Stanislav Komárek: "Kaplans Traum"
Von Traiskirchen bis New York - ein böhmisch-österreichisch-orientalischer Roman
Ein Grillparzer-Spruch als Widmung und tiefgründige Beschreibungen von
blühenden Kastanienbäumen und Schicksalen heimatloser, herumirrender
Menschen auf dem Gelände des Flüchtlingslagers Traiskirchen im Stil
von
Joseph Roth lassen den Roman Kaplans Traum des tschechischen Autors Stanislav Komárek gleich auf den ersten Blick sehr, sehr österreichisch erscheinen.
Österreichisch setzen sich die Erlebnisse des jungen tschechischen
Turkologen Viktor Kaplan fort: Nach kurzem Aufenthalt im
Flüchtlingsquartier erhält er Anfang der Achtzigerjahre Asyl in
Österreich, arbeitet in einem Ministerium an den Vorbereitungen zur
Ausstellung über die Türkenbelagerung Wiens
von 1683 mit und muss den ihm versprochenen Posten im Ministerium nach
seiner Weigerung, Parteimitglied zu werden, einem Verwandten des
Ministers überlassen.
Unterstützt von einem liebenswerten, aber nicht sonderlich aktiven
Universitätsprofessor und einen umtriebigen türkischen Diplomaten
bewirbt er sich erfolgreich bei der Opšlstis-Stiftung in Manhattan um
einen langjährigen Aufenthalt in Istanbul, um dort, finanziell
großzügig ausgestattet, an einer umfassenden Geschichte der
Janitscharen zu schreiben. Doch der anfängliche Enthusiasmus für sein
Studienthema weicht bald dem beklemmenden Gefühl, dass diese osmanische
Elitetruppe aus zwangsislamisierten Christensklaven nicht, wie
offiziell überliefert, 1826 aufgelöst wurde, sondern bis heute als
Geheimorden mit Sitz
in New York aktiv ist und mit sehr eigenen
Methoden die Zukunft der Welt beeinflussen möchte.
Dieser irreguläre Roman (so der tschechische Untertitel nepravidelný román)
ist nach Fachliteratur und einigen Gedichtbänden das erste literarische
Prosawerk des Biologen Stanislav Komárek, geboren 1958, Professor für
Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften an der
Karls-Universität Prag, der selbst von 1983 bis 1990 im Wiener Exil
lebte und als eher teilnahmslose Randfigur auch im Roman immer wieder
auftaucht. Seine überaus große Sach- und Fachkenntnis nicht nur auf
naturwissenschaftlichem Gebiet lässt der Autor gerne, aber
unaufdringlich in die Handlung einfließen. Meist wechseln kurze,
prägnante Szenen mit literarischen Zitaten oder kurzweiligen, fast
aphoristischen Kommentaren aus der Weltliteratur und anekdotenhafte
Ergänzungen und Gedankensplittern aus der
Biologie,
Ethnologie, der
europäischen oder orientalischen Geschichte und vielen anderen
Wissensgebieten. Der leicht ironische Plauderton des Romans erinnert
mit den zahlreichen pointenhaften Abschweifungen sehr einer
persönlichen Erzählung eines gebildeten Kaffeehausbesuchers, der mit
Vergnügen in den Handlungsverlauf manche Anspielungen auf das
Österreich der Achtzigerjahre und die tschechische Emigrantenszene
einflicht:
"Einer von Kaplans nächsten Wegen führte zur Wiener Universität. [...]
Heute gibt es zwar keine
Freuds,
Schrödingers und
Bergs mehr, und aus
der monarchistischen Tradition hat man bis zu einem gewissen Grade zwar
ganz ordentliche Dinge bewahrt, aber kaum außerordentliche." (Seite 27)
Doch gerade im Lokalkolorit der Kaffeehauserzählung zeigt sich eine Schwäche der deutschen Ausgabe von Kaplans Traum.
Man hätte der Übersetzerin Sophia Marzolff, die gerade in den heiteren
Szenen einen überzeugend ironischen Ton trifft und auch den
sprachlichen Wechsel zwischen Erzählung und Kommentar meistert, einen
österreichischen Lektor zur Seite stellen sollen. Insbesondere wo es um
die hoffnungslos verworrenen, aber keinesfalls ernsten Zustände im
Ministerium und bei anderen Behörden geht, wäre der österreichische
"Akt" angebrachter als eine deutsche "Akte" (Seite 17), sollte der
leitende Beamte "Sektionschef" heißen, nicht "Abteilungschef" (Seite
61) und die Zahlung mit "Stempel-", nicht "Gebührenmarken" (Seiten 68
und 123) erfolgen. Auch die Wiedergabe des Wienerischen (z.B. Seite 63)
ist nicht gelungen und wird nur noch vom unpassenden "Berber" (statt
"Sandler", Seite 116) übertroffen.
Wer Österreich aus der augenzwinkernden Perspektive des böhmischen
Nachbarn kennen lernen und über dieses Land mehr wissen und noch mehr
lachen möchte, dem ist dieser Roman sehr zu empfehlen.
(Wolfgang Moser; 09/2005)
Stanislav Komárek: "Kaplans Traum"
(Originaltitel "Opšlstisova nadace")
Deutsch von Sophia Marzolff.
Rowohlt, 2005. 224 Seiten.
ISBN 3-87134-537-7.
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