Adolf Holl: "Jesus in schlechter Gesellschaft"


Mit seinem bereits vor rund dreißig Jahren erschienen Buch gelang dem Religionswissenschafter Adolf Holl die Skizzierung eines weithin überzeugenden Jesus-Bildes, welches auch die Verantwortlichen im Vatikan dahingehend überzeugte, dass es höchste Zeit wäre, dem unbequemen Ketzer im fernen Wien die kirchliche Lehrbefugnis zu entziehen und ihm fürderhin die Ausübung seiner priesterlichen Funktion zu untersagen.

Adolf Holl, geb. 1930 in Wien und 1954 zum Priester geweiht, ist seitdem als freier Autor und Religionssoziologe an der Universität Wien tätig. Bei der Charakterisierung der geschichtlichen Person Jesu bedient er sich der soziologischen Betrachtungsweise, die ihm terminologisch fundierte Aussagen über das Rebellentum und die Kriminalität Jesu erlaubt. So beschreibt der soziologische Befund einen Heiland mit indifferenter Haltung gegenüber Geld, Besitz, gesellschaftlichem Ansehen und einem Hang zu den Armen und den gesellschaftlich Verfemten, der nach wiederholt begangenen Normbrüchen - "Ich aber sage euch" - in Gegensatz zur gesellschaftlichen Machtelite gerät, von dieser mit dem Stigma des Kriminellen gezeichnet wird, was seine Hinrichtung als politischen Verbrecher zur logischen Konsequenz hat. Mit Paulus - dem Missionar Jesu - beginnt die - im Evangelium des Johannes bereits vollzogene - Vergottung des gekreuzigten Heilands, was das Selbstbewusstsein der Gruppe ergebener Gläubiger stärkt und sie zugleich davon entlastet, dem Religionsstifter gleich zu tun. Als Teil des dreieinigen Gottes wird Jesus zur absoluten Autorität erhoben, an der sich kein Mensch mehr messen kann und messen muss. Das mit interessanten Details über des Nazareners Obdachlosigkeit und Familienfeindlichkeit (jedoch nicht Sexualfeindlichkeit) u.v.m. überschäumende Buch stellt Jesus als zornigen Propheten in einen sozialhistorischen Zusammenhang, der in der Erzählung vom Brudermord des Kain an Abel seine schriftliche Niederlegung im Alten Testament findet und welcher einen Kulturkampf dokumentiert, der zu dieser Zeit Israels Gesellschaft tatsächlich entzweit haben muss. Es handelt sich dabei um den überlieferten Konflikt zwischen dem archaischen Nomadenerbe und der sesshaften hierarchisch geordneten Stadtkultur, deren Gott in einem Tempel haust, repräsentiert und verwaltet durch eine Priesterkaste, der nun aller nomadische Prophetenzorn gilt. Matthäus und Johannes geben die Aggression Jesu gegen den Tempel als kultisches Zentrum priesterlicher Herrschaft wieder, wenn sie ihn mit den Worten zitieren: "Reißt diesen Tempel nieder, und ich werde ihn in drei Tagen wiederum aufbauen." Rätselhafte Worte, gewiss, die sich wiederholen und verstärken, wenn Jesus angesichts des pompösen Tempelbezirks mit Schatzkammern, Tore aus Gold und Bronze, Altäre im Freien, trocken prophezeit, dass hier kein Stein auf dem anderen bleiben wird.

Man könnte jetzt über den Symbolgehalt dieser Aussagen Jesu rätseln und deutend verharmlosen, was Militanz verrät, gäbe es nicht die subversive Rede des Jerusalemer Frühchristen Stephanus vor Gericht, in welcher die Tempelkritik auf das Deutlichste manifest wird: "Allein der Allerhöchste wohnt nicht in Gebäuden von Menschenhänden. Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. Was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, was soll meine Ruhestätte sein?" Die in ihrer Existenz und Wohllebigkeit bedrohte Priesterkaste weiß sich mit staatlicher Repressionsgewalt gegen die Fundamentalopposition der Judenchristen zu wehren und dementsprechend lautet auch die Anklage gegen Stephanus: "Dieser Mensch hört nicht auf, gegen die heilige Stätte zu reden. Wir haben ihn sagen hören, dass Jesus diese Stätte zerstören wird."

Ich könnte nun noch tausend und mehr Worte über den faszinierenden Inhaltsreichtum dieses Buches schreiben, dessen heimtückischer Gegenwartsbezug die römische Glaubenskongregation so sehr empört haben muss, dass sie meinte, zum Mittel der Repression greifen zu dürfen. Es juckt in den Fingern, den souveränen und beinahe gotteslästerlichen Ungehorsam Jesu gegenüber der Gottesidee der Tora auszuführen, doch will ich es nach erfolgter Appetitanregung dabei belassen, den Leser selbst nach des Ketzers Werk greifen zu lassen, der in bester Gefolgschaft Christi als gefährlicher Aufrührer bezeichnet werden darf, da heimisch in der Kunst des Verfassens bissiger Literatur, die Spaß macht. Versäumen Sie nicht, dieses Buch gleich zu bestellen. Es lohnt sich.

(Harald Schulz; 21. April 2002)


Adolf Holl: "Jesus in schlechter Gesellschaft"
Kreuz Verlag Stuttgart, 2000. 190 Seiten.
ISBN 3-783-11816-6.
ca. EUR 14,90.
Buch bestellen