Gerald M. Weinberg: "Das Gesetz der Himbeermarmelade"

103 Geheimnisse der Beratung


Man muss es Gerald Weinberg zugute halten, dass er gleich zu Beginn in seinem Buch "Das Gesetz der Himbeermarmelade" mit der Wahrheit herausrückt. Das Gesetz besagt nämlich, je größer das Brot sei, auf dem man die Himbeermarmelade verteile, umso dünner werde die Schicht. Eine Binsenweisheit, werden Sie sagen. Mit Recht. Logisch und einfach besehen sagt das Gesetz nichts Anderes aus, als dass der Effekt einer Beratung immer kleiner wird, je größer die Gruppe ist, an die sich der Berater wendet. Und somit relativiert Weinberg den Nutzen seines Buches, denn gelesen von Tausenden kann seine Wirkung nur noch minimal sein.

Warum also sollten Sie dennoch dieses Buch erwerben und lesen? Sicher nicht um ein guter Berater zu werden. Denn das Werk stellt in keinster Weise ein Lehrbuch dar. Wenn Sie jedoch bereits seit längerem Berater sind, Ihre Erfahrungen mit Ihren Klienten gemacht haben, dann kann Ihnen dieses Buch in unterhaltsamer Weise dort und da ein wenig die Augen öffnen und das eine und andere "Aha" entlocken. Der Einstieg gelingt dem Autor, indem er zeigt, weshalb Beratung harte Arbeit sei. Probleme - ihretwegen werden Berater ja geholt - gibt niemand gerne zu, Probleme machen immer die Anderen. Und wenn ein Problem gelöst wird, fällt es dem Klienten schwer, einen Zusammenhang zwischen der Problemlösung und der Arbeit des Beraters herzustellen. Andererseits sind diejenigen Berater am erfolgreichsten, die den Anschein erwecken, der Klient hätte das Problem selbst gelöst. Denn diese werden immer wieder gerne geholt, wenn etwas ansteht.
Lob wird der Berater also nie finden. Weiters ist es wichtig, sich darüber klar zu sein, wie sehr man sich auch anstrengt, es ändert sich nichts Wesentliches. Spannend wird es, wenn Weinberg einen Vergleich zwischen medizinischen Mysterien und der Welt der Berater zieht.
Der Leser wird plötzlich mit Wahrheiten konfrontiert, die im Alltag gerne übersehen werden. So heilen neunzig Prozent aller Krankheiten von selbst, ohne jegliches Zutun des Arztes, und wird ein Organismus, der sich selbst heilen kann, wiederholt medizinisch behandelt, verliert er seine Selbstheilungskräfte. Was für den Menschen gilt, gilt im übertragenen Sinne auch für die zu beratenden Organisationen. Wenn sie sich möglicherweise selbst heilen können, sollte man stets nur sanfte Eingriffe vornehmen. Damit die Vorschläge, die der Berater macht, auch durchgeführt werden, sollte man dafür sorgen, dass der Kunde ausreichend zahlt.
Hat er einmal für den Berater eine große Summe ausgegeben, wird er Maßnahmen umsetzen, denn sonst wäre das Geld ja umsonst ausgegeben worden. Und hat man einmal einen Fehler entdeckt, der sich nicht beheben lässt, so kann man ihn immer noch gut verkaufen.
In der Fleischerei fallen Produkte an Innereien oder Fleischstückchen an, die niemand kaufen würde. Als Extrawurst oder Frankfurter (die in Frankfurt bekanntlich als Wiener Würstchen bezeichnet werden) werden sie gerne konsumiert. Ein Theater mit einem schlechten Stück wirbt mit den Worten "noch viele gute Plätze frei", Restaurants mit langsamem Service behaupten "gutes Essen braucht Zeit" und Pharmazieunternehmen, deren Produkte nicht so wirksam wie die Konkurrenzprodukte sind, werben mit dem Slogan "mehr Medizin in jeder Kapsel".

Weinberg behandelt des Weiteren, wie man Fallen umgeht und seinen Einfluss im Unternehmen stärken kann. Ziel jeder Beratung sind natürlich Änderungen. Denn wären keine Veränderungen notwendig, wozu holt man sich dann einen Berater? Aber jede Änderung ruft Widerstand hervor. Der Autor zeigt, wie damit umgegangen werden kann.
Da man aber nur Berater sein kann, wenn man auch Aufträge als solcher hat, widmet Weinberg diesem Thema zwei Kapitel - Marketing für Berater und die Preisgestaltung. Erwarten Sie aber auch hier keine großen Neuigkeiten. Der Autor stellt ebenso eine Reihe von Büchern vor, die einem Berater in seinem Beruf nützlich sein könnten. Dabei fällt aber auf, dass kaum eines dieser Bücher ins Deutsche übersetzt worden ist. Aber Englisch beherrschen sollte heute doch jeder Berater.

Ein kleiner Überblick bzw. eine kurze Zusammenfassung aller 103 Gesetze, Regeln und Prinzipien bildet den Abschluss des Buches. Weinberg versucht sein Buch in einer lockeren und unterhaltsamen Weise zu schreiben. Oft verwendet er in den Überschriften Alliterationen wie "Rudys Rübenregel" oder das "Weinberg'sche Gesetz über Weithergeholtes", um seine Regeln besser im Gedächtnis der Leserschaft zu verankern. Immer wieder lässt er Geschichten einfließen, um aufzulockern. Und trotzdem liest sich das Buch über weite Strecken recht mühsam, was vielleicht auch daran liegt, dass Weinberg Berater in der Computerbranche ist und sich nicht so sehr um den Kommunikationsbereich kümmert.

Wie zu Beginn schon gesagt, kann man sich als aktiver Berater vielleicht den einen oder anderen Tipp holen, zu den wichtigen Büchern in diesem Bereich zählt "Das Gesetz der Himbeermarmelade" sicher nicht. Der Buchtitel ist zwar eine gute Marketingidee, aber das Buch wird sich trotzdem nicht unter den Beratern durchsetzen.

(Ivan Kristianof; 12/2003)


Gerald M. Weinberg: "Das Gesetz der Himbeermarmelade"
redline wirtschaft, 2003. 256 Seiten.
ISBN 3-8323-0982-9.
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