Jorge Volpi: "Das Klingsor-Paradox"
Quantenmechanik statt
Fingerabdruck
Ein Thriller für Nobelpreisträger ...
Was haben ein mexikanischer
Schriftsteller, die Atombombe und eine
Wagner-Oper gemeinsam? Auf den ersten
Blick rein gar nichts. Betrachtet man aber den Erstgenannten, nämlich Jorge
Volpi, oder besser gesagt, sein Werk "Das Klingsor-Paradox" genauer, scheint
eine literarische Ariadne die Fäden geschickt zu einem spannenden wie
anspruchsvollen Werk zusammenzuführen.
Volpi - im diplomatischen Dienst tätig - recherchierte gründlich die Geschichte
des III. Reichs, präziser formuliert die Forschungsgeschichte des Nazi-Staates.
Dabei stieß er auf einen gewissen Wolfram Sievers, seines Zeichens Geschäftsführer
der pseudowissenschaftlichen Institution "Ahnenerbe". Sievers gab 1945 während
des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses zu Protokoll:
"Damit das Geld bewilligt
wurde, benötigte jedes Projekt die Genehmigung des wissenschaftlichen Beraters
der Führers." Sievers will nie erfahren haben, wer dieser großer Unbekannte
war, gab aber an, es wäre eine prominente und fachlich anerkannte Person mit
dem Decknamen Klingsor gewesen. Ohne Klingsor, der
nur Hitler direkt zur Rechenschaft verpflichtet war, ging also nichts in der
Forschung Nazi-Deutschlands. War es Klingsors Absicht gewesen, für seinen Führer
die Atombombe zu bauen? Oder nutzte er seine Position, um gerade dies zu verhindern?
Wer verbarg sich hinter dem aus Richard Wagners Oper "Parsifal" entliehenen Decknamen,
der dort einem gefährlichen Hexer gehörte? Etwa eine jener Physik-Kapazitäten,
die nach dem II. Weltkrieg für die USA arbeiteten? Lebte der große Unbekannte
noch? Ja, hat es denn Klingsor je gegeben?
Um auf diese Fragen Antworten zu finden, schickt Jorge Volpi seine zwei Hauptprotagonisten
los. Einerseits den alternden Mathematikprofessor Gustav Links, der von Klingsors
Existenz zutiefst überzeugt ist, andererseits den jungen us-amerikanischen Oberleutnant
Francis Bacon. Nomen est omen, Bacon, das Einwandererkind, hatte sich früh berufen
gefühlt, seinem historischen Namensvetter aus dem 16. Jahrhundert nachzueifern
und der Natur ihre Geheimnisse zu entlocken. Mit 21 macht er in Princeton seinen
Physikabschluss und geht danach ans Institute for Advanced Studies, wo neben
seinem Mentor John von Neumann auch die Größen Kurt Gödel und
Albert Einstein
tätig sind. Aufgrund einer skandalträchtigen Frauengeschichte wird Bacon zum
Geheimdienst versetzt und erhält den Auftrag, gemeinsam mit Links die wahre
Identität Klingsors zu lüften. Das ungleiche Paar macht sich an die Arbeit und
befragt all die Physikgenies jener Zeit:
Max Planck, Niels Bohr sowie
Erwin
Schrödinger und Werner Heisenberg, die Väter der Quantenmechanik. Professor
Links hält Heisenberg für Klingsor, doch seiner Intuition kann er keine Beweise
nachreichen, was die Skepsis in Bacon verstärkt.
Jorge Volpi webt ein dichtes Netz aus Geschichte, Mathematik, Physik und Philosophie,
in dessen Mitte die Spinne Klingsor zu sitzen scheint. Das Ganze gleicht einer
Koan, einer jener
paradoxen Anekdoten des Zen-Buddhismus,
die beweisen sollen, dass die Logik alleine oft nicht ausreicht, ein Rätsel
zu lösen. Auch das Stilmittel der griechischen Aporia wird bedient, welches
besagt, dass eine Frage aufgrund der ihrem System innewohnender Widersprüche
nicht gelöst werden kann. Damit schließt sich der Kreis zum Mathematiker Gödel,
der darlegte, dass manche Aussagen weder falsch noch richtig, sondern einfach
"unentscheidbar" sind.
Je mehr
Seiten des "Klingsor-Paradox" gelesen sind, desto mehr verdichtet sich der
Verdacht auf eine der zuvor genannten Koryphäen, selbst Klingsor zu sein, wobei
das Schicksal von Links und Bacon unerwartete Wege einschlägt, die hier nicht
weiter verraten werden sollen. Vielleicht kommt
Werner Heisenberg, der da - mit
dem Nobelpreis belohnt - bewies, dass es nicht möglich wäre, Ort und
Geschwindigkeit eines Elektrons zugleich exakt zu bestimmen, Klingsor ja am
nächsten. Denn je genauer das Eine, desto ungenauer das Andere. Was heißt, ein
Elektron kann schwer sichtbar gemacht werden, eine Eigenschaft, die auch für
Klingsor gilt. Doch gerade diese "Unschärfe", das Nichtvorhandensein von
Unterschriften, Bulletins oder Fotos, von Klingsor legt den Schluss nahe, dass
es den großen Unbekannten tatsächlich gab. Das ist das "Klingsor-Paradox". Ein
geniales Buch!
(lostlobo; 02/2004)
Jorge Volpi: "Das
Klingsor-Paradox"
(Originaltitel "En busca de Klingsor")
Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Buch
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Jorge Volpi wurde 1968 in Mexiko-Stadt
geboren, studierte dort Jura und Literatur und promovierte im spanischen
Salamanca. Für seinen Roman "Das Klingsor-Paradox" wurde er vielfach
ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten spanischen Literaturpreis
"Premio Biblioteca Breve".
Jorge Volpi ist seit 1992 als Schriftsteller tätig, Gründungsmitglied von
"Crack", einem literarischen Zirkel von Autoren, deren Manifest eine
Abkehr vom magischen Realismus fordert. Volpi war Kulturattaché in Paris und
ist jetzt Programmdirektor des mexikanischen Kulturfernsehens.
Weitere Bücher des Autors:
"Zeit der Asche"
Drei Frauen - drei Schicksale in den Wirren des ausgehenden 20. Jahrhunderts.
Ein globales Gesellschaftsepos, orchestriert wie ein Krimi, in dem sich die
Ereignisse auf den Kontinenten überstürzen. Von den Vereinigten Staaten von
Amerika der Wallstreet bis hin zu Tschernobyl und den russischen
Oligarchen inszeniert Volpi virtuos die Hoffnungen und Ängste einer Epoche.
Im Wirbel der Weltgeschichte überlagern sich drei Frauenschicksale. Eine
sowjetische Biologin bezeugt aus nächster Nähe den Zusammenbruch des
Kommunismus und den Tod ihrer Tochter. Am anderen Ende der Welt hat eine us-amerikanische
Ökonomin mit ihrem skrupellosen Mann und ihrer globalisierungskritischen
Schwester zu kämpfen. Und schließlich ist da eine begnadete
Computerwissenschaftlerin, entschlossen, das Geheimnis der
Intelligenz
zu lüften. Alle drei finden sich im Fadenkreuz eines sonderbaren Söldners
wieder ...
Kriminalgeschichte, Wissenschaftsthriller und schillerndes Panorama der
Zeitgeschichte in einem. Virtuos und schwungvoll erzählt "Zeit der Asche"
von den großen Umbrüchen des ausgehenden 20. Jahrhunderts: von Tschernobyl,
dem Fall der
Berliner Mauer, dem Niedergang des Sowjetreiches, von bakteriologischer
Kriegsführung und dem Humangenom-Projekt. Und erforscht dabei die allzu
menschlichen Leidenschaften und Abgründe. (Klett-Cotta)
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"Der Würgeengel"
Der charismatische Regisseur Carl Gustav Gruber erfährt, dass er nur noch
wenige Monate zu leben hat. Diese Zeit beschließt er zu nutzen, um seinen
letzten gewaltigen Film zu realisieren. Er soll "Das Weltgericht" heißen.
Es gibt kein Drehbuch, nur einen teuflischen Plan.
Auf einem abgelegenen Landgut treffen sich der Regisseur und seine
Schauspieler,
alles Laien, die er mit großer Sorgfalt ausgewählt hat - nicht einer ausgeprägten
schauspielerischen Begabung wegen, sondern wegen bestimmter
Charaktereigenschaften.
Die Rollen werden verteilt: der todkranke Maler, seine Kinder, die Freunde, die
Ex-Geliebte. Während der nächsten Wochen sollen sie sich an ihre neuen Identitäten
gewöhnen, ihre Rollen leben. Gruber, äußerlich väterlich-freundlich, in
Wahrheit ein subtiler, diabolischer Manipulator, weist sie ein. Als endlich die
Dreharbeiten beginnen, sind die Identitäten verwischt: was ist gespielt, was
ist wirklich? Und Gruber lässt die Kamera alles aufnehmen: die Streitereien,
die Dialoge, die Emotionen. Auch den Mord. Die Rechnung Grubers scheint
aufzugehen. Er wird einen Film schaffen, wie es keinen je gab: alles real, kein
Spiel, sondern echte Akteure.
Volpi entwirft ein apokalyptisches Szenario, bedrückend, voller Melancholie und
kalter Berechnung.
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