Elfi Hartenstein: "Moldawisches Roulette"

Ein spannender Roman über eine deutsche Lehrerin, die in Moldawien ins Visier der Politmafia gerät


Die deutsche Lehrerin Pia Ritter begibt sich für ein Jahr nach Moldawien um dort in der Hauptstadt Chisinau Deutsch zu unterrichten. Weit fort von ihrem Freund Wolf in Deutschland beginnt sie hier das Leben in der ehemaligen Sowjetrepublik kennen zu lernen, in der immer noch der russische Einfluss mächtig ist und wo Straßen, Elektrizität und auch Heizungen nicht unbedingt übertrieben zuverlässig sind. Genau wie die Gehälter ihrer Kolleginnen und Kollegen an der Universität, die alle noch mindestens ein oder zwei weitere Jobs ausüben müssen um über die Runden zu kommen. Trotzdem findet sich Pia relativ schnell in ihr neues Umfeld hinein und beginnt einige Freundschaften zu schließen. Doch wirkliche Gewöhnung will nicht eintreten, und als sie eines nachts Schüsse auf der Straße hört, merkt sie an den Reaktionen ihrer Nachbarn, dass zwischen ihren Gastgebern und ihr doch noch eine große Kluft besteht.

Kurz darauf fällt Pia bei einem Casinobesuch auf, dass eine Person, die bei ihrem letzen Besuch viel gewann, nun abermals vom Glück begünstigt zu sein scheint, was den Verdacht der Geldwäsche nahe legt - ein Verdacht, den einer der ministerialen Betreuer durch sein seltsames Verhalten noch bestärkt. Wenig später wird Pia Ritter von diesem Mann auch noch beim Besuch eines exklusiven Weinkellers gebeten, gegen eine nicht ganz so kleine Aufwandsentschädigung sicherzustellen, dass der sprachlich absolut unbegabte Sohn ein Stipendium für Deutschland bekommt. Ein Ansinnen, das Pia entrüstet ablehnt. Doch sie merkt sehr schnell, dass, was sie zu Hause als ehrenrührig ansieht, an diesem Ort fast schon zum guten Ton gehört. Auch wird sie als Deutsche mit Kontakt zur Botschaft sogar von Polizisten um kleine Gefälligkeiten angegangen, was sie sehr verstört. Besonders als sie nach dem Diebstahl einiger sehr wertvoller Weinflaschen aus dem oben erwähnten Keller prompt von verschiedenen Seiten verhört und überwacht wird.

Ein Bombenanschlag auf die deutsche Botschaft, weitere Schwierigkeiten mit dem Minister sowie einigen Kollegen und die nur allzu seltenen Besuche Wolfs zehren an ihren Nerven, bis Pia Ritter kurz vor Weihnachten in ihrem Treppenhaus die Leiche einer jungen Frau vorfindet, die in dem bereits genannten Casino arbeitete. Nun muss sie bis zu ihrer Abreise untertauchen und versuchen, niemandem mehr unangenehm aufzufallen. Doch es wird immer komplizierter für Pia, und sie ist mehr und mehr auf die Hilfe Anderer angewiesen ...

Der Roman ist gut und interessant geschrieben und man merkt, dass die 1946 geborene Autorin in dieses Erstlingswerk ihre eigenen Dozentinnenerfahrungen in den ehemaligen Sowjetrepubliken mit eingebracht hat, wobei die westliche Pia Ritter am Ende allerdings ein bisschen stark als moralische Missionarin für die teilweise bewundernden "Eingeborenen" wirkt, was dem Ganzen eine weniger angenehme Note verleiht. Davon abgesehen ist "Moldawisches Roulette" allerdings ein gelungenes Erstlingswerk und weckt Interesse an weiteren Abenteuern dieser (oder einer anderen) Dozentin - etwa in Rumänien, der Ukraine, Kasachstan oder Kirgisien, wo die Autorin Elfi Hartenstein ebenfalls schon tätig gewesen ist.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2004)


Elfi Hartenstein: "Moldawisches Roulette"
dtv, 2004. 280 Seiten.
ISBN 3-423-24431-3.
ca. EUR 15,-.
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Netzseite der Autorin:
https://www.elfi-hartenstein.de/

Leseprobe:

Wir treten durch die getönte Glastür und ich bemerke mit Genugtuung, wie mein Pfadfinder einen Moment stockt, die Augenbrauen in die Höhe zieht, schluckt, mich irritiert anlächelt und nicht so recht zu wissen scheint, wo er da hineingeraten ist. Dieses Zwischending aus qualmverhangener Spielhölle und Bordcasino-Noblesse hat er offensichtlich nicht erwartet. Der Großteil der Besatzung besteht aus coolen Maßanzugtypen mit undurchdringlichen Gesichtern, denen man ansieht, dass sie Handys, dunkle Brillen und genügend Scheine in den Jackettaschen mit sich herumtragen. An der Bar hängen ein paar schrill gestylte Miezen herum - vermutlich Damen von der Sorte, wie der nächtliche Telefonservice des Hotels sie ausländischen Gästen offeriert. Es ist mehr Publikum da als ich dachte.
Pachers Lächeln beantworte ich mit einer Kopfbewegung zur Kasse hin, wo man Dollars gegen Chips tauschen kann. Wir gehen zusammen hinüber und während er darauf wartet, dass der Kassier sein Gespräch mit einem breitbeinig vor seinem Schalter stehenden, russisch sprechenden Gast beendet, merke ich, wie sich in meinem Magen wieder dieses Kribbeln breitmacht, das mich in den ersten Wochen immer erfasste, wenn ich ins Auto stieg und mich durch den Stadtverkehr zu kämpfen suchte. Dieses fast bodenlose Staunen, dass ich doch immer heil an meinem jeweiligen Ziel ankam, obwohl die Autofahrer sich mit einer an Tollkühnheit grenzenden Unbefangenheit fortbewegen, die kaum vermuten lässt, es habe sich bereits herumgesprochen, dass jemand einmal so etwas Nützliches wie das Fahren in der Spur erfunden hat. Irgendwie scheinen Mittelstreifen vor allem dazu dazusein, dass jeder ausprobieren kann, wie lange es ihm gelingt, mit dem Wagen möglichst genau mittig über sie hinwegzufahren, ohne sich abdrängen zu lassen. Und alle spielen mit. Dass man hier in Einbahnstraßen auch in umgekehrter Richtung fährt, habe ich schnell gelernt, und die Verkehrspolizisten mit ihren breitkrempigen schwarzen Cowboyhüten, den strahlend weißen kurzärmeligen Hemden und den schwarzen Hosen und Stiefeln sehen aus, als kämen sie geradewegs aus einem für die Ausstattung von Westernsaloons zuständigen Kostümverleih. Ebenso weiß ich mittlerweile, dass sie mit Selbstverständlichkeit davon ausgehen, Besitzern von Wagen mit ausländischen Kennzeichen ohne wortreiche Dispute ein paar Lei mehr abnehmen zu können, als die Regeln es vorsehen. Seitdem ich die Preise kenne und mein Wortschatz ausreicht, um gegen überhöhte Forderungen protestieren zu können, machen mir meine unvermeidlichen Rencontres mit den staatlichen Ordnungshütern beinahe Spaß. Immerhin werde ich regelmäßig, kaum dass sie mich hinter dem Lenkrad entdeckt haben, von ihren Trillerpfeifen an den Straßenrand geholt, weil sie meine Papiere kontrollieren wollen. Frauen am Steuer gehören hier immer noch ins Raritätenkabinett.
Was mir in etwa so fremd ist wie das, was momentan hier hinter der getönten Glastür passiert.

Ich sehe es sofort, als wir uns dem am dichtesten belagerten Spieltisch nähern: der Dicke ist wieder da. Er schwitzt. Zielsicher deckt er den grünen Tisch vom unteren Ende her mit roten Chips ab. Immer mindestens drei übereinander. Er setzt sie in die Felder und auf die Zwischenlinien und Knotenpunkte. Unaufhörlich. Die Kugel rollt längst. Kein Rien ne va plus hält ihn auf. Rot steht für zwanzig. Zwanzig Dollar. Ich habe keinen Überblick, wieviel Geld er der Bank zum Fraß anbietet. Doch die Bank schluckt es nicht. Die Kugel rollt, und wenn sie anhält, werden dem Dicken blitzschnell hohe Chip-Türme zugeschoben, die er vor sich zu Bergen anhäuft, um sie dann wieder neu in Dreier- und Vierergruppen ins Spiel zu bringen. Er verliert nie.

Als Wolf und ich zusammen hier waren, standen wir mindestens eine Stunde lang völlig gebannt am Tisch.
"Das war doch die Null", entfuhr es mir einmal.
Wolf nickte.
"Aber auf die Null hat er doch gar nicht gesetzt."
"Hm."
Er zog die Schultern in die Höhe und legte mir die Hand auf den Ellbogen. Ich verstand zwar nicht, was da vorging, aber ich hielt den Mund. Dass um den Roulettetisch herum nie geredet wird, hat mich schon immer gestört. Ich mag Spiele nicht, die so ernst sind, dass sie die Spielenden daran hindern, miteinander zu kommunizieren.
Wieder waren zwei Drittel des Einsatzes zu dem Dicken hinübergewandert. Und noch drei weitere rote Zwanziger-Türme.
"Mensch!"
Der Griff an meinem Ellbogen verstärkte sich. Wolf warf zwei grüne Chips auf einen Knotenpunkt. Ich hatte nicht einmal Zeit, mir anzusehen, welche Kombination damit abgedeckt war, als er die Chips auch schon wieder in der Hand hielt. Ich verstehe nichts von Roulette. Es ist für mich wie eine fremde Sprache. Man kann Sprachen nicht lernen, indem man sich auf stures Pauken beschränkt. Man muss sich hineinwerfen, muss gezwungen sein zuzuhören und sich verständlich zu machen. Wenn ich im Hausflur meiner Nachbarin begegne und sie mir erzählt, dass das Wasser in meiner Küche nicht funktioniert, weil die Leute in der Wohnung unter mir umbauen und Rohre auswechseln, dann verstehe ich sie nicht deshalb, weil ich diese Sätze schon einmal in einem Lehrbuch gelesen habe, sondern weil wir beide das Bedürfnis haben, uns zu verständigen. Ich hatte bislang einfach kein Bedürfnis, mich mit einer Roulettekugel zu verständigen.

"Glaubst du, die Sache mit dem Dicken war in Ordnung?", fragte ich Wolf, als wir nach Hause fuhren.
Er bremste vor einer roten Ampel. Es war nicht so dunkel, dass ich nicht gesehen hätte, wie er vor sich hingrinste.
"Für ihn bestimmt."
"Aber ..."
Er wandte mir das Gesicht zu.
"Ist dir aufgefallen, dass er ziemlich schnell nach dem Croupierswechsel zusammengepackt hat?"
Hinter uns hupte es. Die Ampel hatte auf Grün geschaltet.
"Wirklich?"
Ich überlegte. Da waren drei Croupiers gewesen. Einer am Kopfende des Tisches, der die Kasse verwaltete. Einer an der Längsseite, der die Einsätze entgegennahm und die Chips hin und herschob, und eine blonde Frau, die die Ansagen machte und Anweisungen gab. Irgendwann waren sie alle drei abgelöst worden.
"Meinst du ...?"
"Kann auch Zufall gewesen sein."
Als wir Hand in Hand den kleinen Weg zwischen den Häusern hindurch auf unsere Haustür zugingen, fiel mir ein, dass ich nicht einmal mitgekriegt hatte, ob Wolf gewonnen oder verloren hatte.
"Was denkst du denn?"
"Also gewonnen?"
"Klar doch."
"Viel?"
"Na ja - wie man's nimmt."
Er reckte sich und legte den Kopf in den Nacken.
"Sagen wir mal: Bei uns zu Hause könnte ich dich damit in eine bessere Pizzeria einladen. Vorausgesetzt du würdest hinterher nicht mehr als einen Grappa trinken wollen. Aber hier ... Ich schätze mal, für deine Kolleginnen ist das mindestens ein Monatslohn."
"Echt? Du meinst vierzig oder fünfzig Dollar?"
"Fünfundfünfzig genaugenommen."
"Toll!"
"Na hör mal - im Vergleich zu den Summen, die da sonst über den Tisch gingen sind, sind das doch wirklich kleine Fische, oder?"

Kleine Fische. Aber nicht für Normalverdiener, und schon gar nicht für Lehrer. Meine neuen Kolleginnen hatten mir sofort bei unserer ersten Begegnung haarklein auseinandergesetzt, wie unmöglich es ist, mit einem Dozentengehalt über die Runden zu kommen. Mit den umgerechnet dreißig oder fünfunddreißig Dollar, die sie monatlich verdienen, sind sie gezwungen, Nebentätigkeiten anzunehmen, und mit viel Mühe und oft bis zu fünfzig Wochenarbeitsstunden außer Haus bringen sie es dann vielleicht aufs Doppelte. Große Sprünge kann man damit auch bei Niedrigstpreisen für Lebensmittel nicht machen.
Ich hatte Tamara vor Augen, die mir erzählte, dass sie sich in diesem Sommer endlich eine Waschmaschine hatte kaufen wollen - "eine vollautomatische, weißt du, so eine, die alles ganz von allein macht. Man kann weggehen, während sie wäscht und schleudert, irgendetwas anderes tun in der Zwischenzeit, und wenn man zurückkommt, ist alles fertig. Wir hatten tatsächlich das Geld zusammen. Aber ..."
"Aber?", hakte ich nach, "Was aber?"
"Dann ist das Auto dazwischengekommen. Du weißt doch, Männer ..."
Ihr Mann ist bei der Miliz, die Söhne gehen zur Schule.
Es dauerte etwas, bis bei mir der Groschen fiel. "Heißt das, du hast das ganze Geld, das du zusätzlich verdient hast, in ein Auto investiert?"
"Na ja - Männer sind doch wie kleine Kinder. Wenn die ein neues Spielzeug wollen, geben sie solange keine Ruhe, bis sie es endlich bekommen. Und die ganze Zeit hörst du: die anderen haben es auch alle, nur wir nicht. Das geht einem so auf die Nerven, dass man schließlich nachgibt, bloß um endlich Ruhe zu haben."
"Und jetzt wäschst du weiterhin alles mit der Hand?"
"Ach - es ist bis jetzt so gegangen, da wird es auch noch ein oder zwei Jahre länger gehen."
"Das ist doch Wahnsinn, Tamara. Du arbeitest den ganzen Tag, hast obendrein noch einen Vierpersonenhaushalt am Hals und kriegst noch nicht mal eine Waschmaschine! Alles bleibt an dir hängen."
Sie lachte. "In diesem Land bleibt immer alles an uns Frauen hängen, das ist unsere Tradition. Vielleicht braucht es noch eine oder zwei Generationen, bis die Frauen dagegen aufbegehren, aber du musst nicht glauben, dass ich mir nicht auch manchmal wünsche, von der Arbeit nach Hause zu kommen und mich an einen gedeckten Tisch setzen zu können."

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