Karl-Heinz Göttert: "Die Stimme des Mörders"
Karl-Heinz Göttert ist ein Mensch, der einem in einer Vorlesung mittelalterliche Ideen der Rhetorik und des Aberglaubens wunderbar vermitteln kann, was mich, als einen seiner ehemaligen Zuhörer, auf diesen Roman sehr gespannt sein ließ. Und "Die Stimme des Mörders" nimmt auch genau die Bereiche wieder mit auf, zu denen sich ein kleiner Student vor einigen Jahren mal eine ganze Menge Notizen gemacht hat. Außerdem geht es in diesem Roman auch darum, was wissenschaftliches Denken eigentlich ausmacht.
Köln im Frühjahr 1610. Pfarrer Adolph Overzier, der mit seinem Amtskollegen Hamacher gerne im Disput liegt, hat bei der Beichte eine interessante Entdeckung gemacht. Zumindest erscheint es ihm so. Es hat den Anschein, dass sich aus den Qualitäten der Stimmen der Menschen - das Einzige, was man von ihnen in der Beichte wahrnimmt - ihre Neigung zu bestimmten Sünden herauslesen lässt, selbst wenn sie diese nicht beichten, und mit Hilfe der Texte einiger antiker Autoren, die sich ebenfalls mit der Charakteranalyse über die Stimme beschäftigt haben, entwickelt er eine eigene Systematik dieser Beobachtungen. Als im Raum Worringen ein Mann erschlagen aufgefunden wird, gelingt es ihm dann auch tatsächlich, den Mörder durch dessen Stimme herauszufinden, gleichwohl er diesen zuvor noch nie getroffen hat. Einige mehr oder weniger kontrollierte Experimente unter der Aufsicht seines Freundes Hamacher bekräftigen ihn im Glauben an die Richtigkeit seiner Ergebnisse, und die Untersuchung der Stimmen verurteilter Mörder gibt ihm ein klares Bild über diejenigen, die zu gerade dieser Sünde fähig sind. Dabei entsetzt ihn allerdings, dass er glaubt in seiner eigenen Stimme ebenfalls die Merkmale eines Mörders zu erkennen.
An
dieser Stelle geht das Buch für einige Zeit von Overzier und seiner Entdeckung
weg und beschäftigt sich mit dem Auftauchen eines Dr. Georg Feder in Köln, der
mit einem neuen - auf der Schule des Paracelsus beruhenden - Heilverfahren die
Medizin revolutionieren möchte. Schnell zeigen sich erste Heilerfolge und Feder
gewinnt unter den Studenten der medizinischen Fakultät Kölns eine große und treue
Anhängerschaft. Als sich die verschiedenen Heilerfolge nach einiger Zeit als eine
Art Täuschung herausstellen, ignorieren die meisten seiner Anhänger dies, bis
auf einen Studenten, der Feders Spur bis nach Heidelberg zurück verfolgt, wo er
hört, dass dieser mit Schimpf und Schande von dort vertrieben worden ist. Aufgrund
der gefundenen Indizien - und weil sie um ihre Einnahmen fürchten - beginnen die
Kölner Ärzte nun eine Kampagne gegen Feder, der mit immer haarsträubenderen Ideen
seinen Gefolgsleuten entgegen tritt. Am Morgen nach der Nacht, in der er seinen
Schülern eine Rezeptur für eine Waffensalbe verraten hat, wird Feder von seiner
Vermieterin - einer Apothekerin - ermordet aufgefunden.
Sehr schnell
wird ein Dr. Cronenburg verdächtigt, der bereits zuvor eine Streitschrift gegen
die Paracelsiker im Allgemeinen und Feder im Besonderen heraus gebracht hat. Da
dieser keine Verteidigung vorbringt und der beigezogene Overzier ihn vor dem Rat
als einen Menschen mit der Anlage zum Mord bezeichnet, wird der Doktor zum Tod
auf dem Rad verurteilt. Dieser Hinrichtung entzieht er sich allerdings, indem
er sich selbst vergiftet, wobei er einen Brief zurück lässt, in dem er erklärt,
dass er für die Tatnacht ein sehr überzeugendes Alibi hat, und warum er trotzdem
dem Tod nicht entgehen möchte. Damit bringt er den Kölner Stadtrat - und auch
Pfarrer Overzier - in eine höchst unangenehme Lage, besonders, nachdem sich der
Brief durch die öffentliche Aussage einiger Zeugen zu Cronenburgs Alibi nicht
mehr verheimlichen lässt. Denn der Mörder, der noch immer nicht gefunden wurde,
hat jetzt zwei Menschen auf dem Gewissen.
Im Anhang erklärt uns Professor Göttert dann noch, was an diesem Roman als gesichert und was als Fantasie zu gelten hat und gibt den interessierten Leserinnen und Lesern auch noch Literaturhinweise zur weiteren Betrachtung der beschriebenen Ereignisse, Personen und Zusammenhänge. Alles in allem ein genauso lehrreiches wie spannendes Büchlein. Genau wie Professor Götterts Vorlesungen. Wer Gelegenheit hat, sollte da einmal reinschauen.
Karl-Heinz Göttert, 1943 in Koblenz geboren, ist Professor für Germanistik
(Institut für Deutsche Sprache und Literatur; Mediävistik) an der Universität Köln. Er hat zahlreiche Bücher
verfasst, darunter
Orgelführer und eines über Magie und Alchemie.
Außerdem hat er 14 Jahre lang an der historischen Orgel einer kleinen romanischen
Kirche den Dienst versehen.
(K.-G.
Beck-Ewerhardy; 07/2003)
Karl-Heinz Göttert: "Die Stimme des Mörders"
Emons,
2003. 208 Seiten.
ISBN 3-89705-280-6.
ca. EUR 9,-. Buch bestellen
Ergänzender Buchtipp:
Karl-Heinz Göttert: "Magie"
Kann es Wahrsagung geben, fragt
Cicero
und entscheidet sich für ein klares Nein. Hält die Natur heilende Kräfte bereit,
fragt Plinius und schwankt zwischen nüchternem Realitätssinn und fantastischen
Rezepten. Mitten in der Astronomie begründet Ptolemäus die Macht der Sterne,
die die christlichen Kirchenväter aus theologischen Gründen bestreiten. In der
Alchemie verwirft
ein Albertus Magnus die Goldmacherkunst, um im gleichen Atemzug Talismane zu
empfehlen. Renaissancephilosophen streiten über magische Formen der Lebensverlängerung,
frühneuzeitliche Juristen über die Möglichkeit der Hexerei. Die Aufklärung sorgt
für klarere Linien und muss doch zusehen, wie im eigenen Lager neuer Aberglaube
in Form physiognomischer Wahrsagung aufbricht. Hat auf Dauer die Wissenschaft
gesiegt?
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