Zoë Jenny: "Ein schnelles Leben"


Eine moderne Romeo-und-Julia-Geschichte

Die junge Türkin Ayse lebt familienbedingt behütet in einer Stadt in Ostdeutschland, sehr zurückgezogen von ihren Altersgenossen, ständig unter der Beobachtung ihres Bruders Zafir. Nur gelegentlich, in den Schulpausen, gelingt ihr eine kleine Flucht auf einen Dachboden der Schule mit ihrer Freundin Sezen, die ein etwas freieres Leben führt, raucht und viel fotografiert. Ihre Kleidung wird ihr von ihrer Mutter ausgesucht, und nur wenige Stücke in ihrem Zimmer tragen wirklich ihre eigene Handschrift - und diese Bekleidung hat Sezen für sie besorgt. Der einzige Mann außerhalb ihrer Familie, zu dem sie weitergehenden Kontakt hat, ist ihr Deutschlehrer Matteo, für den sie Geschichten und Gedichte schreibt, welche die Grundlage ihrer Benotung bilden. In diesen Geschichten und Gedichten lebt Ayse eine Freiheit, die sie ansonsten nicht kennt.

Dann kommt mit Christian ein neuer Schüler an ihre Schule, und dieser ist von Ayse genauso angetan, wie diese von ihm. Aber unter Zafirs Argusaugen gestaltet sich eine erste Kontaktaufnahme schwierig; besonders, weil Christian anscheinend zu einer Gruppe um einen gewissen Siggi gehört, die sich als neofaschistische Wehrsportgruppe geriert, mit der Zafir und seine Freunde regelmäßig aneinander geraten. Doch auf einem Fest, das Sezen veranstaltet, gelingt es Ayse zum ersten Mal, sich für ein paar Minuten von Zafir abzusetzen und mit Christian zu reden. Und aus dem Interesse wird mehr ...

Ein Versteckspiel beginnt, das zum Teil an Romeo und Julia erinnert, wobei die Parallelen sehr weit reichend sind, wie Freunde Shakespeares bald erkennen werden, wobei fast kein dramatisches Element ausgelassen wird - angepasst an die aktuelle Situation in Stadtvierteln mit erhöhtem Migrantenanteil.

Ayses Zeichnung ist sehr gut gelungen, und diese Figur steht bei den Betrachtungen deutlich im Vordergrund. Christian wird nur gelegentlich Perspektivengeber der Erzählung und bleibt damit eher unumrissen in seiner Darstellung; noch mehr, als der ziemlich stereotype Zafir und sein Gegenspieler Siggi. Auch der Lehrer Matteo tritt nicht ganz klar aus den Seiten hervor. Und so ist "Ein schnelles Leben" vor allen Dingen eine von der sehr poetisch veranlagten 15-jährigen Ayse erzählte Geschichte, die auch zum Teil in Auszügen aus ihrem Tagebuch dargestellt wird.

Die poetische Sprache bestimmt auch den Ton der Geschichte, die sich wunderbar liest und übersichtlich strukturiert ist. Sicherlich für junge Damen in Ayses Alter und diejenigen, die solche Damen besser verstehen wollen, ein überaus ansprechendes Büchlein.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2007)


Zoë Jenny: "Ein schnelles Leben"
Aufbau Taschenbuch Verlag, 2003. 165 Seiten.
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Hörbuch:
Lesung. Sprecher: Sascha Icks.
Der Audio Verlag, 2002. 3 CDs; Laufzeit 205 Minuten.
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Zoë Jenny wurde 1974 in Basel geboren und ist dort sowie in Carona (Tessin) und Griechenland aufgewachsen. Sie veröffentlichte die Romane "Das Blütenstaubzimmer" (1997); "Der Ruf des Muschelhorns" (2000) und "Ein schnelles Leben" (2002), die in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden (u. a. beim "Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb", dem "Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung" und dem "aspekte-Literaturpreis"). Zoë Jenny lebt in London.

Weitere Bücher der Autorin:

"Der Ruf des Muschelhorns"

Die Geschichte des Mädchens Eliza: Von der Mutter verlassen und nach dem Tod der Großmutter Waise, wird sie eines Tages von den Rosenbergs adoptiert und in das große Haus auf dem Goldhügel aufgenommen. Doch die Hoffnung, dort eine neue Heimat zu finden, ist so brüchig wie die Welt, die Eliza umgibt.
Eines Morgens verlässt Eliza mit ihrer Mutter die Stadt, in der sie bisher gewohnt hat. Eliza wird zu Großmutter Augusta aufs Land gebracht. Die Spur der Mutter verliert sich - für immer. Für Eliza beginnt eine glückliche Zeit gemeinsam mit der geliebten Augusta, bis der plötzliche Tod der Großmutter dem unbeschwerten Leben ein Ende setzt.
Eliza kommt in ein Waisenhaus; schwere Jahre brechen an, in denen sich Eliza ihrer Umwelt verweigert und ihr nur noch der Tod als Ausweg erscheint. Doch überraschend holen an einem sonnigen, kalten Tag die Rosenbergs Eliza in ihr großes Haus auf dem vornehmen Goldhügel: die Hoffnung auf ein Zuhause eröffnet sich. Aber das gegebene Versprechen ist brüchig - so brüchig wie die Welt, die Eliza umgibt.
Zoë Jenny entfaltet Stück für Stück, Jahr um Jahr, Elizas Lebensgeschichte. Von der ersten Seite an blättert sie einen fesselnden, atmosphärisch dichten erzählerischen Reigen auf, der nie unberührt lässt. Ein Roman voll packender, eindringlicher Geschichten, voll authentischer Gefühle. In lakonischem, alles Überflüssige aussparendem Stil erzählt Zoë Jenny die bewegende Geschichte des Mädchens Eliza auf der Suche nach Geborgenheit und einer eigenen, einer unzerstörbaren Heimat. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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"Das Blütenstaubzimmer"
Direkte, präzise Prosa voller Poesie, die von der Illusionslosigkeit und der Skepsis einer neuen Generation erzählt. Eine junge Frau begibt sich auf die Reise. Sie verlässt den Vater, um die Mutter zu finden. Doch ihr Weg führt zum unausweichlichen Abschied von den Eltern.
Jo, die Protagonistin des Romans, hat gerade ihr Abitur gemacht. Kurz entschlossen entscheidet sie sich, zu ihrer Mutter in das südliche Land zu reisen, in dem diese mit ihrem neuen Mann lebt. Zwölf Jahre haben sie sich nicht gesehen, die Annäherung erweist sich als schwierig. Ganze zwei Jahre, viel länger als sie geplant hatte, bleibt sie schließlich in dem Haus von Alois, dem schwermütigen Maler. Als dieser bei einem Autounfall stirbt und ihre Mutter sich im Blütenstaubzimmer einschließt, so, als wolle sie sich lebendig begraben, ist es Jo, die sie retten kann. Doch zu größerer Nähe kommt es nicht. Desillusioniert und abgestoßen von den Lebenslügen der Erwachsenen vollzieht Jo Schritt für Schritt die Trennung. Wie eine Schlangenhaut wirft sie die Welt ihrer Kindheit ab.
In kurzen, glasklaren Sätzen entsteht das Lebensbild einer jungen Frau von heute. Mit nur wenigen Federstrichen zeichnet die Autorin Orte und Unorte für echte und inszenierte Leidenschaften und besticht dabei durch ihre Bilder, die von überraschender und treffsicherer Schärfe sind. "Es geht um die Unbehaustheit, um die Grundstimmung der Verlorenheit - um meine Generation", so die 23jährige Autorin in einem Interview.
"Das Blütenstaubzimmer" kann als ein geglückter literarischer Entwurf einer neuen Generation gelten, als literarischer Zugang zu der Welt der jungen Menschen im ausgehenden Jahrtausend. Zoë Jenny gewann 1997 beim "Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb" in Klagenfurt für ihren Roman das "3sat-Stipendium". (Frankfurter Verlagsanstalt)
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"Das Portrait"
Helen, eine junge Malerin, ist auf dem Weg in eine fremde Stadt. Im Flugzeug sitzend sieht sie auf den unbekannten Ort unter sich: Irgendwo da unten muss sich das Haus befinden, in dem sie die nächsten drei Monate verbringen wird, eingeladen von einem in der Szene bekannten, sehr reichen Kunstsammler. Sie soll sein Porträt malen. Eine Bedingung des Vertrags besagt, dass sie dabei für drei Monate das Grundstück nicht verlassen darf. Doch in dem Maße, wie das Porträt Form annimmt und sie die Zeit mit dem Hausherrn im Atelier verbringt, wächst ihr Unwohlsein. Die große Villa ist wie ausgestorben. Die Angestellten zeigen ihr die kalte Schulter. Ihre Ausflüge in das große, parkähnliche Grundstück zeigen ihr, das hier vieles nicht stimmt. Die anfängliche Idylle entwickelt sich zur Katastrophe. Der Sammler kontrolliert sie, beobachtet sie wie eine Trophäe. Sie erfährt, dass er zuvor einen jungen Maler unterstützt hat, der dann Selbstmord beging. Sie versucht zu fliehen, aber der Sammler weiß das zu verhindern. Doch Helen gelingt am Ende der rettende Absprung. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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