Johanna Prader: "Der gnostische Wahn"
Eric Voegelin und die Zerstörung menschlicher Ordnung in der Moderne
Religion
und Politik
Erlösung durch philosophische Erkenntnis Gottes und der Welt,
die im Glauben verborgenen Geheimnisse durch Spekulation aufdecken - so
lautet etwa die pauschale Duden-Definition für Gnosis bzw.
Gnostizismus. Seit der Spätantike wird die nachchristliche
These vom apokalyptischen Endkampf zwischen Gut und Böse
gepflegt. Es war Eric Voegelin, der bereits 1938 von "politischen
Religionen" sprach und eine gnostische Struktur der Moderne zu erkennen
vermeinte. Speziell seine These vom Nationalsozialismus als
"gnostischer Wahn" war für Prader (Jg. 1977), studierte
Politikwissenschaftlerin, der Anlass, 'Voegelin und die
Zerstörung menschlicher Ordnung in der Moderne' (Untertitel)
genauer zu analysieren.
Die Gnosis beschreibt also ein dualistisches Weltbild - den Kampf des
Lichtreichs gegen das Reich der Finsternis. Die ältesten
Wurzeln reichen übrigens bis 600 v. Chr. auf den persischen
Propheten Zoraster (= Zarathustra) zurück - gnostische
Varianten gab es dann in jüdischen, griechischen, indischen
und ägyptischen Heilslehren. Der Gnostizismus fand im 20.
Jahrhundert Eingang in die Anthroposophie, bei den Rosenkreuzern und
zahlreichen Philosophen (Lukács, Bloch, Heidegger, Benjamin)
sowie Literaten (Proust,
Joyce,
Musil,
Hesse,
Th. Mann, Bachmann,
Yeats). Voegelin (1901-1985) entwickelte durch die Erfahrungen mit
Kommunismus und Faschismus eine "lebenslange Abneigung gegen jede Form
von Ideologie" (zit. Prader). In seinem Buch 'Politische Religionen'
(1938) kommt er zu der wichtigen Unterscheidung zwischen "inner- und
überweltlichen" Religionen. Erstere leugnen eben die
Transzendenz - und hier will Voegelin Parallelen zur Gnosis erkennen.
Wichtig festzuhalten ist, dass die antike und frühchristliche
Gnosis judenfeindlich war, weil angeblich der Gott der Juden
für die schlechte Welt verantwortlich war.
Prader geht etlichen Quellen nach, um Voegelin, den "Querdenker im
wissenschaftlichen Nachkriegsdeutschland", dem Leser in etlichen
Details nahezubringen. Für Voegelin hat der
Nationalsozialismus als innerweltliche Religion Symbole wie Rasse oder
Volk an die Stelle von Gott gesetzt. Prader bezeichnet Voegelins Thesen
durchaus als "gewagt", wenn er die moderne als "gnostisch" und den
Nationalsozialismus als neue Religion interpretiert. Dabei war Voegelin
mit seiner Grundthese der "politischen Religionen" nicht der Erste -
immerhin meinte er: "Wenn ich von politischen Religionen sprach, folgte
ich der Literatur, die ideologische Bewegungen als eine Form von
Religion interpretierte."
Das Problem dabei ist u.a., dass Religionsgemeinschaften selbst ihren
Glauben brandmarken lassen möchten. Nach Voegelin wird der
Mensch zu einem "totalitären Gläubigen", der Staat
wird zur "hierarchisch-sakralen Herrschaftsordnung." Voegelin bemerkt
gegen Ende seiner ca. 60 Seiten umfassenden Studie: "... die Erkenntnis
eines politischen Zustandes ist in einem entscheidenden Punkt
unvollständig, wenn sie nicht die religiösen
Kräfte der Gemeinschaft und die Symbole, in denen sie Ausdruck
finden, mitumfasst, oder sie zwar umfasst, aber nicht als solche
erkennt, sondern in a-religiöse Kategorien
übersetzt." Das Problem ist klar: nur als Religion kann sich
eine Ideologie unhinterfragt durchsetzen.
Für Voegelin verfällt der gnostische Aktivist der
"Selbstvergottung" - er sieht Marxismus und Nationalsozialismus
gleichermaßen als "gnostische Varianten mit innerweltlichem
Erlösungsanspruch." Aufschlussreich ist ja, dass Voegelin drei
für ihn wesentliche gnostische Denker folgendermaßen
charakterisiert: Hobbes: "Theologe der weltimmanenten Ekklesia" - Hegel: "spekulativer Gnostiker" - Marx: "intellektueller Schwindler".
Interessant ist auch, dass u.a. Bloch, Horkheimer und Adorno den
Nationalsozialismus unter religionspolitologischen Aspekten
untersuchten. Alles in allem Geht es Voegelin um die Grundthese, dass
nach dem "Gottesmord" der Gnostiker der "Menschenmord" folgen werde. Er
wünschte sich jedenfalls ein Fach 'Religionspolitologie' an
den Universitäten. Einer, der Voegelin am heftigsten
widersprach, war der Philosoph Hans Blumenberg, der sagte: "die Neuzeit
ist die ... Überwindung der Gnosis." Nun, die Diskussion ist
noch im Gange - Prader hat uns eine wertvolle Bestandsaufnahme des
momentanen Kenntnisstadiums vermittelt.
(KS; 10/2006)
Johanna
Prader: "Der gnostische Wahn"
Passagen Verlag, 2006. 152 Seiten.
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Johanna Prader studierte Politikwissenschaften an den Universitäten München und Innsbruck.