spannend
konstruierte Auflösung jenes Geheimnisses aus der
Vergangenheit Mocks, auf die
der skrupellose Mörder in seinen Botschaften an Mock
rekurriert. Krajewski führt
den Leser in ein Milieu von Wissenschaftlern ein, die in einer okkulten
Mischung
von modernen Lehren versuchen, die Seelenenergie von Menschen zu
manipulieren.
Steht Mock zu Anfang noch völlig ratlos vor diesen seltsamen
Phänomenen,
stellt sich im Laufe des Buches dem aufmerksamen Leser
zunächst als vage
Vermutung, später dann als zunehmende Sicherheit heraus, dass
der Autor jener
geheimnisvollen Botschaften ganz in Mocks Nähe zu suchen ist.
Ein spannender Kriminalroman, den auszeichnet, was einen historischen
Kriminalroman zu einem wirklich guten macht: hervorragende Recherche
sowie das
Schildern einer Zeit und ihrer Menschen auf eine Weise, dass man als
Leser den
Eindruck hat, man wäre selbst dabei gewesen.
Wer den polnischen Autor Krajewski mit diesem Roman entdeckt, sollte
sich seine
anderen Bücher nicht entgehen lassen und unbedingt mit dem
nächsten in der
zeitlichen Reihenfolge weitermachen, dem
"Kalenderblattmörder". Für
denjenigen, der Krajewskis erste auf deutsch erschienene Romane mit
Eberhard
Mock schon kennt, ist dieses neue Buch ein aufschlussreiche Reise in
die
Vergangenheit eines beeindruckenden Kriminalkommissars.
(Winfried Stanzick; 07/2007)
Marek
Krajewski: "Gespenster in
Breslau"
Übersetzt von Paulina Schulz.
dtv, 2007. 315 Seiten.
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Marek
Krajewski, 1966 geboren,
ist Altphilologe und Dozent an der Universität Wroclaw.
Weitere Bücher des Autors:
"Der Kalenderblattmörder"
Breslau 1927. Die Damen der Gesellschaft geben sich in ihren eleganten
Wohnungen
der Leidenschaft für Musik hin und feiern nebenbei gern auch
einmal eine Orgie.
In den Kneipen hocken verkommene Gestalten, in Hinterzimmern wird
Kokain
geschnupft, und der selbsternannte Prophet Aleksiej von Orloff
verkündet in
gutbesuchten Vorträgen den Weltuntergang. Da werden in der
Stadt mehrere
grausame, akribisch geplante Morde verübt. Ein Musiker wird
bei lebendigem
Leibe eingemauert, ein Schlosserlehrling in Stücke gehackt,
ein Stadtrat mit
einer Klaviersaite an einem Fuß am Kronleuchter
aufgehängt und erstochen. Bei
jedem der Opfer findet man ein abgerissenes Kalenderblatt.
Kriminalrat Eberhard Mock wird mit den Ermittlungen beauftragt. Er gilt
als
"Jagdhund" mit unfehlbarem Instinkt, welcher allerdings hin und wieder
von seinem Hang zum Alkohol getrübt wird. Obendrein wird Mock
ausgerechnet
jetzt von seiner Frau verlassen und sein Neffe, für den er
sich verantwortlich
fühlt, gerät auf die schiefe Bahn. Am liebsten
würde sich Mock ganz dem
Studium der lateinischen Literatur widmen ... Doch stattdessen muss er
in den
Stadtarchiven jahrhundertealte Dokumente studieren, die ihn auf die
Spur des Mörders
führen sollen. (dtv)
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"Tod
in Breslau"
Breslau, im Mai des Jahres 1933. Ein bestialischer Mord ruft
Kriminalrat
Eberhard Mock auf den Plan - denn im Salonwagen des Zuges
Berlin-Breslau wird
die 17-jährige Marietta von der Malten zusammen mit ihrer
Gouvernante und dem
Zugführer tot aufgefunden. Auf der Stofftapete des Abteils
prangt eine mit Blut
geschriebene mysteriöse Botschaft, die einen Ritualmord
vermuten lässt. Mock
beginnt nach den Hintergründen dieses dubiosen Verbrechens zu
forschen - und
gerät in einen wahren Sumpf von Intrigen und finsteren
Machenschaften ...
Ein spannender Kriminalfall aus der Odermetropole Breslau in den
dreißiger
Jahren: voller überraschender Ereignisse und Wendungen,
glänzend komponiert
und fesselnd bis zur letzten Seite. Marek Krajewski gilt in Polen als
Begründer
des Stadtkrimis. (btb)
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"Festung
Breslau"
Der letzte Band der Krimi-Tetralogie um
Eberhard Mock, die mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde.
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs ist Breslau zur Festung
erklärt
worden. Hier will sich das Naziregime bis zum letzten Augenblick
verschanzen.
Eberhard Mock ist mittlerweile zweiundsechzig und ehemaliger Offizier
der
Abwehr, der mit einer schweren Kriegsverletzung zu kämpfen
hat. Als die Nichte
einer bekannten Nazigegnerin tot aufgefunden wird, beginnt er auf
eigene Faust
zu ermitteln. Mock bewegt sich auf seinem Motorrad durch die Ruinen der
Stadt,
taucht in die Unterwelt ihrer geheimen Gänge hinab, begibt
sich in ihre düstersten
Winkel. Doch es wird immer deutlicher, dass seine Frau in der unter
ständigem
Bombardement stehenden Stadt in höchster Gefahr ist. Er ist
hin- und
hergerissen zwischen dem Wunsch, den Tod des jungen Mädchens
aufzuklären, und
der Notwendigkeit, Breslau zu verlassen und seine Frau in Sicherheit zu
bringen.
Dann trifft er eine Entscheidung: Er wird seine letzte Ermittlung in
Breslau führen.
(dtv)
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"Pest in Breslau" zur Rezension ...