Sue Grafton: "Totenstille. Q wie Quittung"
Langsam aber sicher nähert sich Sue Grafton mit ihren Alphabetkrimis dem Buchstaben "Z". Diesmal hat sie einen realen Fall zur Grundlage genommen, der seinen Ausgang im Jahr 1968 hat, und bei dem es sich um das Auffinden der Leiche einer jungen Frau dreht, die bis zum heutigen Tag noch nicht identifiziert ist. Da niemand weiß, wer die Ermordete ist, wurde auch nie ein Motiv für ihre Ermordung gefunden, geschweige denn ein Täter oder eine Täterin ...
Solche Fälle sind für Polizeibeamte eine unangenehme Sache, weil sie immer
im Hinterkopf bleiben als etwas, wo man versagt hat. Wie man im Englischen zu sagen pflegt:
"It s always the one that got away you always think about."
Wenn
man dann auf Grund einer schweren Erkrankung nicht weiß, wie lange man eventuell
noch zu leben hat, dann sind solche Fälle für Polizeibeamte noch störender. Und
genau dies ist die Ausgangssituation für diesen Roman.
Stacey, ein ehemaliger Mentor von Kinseys Freund Dolan, leidet an Krebs, und nachdem nun Dolan nach seinem Herzinfarkt auch aus dem aktiven Dienst ausgeschieden - oder zumindest langfristig beurlaubt - ist, beginnen die beiden, übrig gebliebene Fälle aus ihrer Vergangenheit noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Dabei bitten sie Kinsey um ihre Hilfe, die gerade keinen eigenen Fall zu bearbeiten hat.
Bei der Betrachtung des Fundorts der Leiche werden verschiedene Dinge offensichtlich. Die Unbekannte wurde "mehrfach erstochen", sie wurde nicht am Fundort ermordet und - was für Kinsey besonders wichtig ist - der Fundort gehört zu einem Grundstück, das ihrer eigenen, lange verlorenen Familie gehört. Durch ihr Auftauchen auf diesem Grundstück kommt sie wieder in Kontakt mit ihrer Verwandtschaft und erfährt so eine ganze Menge über diese Familie und ihre eigenen Eltern, die ja sehr früh gestorben sind. Vor allen Dingen erfährt sie nun endlich, warum der Kontakt zu ihren Verwandten so lange abgebrochen war, und warum sie erst durch einen etwas länger zurückliegenden Fall überhaupt von deren Existenz erfahren hat. Doch dies ist eine Geschichte, die eher mehr nebenher läuft, während sich der eigentliche Fall entwickelt.
Dieser Fall erscheint durch die inzwischen verstrichene Zeit relativ hoffnungslos, aber da die drei Ermittler nichts haben, das sie von der Arbeit ablenkt, und da sich die forensischen Methoden seit 1968 extrem weiterentwickelt haben, gelingt es ihnen trotzdem schrittweise - und zwar in ziemlich kleinen Schritten - Fortschritte zu machen, die ihnen über die Umwege einiger ermittlungstechnischer Sackgassen schließlich den Weg zur Lösung des Falles zeigen.
Sue Grafton hat sich beim Schreiben dieses Romans sehr stark auf die Erfahrungen von Fachleuten und auf die ursprünglichen Fallakten gestützt. Dabei hat sie die ermüdende und teilweise sehr langweilige Arbeit, die eine Ermittlung in Wirklichkeit darstellt, hervorragend nachgezeichnet. Jemand, der einen Thriller in Graftons typischem Stil erwartet, wird von diesem Buch eher enttäuscht sein. Wer sich allerdings für Charakterentwicklung und Ermittlungsmethodik interessiert, wird dieses Buch ähnlich interessant finden, wie ich.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2003)
Sue Grafton: "Totenstille.
Q wie Quittung"
Goldmann, 2003. 380 Seiten.
ISBN 3-4424-5504-9.
ca. EUR 12,-.
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