Bernhard Hennen: "Die Elfen"
Wenn Legende in einem großartigen Roman zur Geschichte wird
Kein Leser kommt um dieses Phänomen herum: Es gibt Bücher, die von der
ersten Seite an klarmachen: ein Geduldspiel von einigen hundert Seiten
steht bevor. Dabei gerät die Lektüre unbarmherzig Blatt um Blatt zum
Grabenkampf gegen die Langeweile. Dann wiederum schlägt man den
Buchdeckel auf und fällt schon nach wenigen Zeilen einem Faszinosum
anheim, das vom Vorwort bis zum Anhang andauert. Je mehr Details der
Handlung preisgegeben werden, desto stärker wirkt der Bannzauber der
Zeilen. Je mehr Seiten das Werk hat, desto inniger wird die Beziehung
zum Gelesenen. Je dichter der Charakter der Figuren, desto größer fällt
das Mitleiden aus. Bernhard Hennens "Die Elfen" ist solch ein positives literarisches Phänomen.
Der Handlungsfaden wird im hohen Norden eines nicht näher bezeichneten
Kontinents aufgenommen, wo eine Gruppe grobschlächtiger, bärtiger
Krieger auf der Jagd ist - auf der Jagd nach dem so genannten Manneber,
der die Umgebung ihres Dorfes Firnstayn terrorisiert. Das hinterlistige
Wesen lässt sich gerne aufstöbern und tötet einen Nordmann nach dem
anderen. Nur dem Anführer Mandred gelingt mit letzter Kraft die Flucht
in einen magischen Steinkreis, den zu betreten der Manneber nicht
befähigt scheint. Als der erschöpfte Krieger aufwacht, findet er sich
in der Albenmark wieder, einer Parallelwelt, die von der mächtigen
Elfenkönigin Emerelle regiert wird. Mandred wird an ihrem Hof gesund
gepflegt - und die Regentin verspricht sogar, Hilfe gegen den Manneber
zu schicken. Emerelle rekrutiert die "Elfenjagd", eine kleine Truppe
von Elitekriegern, die nur in Zeiten höchster Gefahr ausrückt.
Scheinbar ahnt die Königin mehr über das wahre Ich des Mannebers.
Mandred wird als erstem Menschen die Ehre zuteil, an der Elfenjagd
teilzunehmen. Ihm zur Seite stehen neben einem kentaurischen
Bogenschützen fünf Elfen: ein Fährtensucher, eine Zauberin, eine
Wolfsführerin samt ihrem Siebenerrudel sowie Farodin und Nuramon. Die
beiden Letztgenannten sind die besten Kämpfer, die Albenmark
aufzubieten hat. Doch der gedankenlesende Manneber erweist sich erneut
als stärker. Er vernichtet alle Mitglieder der Strafexpedition - bis
auf Mandred, Farodin und Nuramon. Die drei Überlebenden werden durch
eine magische Barriere in einer Eishöhle eingeschlossen, wo es zum
entscheidenden Kampf kommt. Es kann zwar die leibliche Form des
Mannebers getötet werden, nicht aber sein wahres Ich, denn dabei
handelt es sich um einen Devanthar. Einst hatten die Alben,
göttergleiche Lichtgestalten und Schöpfer aller Kinder Albenmarks,
diese uralte Dämonenrasse vernichtet. Nun sinnt der einzig überlebende
Devanthar nach alles zerstörender Rache.
In Nuramons Form verschafft er sich nächtens Zutritt zu Noroelle und
zeugt mit der Elfin ein Kind. Damit ist der sorgfältig geplante Keim
des Untergangs gesät. König Emerelle erkennt die Gefahr und fordert
Noroelle auf, ihr Neugeborenes zu töten. Doch die Muttergefühle
überwiegen. Noroelle versteckt den Dämonensohn in der Menschenwelt;
sicher vor den Nachstellungen der Elfenkönigin. Wegen ihres Ungehorsams
wird sie aus Albenmark verbannt: in die Zerbrochene Welt, eine
Nebendimension, die durch den Krieg der Alben gegen die Devanthar fast
zur Gänze zerstört worden war. Lediglich ein paar Inseln treiben darin
in einem Meer aus unendlichem Nichts.
Als Farodin und Nuramon, die Noroelle seit zwanzig Jahren den Hof
machen, sich befreien und nach Albenmark zurückkehren können, ist es
längst zu spät. Ihre Minnefrau ist auf ewig verstoßen. Alle
Gnadengesuche bei Königin Emerelle scheitern. Die Krieger versuchen
einen verzweifelten Handel mit der Regentin: das Leben des
Dämonenkindes für die Freiheit ihrer Geliebten. Ein Spähtrupp unter der
Führung der beiden Galane zieht aus, um Noroelles Sohn aufzuspüren und
auszuschalten. Nach drei Jahren finden sie den Gesuchten. Es ist der
Wanderprediger Guillaume, der aber zu aller Überraschung auf der Seite
des Guten steht und Krankheiten kuriert. Seine Gabe, die auf Menschen
heilend wirkt, ist für alle Elfen im näheren Umkreis jedoch tödlich -
das Erbe seines Vaters schlägt unwillkürlich durch. Guillaume zeigt
sich bereit, freiwillig nach Albenmark zu gehen und nimmt so ein
Todesurteil in Kauf. Doch er fällt nicht durch die Hand der Elfen,
sondern durch einen Bolzen, abgefeuert aus der Armbrust eines Soldaten
im Sold des tyrannischen, kranken Menschenkönigs. Guillaume hatte sich
geweigert, den ruchlosen Herrscher zu heilen, um das Volk so vor
weiterer Unterdrückung zu bewahren. Doch die offizielle
Geschichtsschreibung erklärt die Elfen zu den Mördern. Ein Märtyrerkult
mit rassistischen Zügen macht sich in der Menschenwelt breit. Die
geistig und körperlich überlegenen Elfen werden aus Neid und
Aberglauben als "Dämonen" geächtet - eine Ironie ganz im Sinne des
Devanthar. Und Guillaume erhält im fundamentalistischen Kult des Gottes
Tjured Verehrung als Heiliger wider Willen.
Hennen illustriert mit diesem Beispiel, wie einfach Propaganda und
religiöser Wahn einen politischen Flächenbrand entfachen können. Was
der deutsche Schriftsteller präsentiert, ist keine abstrakte Fantastik
auf irgend einem fremden Planeten mit klischeehaften Superheroen und
abgrundtief bösen Monstern, er leuchtet seine Charaktere aus - und die
Geschichte könnte durchaus als Parabel unserer eigenen
Menschheitsvergangenheit aufgefasst werden. Rache, Intoleranz,
Rassenhass, Kreuzzugsgedanken. Hennens Helden lassen in all ihrem Glanz
Angst und dunkle Vergangenheit durchscheinen, währenddessen er den
Schurken mitunter durchaus nachvollziehbare Argumente für ihr Handeln
liefert. So erweist sich einer der beiden tapferen elfischen
Hauptprotagonisten von Berufs wegen als Meuchelmörder aus Staatsräson,
während der elfenfressende Herzog der gar unansehnlichen, tumben Trolle
durchaus zu Ehre und Logik fähig ist. Alles eine Frage des ethischen
bzw. kulturellen Blickwinkels.
Viele Jahrhunderte verbringen die langlebigen Elfenkrieger Farodin und Nuramon
damit, Mittel und Wege zu finden, zur Zerbrochenen Welt Zutritt zu finden, um
Noroelle zu befreien. Mal kämpfen sie Seite an Seite, mal trennen sich beider
Wege, um die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Reinkarnation wird zum zentralen
Thema. Nuramon erfährt bei den Zwergen, dass er vor Jahrtausenden schon mal
gelebt und mit ihnen in den Kampf gezogen war. Farodin hingegen weiß, dass Noroelle
die Wiedergeburt seiner einstigen Frau Aileen ist, die vom Herzog der
Trolle
vor langer Zeit ermordet worden war. So oft der Mörder reinkarniert, bereitet
ihm Farodin das Garaus - durch alle Epochen, wieder und wieder, in Erfüllung
seines Schwures. Im Zuge ihrer Queste gelangen sie nach Iskendria, eine Stadt,
die in vieler Hinsicht Ähnlichkeiten
zum historischen
Alexandria aufweist. Sie nehmen das unschuldige, aber mächtige Elfenmädchen
Yulivee in ihre Obhut, treffen auf einen überheblichen Dschinn (erinnert an
Jonathan
Strouds "Bartimäus") und bestehen manch anderes Abenteuer. Der Witz
kommt bei Bernhard Hennen nie zu kurz. So macht Mandred, der Barbar, sogar Bäume
besoffen ...
Faszinierend ist die oft unkonventionelle Reisemethode der Gefährten:
Albensterne. Diese befinden sich dort, wo unsichtbare Albenpfade sich
kreuzen. Je mehr dieser Kraftlinien da sind, desto stärker und zugleich
sicherer erweist sich der Albenstern als Tor zu einem anderen Ort bzw.
in eine andere Welt. Versucht jemand mit Gewalt einen Albenstern zu
öffnen, kann dieser Jemand leicht im Gefüge der Zeit verloren gehen,
wandelt jemand auf instabilen Pfaden, kann das im räumlichen Nichts ein
jähes Ende finden. Albensterne wurden einst von den Alben als
Abkürzungen zwischen den Dimensionen angelegt. Wer viel auf ihnen
reist, für den vergeht die Zeit weit langsamer, als für jene außerhalb
dieser magischen Wege. So kommt es, dass Mandred nach Jahrhunderten
seiner Kindeskinder ansichtig wird, den Aufstieg Firnstayns zur
Großstadt mitverfolgt und die Erfindung von Pistolenkugeln am eigenen
Leib spürt, während er selbst kaum alterte. Fünf Welten oder
Dimensionen gibt es in Hennens Roman: die Menschenwelt, die Albenmark,
die Zerbrochene Welt sowie zwei entrückte Ebenen: Albenheim und das
"Mondlicht", eine Art Ewigkeit.
Am Ende der Geschichte über "Die Elfen" gehen viele Albenkinder in das Mondlicht ein: In zwei gewaltigen Schlachten, die jenen in "Der Herr der Ringe"
um nichts nachstehen, finden sie ihren Heldentod. Die eine Schlacht
geschieht in den Gewässern des eisigen Nordens, die andere direkt an
der Dimensionsgrenze zur Albenmark. Elfen, Zwerge, Kentauren, Gnome,
Nordmänner und sogar Trolle kämpfen Rücken an Rücken gegen das
gewaltige Heer der Tjured-Ritter, die in ihrem religiösen Fanatismus
alles Ungläubige ausrotten wollen. Bernhard Hennen beginnt seinen Roman
in der Mitte eines Zeitalters, führt an dessen Anfänge zurück und lässt
den Kreis in einer finalen Konfrontation schließen. Die Kriegerischen
unter den Lesern werden sich fragen: Ist Albenmark verloren oder kann
der Devanthar letztendlich vernichtet werden? Für die Romantiker ist es
gewiss wichtiger zu erfahren, ob Noroelle nach einem Jahrtausend
Einsamkeit von Farodin und Nuramon doch noch befreit werden kann - und
wenn ja, welcher der beiden elfischen Romeos das Herz der spitzohrigen
Julia am Ende erobert. Finger und Lippen des Rezensenten werden zu
Stein ...
(lostlobo; 04/2005)
Bernhard Hennen: "Die
Elfen"
Heyne, 2004. 912 Seiten.
ISBN 3-453-53001-2.
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Bernhard Hennen, geboren 1966 in
Krefeld, bereiste als Journalist den Orient und Mittelamerika, bevor er sich
ganz dem historischen Roman und der Fantasy verschrieb. Seine zahlreichen Werke
wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Der Wahrträumer. Die Gezeitenwelt 1"
Dies ist der erste Roman eines zwölfbändigen
Fantasy-Projekts. Zusammen mit Geophysikern, Archäologen, Anthropologen und
Biologen haben vier Autoren eine fantastisch-realistische Welt entwickelt. Sie
erzählen vom Kampf der Kulturen und von dem Wagnis, ein Visionär zu sein.
"Die Geschichte jener Walfängerin mit
Namen Alessandra begann an einem Spätsommerabend im vierhundertachtundfünfzigsten
Jahr der Abwesenheit Gottes. Und sie begann mit einem Blutbad ..." So nimmt
die Chronik der verlorenen Zeit ihren Anfang. Es ist die Chronik der
Gezeitenwelt, einer Welt, die nach einem Asteroidenhagel aus den Fugen gerät.
Diese Katastrophe löscht binnen Stunden Königreiche aus und verändert das
Antlitz der Kontinente. Es beginnt eine Epoche, da Völker ihre Heimat
verlassen, um vor einer Eiszeit zu fliehen, eine Zeit, da Träume Gestalt
annehmen und Märchen Wirklichkeit werden. Der erste Roman eines Epos voller
Abenteuer, Magie und geheimnisvoller Naturphänomene, das die Autoren Bernhard
Hennen, Hadmar von Wieser, Karl-Heinz Witzko und Thomas Finn in einer wunderträchtigen
Welt, aber auf naturwissenschaftlicher Grundlage angesiedelt haben. (Piper) Lien:
http://www.gezeitenwelt.de
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"Nebenan"
Alles war in bester Ordnung. Doch nun droht der Welt, genauer:
Köln,
ein heilloses Durcheinander. Nöhrgel, der Älteste der Heinzelmännchen, ruft
seine Mannen zusammen, um das Böse aufzuhalten. Denn durch die Torheit einiger
Studenten sind Übeltäter von "Nebenan" in unsere Welt gelangt: der Erlkönig,
der als Öko-Terrorist ein Atomkraftwerk lahm legt,
Cagliostro,
der mit bösem Zauber ein Vermögen macht, und die rabiaten Trolle, die nicht
nur die Polizei kurz und klein schlagen. Bis zum Vatikan reichen die Rettungsversuche
- doch letztendlich können nur die
Heinzelmännchen retten, was zu retten ist.
(Piper)
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