Christiane Gibiec: "Die Reise nach Helsinki"

Historischer Kriminalroman

Showdown in der Mittsommernacht ...


Dies ist der dritte Roman von Christiane Gibiec (geb. 1949), nach "Eine Kugel für Mata Hari" und "Türkischrot".
Wie bereits "Türkischrot" spielt auch dieser Roman zu Beginn des 20. Jahrhunderts (genau: 1912) in Wuppertal im Umfeld der sozialistischen Bewegung, wobei in diesem Roman besonders auch die Frauenbewegung in Erscheinung tritt. Durch diese Themenverbindung können Frau Gibiecs Studienfächer - Germanistik und Sozialwissenschaften - und ihre Vorliebe für ihre Stadt Wuppertal richtig zur Geltung kommen.

Die 19-jährige Anna Salander, die nach einem Studienjahr im fortschrittlichen Berlin wieder in Elberfeld ist, muss sich mit den provinziellen Einstellungen und dem Gebaren ihrer Mutter und derer Altersgenossinnen auseinander setzen, nachdem sie - angeregt durch ihren aus Finnland stammenden Vater Pekka - in Berlin ein wesentlich freieres Leben kennen gelernt hat. In Elberfeld hingegen steht nicht alles zum Besten, und auch die Ehe ihrer Eltern scheint in den letzten Zügen zu liegen, während ein treuer Angestellter Pekkas, der ein sehr gut gehendes Pelzgeschäft betreibt, die Firma verlassen will. All diese Dinge treiben Anna um, bis sie von einer Veranstaltung zum Thema 
Abtreibung und Verhütung nach Hause kommt und ihren Vater vergiftet in dessen Büro vorfindet.

Im Zuge der sofort einsetzenden polizeilichen Ermittlungen erlangt Anna von einigen interessanten Dingen, ihren verstorbenen Vater betreffend, Kenntnis. So scheint er, der noch sehr jung nach Wuppertal kam, bereits verheiratet gewesen zu sein und noch eine weitere Tochter zu haben, die in Finnland lebt. Außerdem gibt es noch eine Tante Pekkas, die sich in Helsinki aufhält. Da Pekka mit einem selbstgebrannten alkoholischen Getränk vergiftet wurde, das ihm per Post aus Finnland zugegangen ist, werden die weiteren Ermittlungen bald nach Finnland gelenkt. Und auch Anna beschließt, sich nach Helsinki zu begeben und ihre Halbschwester und ihre Tante kennen zu lernen. Sie nimmt dabei eine alte Freundin der Familie mit und muss bereits im Zug nach Hamburg hören, dass diese vor dem Tod Pekkas einige Zeit ein Verhältnis mit ihm gehabt hat. Dies überrascht die Tochter allerdings nur kurz, bevor sie beginnt sich über einen "russisch aussehenden" Mann Gedanken zu machen, der sie bereits seit Wuppertal zu verfolgen scheint. Später soll er sogar in Helsinki auftauchen.

Neben der Familiengeschichtenauflösung, die den Kern der vorliegenden Erzählung bildet, wird in diesem Roman auch die Situation der Frauen im späten wilhelminischen Kaiserreich dargestellt und dabei eben auch ein Teil der Emanzipationsbewegung im preußischen Raum. Durch die Reise nach Helsinki können dann auch noch gewisse regionale Variationen dieser Thematiken gezeigt werden, die ebenfalls interessant sind.

Ein anderer Komplex ist jener der läppischen Charaktere in dieser Geschichte. Denn die Situation der Lappen in Finnland war schon im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert keine besonders leichte, was sich gegenständlich an den dargestellten läppischen Frauen zeigt. Im Zuge der Verfolgung der Lappen muss Anna schließlich noch höher in den Norden vordringen, um alles über ihre familiären Hintergründe zu erfahren.

Diese Themenvielfalt auf 205 Seiten abzuhandeln kann nur gelingen, wenn man sich einer einigermaßen komplexen Sprache bedient, die auf kleinem Raum viel zu transportieren vermag. Dies gelingt der Autorin ziemlich gut, verlangt aber vom Leser erhöhte Konzentration und Aufmerksamkeit bei der Lektüre.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2004)


Christiane Gibiec: "Die Reise nach Helsinki"
Emons, 2004. 205 Seiten.
ISBN 3-89705-317-9.
ca. EUR 9,-. Buch bestellen

Ergänzender Buchtipp:

"Türkischrot"
Barmen im Frühjahr 1845. Die boomende Textilindustrie beschert den Fabrikanten große Gewinne, die Arbeiter leben im Elend, der Unternehmersohn und Vordenker des Sozialismus Friedrich Engels flieht vor der preußischen Regierung nach England. Die arme Webertochter Rieke Blum tritt eine Stelle als Dienstmädchen im Hause des Türkischrotfärbers vom Bruch und seiner exzentrischen Ehefrau an, gleichzeitig verliebt sie sich in Bruno Laponte, einen jungen Sozialisten und Redakteur der "Barmer Zeitung". Eines Tages liegt die Unternehmergattin ermordet im Türkischrotfass. Für die Polizei steht der Mörder schnell fest: Samuel Kienholz, ein aufmüpfiger und revolutionär gesonnener Färbergeselle. Rieke, Bruno und seine Freunde haben berechtigte Zweifel an Samuels Schuld und stellen auf eigene Faust Ermittlungen an. Auf der Suche nach dem wirklichen Mörder gerät Rieke in die Fänge einer Sekte, und Samuel gelingt trotz schärfster Bewachung die Flucht ...
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