Arno Geiger: "Es geht uns gut"
Philipp Erlach (36) lebt als Schriftsteller in Wien. Was er schreibt bzw. geschrieben hat, wird nicht einmal angedeutet, man bekommt den Eindruck, dass er nicht wirklich erfolgreich ist oder aber in einer Schaffenskrise. So, wie er sich in den Monaten Mai und Juni des Jahres 2001 durch sein Leben wurstelt, wäre das auch gar nicht verwunderlich.
Philipp Erlach hat in Hietzing, einer Wiener Nobelgegend, die alte
Villa seiner Großeltern geerbt. Wohl hauptsächlich aus wirtschaftlichen
Gründen nimmt er dieses Erbe an, aber er wehrt sich auch dagegen. Denn
allem, was diese Villa an Familiengeschichte atmet, allem, was sich auf
dem tatsächlichen und dem virtuellen Dachboden versteckt, begegnet er
feindlich.
Sein Privatleben ist genauso ungeordnet und unklar, wie ihm seine
eigene Vergangenheit und erst recht seine persönliche Zukunft erscheint.
"Insgeheim möchte doch jeder wissen, wie die Zukunft sein wird, und sei
es nur, damit es in der Gegenwart leichter fällt sich einzubilden, dass
man weiß, was man tut."
So formuliert er in seinen persönlichen Notizen, als er beginnt, das
Haus zu entrümpeln. Seine verheiratete Freundin Johanna, zu der er
keine wirklich tiefe Bindung aufbauen kann, schickt ihm zwei
Schwarzarbeiter, Steinwald und Atamatov, einen Ukrainer. Sie tut das,
weil sie ihren Philipp kennt: Alleine wäre er nicht imstande,
irgendetwas an dem Haus zu machen.
Vor allen Dingen nicht, sich mit der Vergangenheit zu konfrontieren, die in
dem Haus lebt und "aufbewahrt" ist. Und so müssen die beiden Schwarzarbeiter,
mit denen er im Laufe der Zeit, die sie für ihn arbeiten, ziemlich hilflos eine
Freundschaft anknüpfen will, den Dachboden entrümpeln, in denen sich
eine Menge Tauben ein neues Zuhause eingerichtet haben.
Kistenweise verschwinden Sachen, Bücher und Einrichtungsgegenstände, die auf
dem Boden zum Teil über Jahrzehnte gelagert waren, in den bestellten Containern.
Steinwald und Atamatov entwickeln noch das realistischste Verhältnis zu den
Hinterlassenschaften: Sie schaffen alles, was noch irgend einen Wert haben könnte,
in Steinwalds gebrauchten Mercedes und verhökern es
auf
Flohmärkten.
Philipp Erlach will und kann sich nicht mit der Vergangenheit seiner
beiden Herkunftsfamilien auseinandersetzen, vielleicht weil er so gar
keine Vorstellung von seiner Zukunft hat und seine Gegenwart so
trostlos findet.
Wie reich an menschlichem Schicksal und politischer Bedeutung
seine Familiengeschichten sind, schildert Arno Geiger in literarischen
Blitzlichtern, in denen er in einem Zeitrahmen zwischen 1938 und 1989
immer wieder an einen Tag in der Vergangenheit zurückkehrt und
schildert, was passiert.
In diesen Kapiteln hat man das Gefühl, dass die beschriebenen Menschen
leben, ihr Leben gestalten, und sich dort, wo sie keine Macht darüber
haben, wenigstens mit ihrem Schicksal auseinandersetzen, anders als
Philipp Erlach im Jahre 2001. Dem Leser entschlüsselt sich nicht die
Antwort auf die Frage, welche Details aus der beschriebenen
Familiengeschichte ihm tatsächlich bekannt sind. Diese beziehungslose
Aneinanderreihung der aktuellen Kapitel und jener aus der Geschichte
verstärkt noch den Eindruck, dass Erlach ein Mensch ohne echte Wurzeln
ist, und dass darin auch sein eigentliches menschliches und wohl auch
schriftstellerisches Dilemma begraben liegt.
Für einen Leser aus Deutschland, der sich möglicherweise mit der
österreichischen
Geschichte nicht so auskennt wie mit der des eigenen Landes, ist das Buch
auch als Informationsquelle über das Land und seine Menschen aufschlussreich.
Arno Geiger liebt seine Protagonisten, die er schildert; er liebt und
leidet mit ihnen. Sein Buch ist eine Einladung an seine Leser, die
eigene Lebensgeschichte ernster zu nehmen.
(Winfried Stanzick; 09/2005)
Arno Geiger: "Es geht uns gut"
Hanser, 2005. 392 Seiten.
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Arno Geiger wurde 1968 in Bregenz
geboren und wuchs in Wolfurt / Vorarlberg auf. 1993 Abschluss des Studiums der
Deutschen Philologie, Alten Geschichte und Vergleichenden Literaturwissenschaft
in Wien und Innsbruck. Während der Bregenzer Festspiele arbeitet Arno Geiger
als Videotechniker. 1996 Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Arno Geiger
lebt als freier Schriftsteller in Wolfurt und Wien. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt "Alles über
Sally" (2009) und "Der
alte König in seinem Exil" (2011). Er erhielt u. A. den "Deutschen
Buchpreis" (2005), den "Hebel-Preis" (2008), den "Hölderlin-Preis" (2011) und
den "Literaturpreis der Adenauer-Stiftung" (2011).
Weitere Bücher des Autors:
"Anna nicht vergessen"
Lukas nimmt Abschied von Berlin. Dort ist einiges schiefgelaufen, und so
verbringt er auch die letzte Nacht vor der Rückkehr nach Wien auf der Gästecouch
einer todmüden Kellnerin. Am Morgen ist sie nicht wach zu kriegen, und als der
Klempner klingelt, findet der junge Mann plötzlich einen Zuhörer, dem er ein
ganz anderes Leben erzählen kann, das Leben, das er sich wünschen würde und
eine große glückliche Liebe.
Arno Geiger, der 2005 für seinen Roman "Es geht uns gut" den
Deutschen Buchpreis erhielt, erzählt in diesem Buch von Liebesdesastern und
Lebensträumen und von Menschen, die nicht vergessen werden wollen. (Hanser)
zur Rezension ...
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"Kleine Schule des Karussellfahrens"
Philipp Worovsky ist der Held in Arno Geigers frech-witzigem Debütroman. Ein
Taugenichts in den 1990er-Jahren, der der abgründigen Leere seiner Generation
mit Ironie, Fantasie und "Notlügen" begegnet. Doch Verwirrung kommt
mit dem Mädchen Lila und ihrer Vorliebe für klirrende Fensterscheiben. Sie
erweist sich als Virtuosin in der Kunst, mit diesem ordentlichen, allzu
vorgezeichneten Leben einmal gründlich Karussell zu fahren. Ein moderner
Schelmenroman, von einem, der nichts vom Leben erwartet und doch alles will.
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"Selbstporträt mit Flusspferd"
Die
Geschichte einer Trennung, einer Liebe und eines Flusspferds. Arno Geiger
erzählt von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens.
Wie fühlt es sich an, heute jung zu sein?
Arno Geiger erzählt von Julian, einem Studenten der Veterinärmedizin, der seine
erste Trennung erlebt und erstaunt ist, wie viel Unordnung so eine Trennung
schafft. Um die Unordnung ein wenig zu lindern, übernimmt er bei Professor Beham
die Pflege eines Zwergflusspferds, das bald den Rhythmus des Sommers bestimmt:
es isst, gähnt, taucht und stinkt.
Julian verliebt sich in Aiko, die Tochter des Professors, verfolgt beunruhigt,
wie täglich Schockwellen von Katastrophen um den Erdball fluten und durchlebt
eine Zeit des Umbruchs und Neuanfangs. Ein Roman über die Suche nach einem Platz
in der Welt.
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"Irrlichterloh"
Ein heißer Großstadtsommer, zu heiß für lange Haare. Doch als Ann-Kathrin plötzlich
mit neuer Frisur daherkommt, weiß Jonas, dass Veränderungen vor der Tür stehen.
Keine guten: Ohne ein Wort ist Ann-Kathrin auf und davon, und noch dazu in Begleitung
von Jonas' Chef persönlich; im Reisegepäck ein Bild, das Jonas gehört, ein Mädchenporträt
von möglicherweise großem Wert. So dass fraglich ist, ob die Galeristin Ira
Constantin tatsächlich hinter Jonas her ist, und nicht nur hinter dem Bild ...
Arno Geiger inszeniert eine immer schnellere Jagd kreuz und quer durch die Stadt
und aus ihr hinaus: Auch ein moderner Taugenichts (und heimlicher Romantiker)
wie Jonas möchte doch gerne wissen, warum seine Freundin lieber mit einem Anderen
auf Reisen geht.
Nicht nur aus Liebe und Melancholie fragt er sich das, denn am Ende ist
es doch
vor allem das Bild von sich selbst, das die jungen Rad- und Autofahrer
in den Anderen suchen und das im Tempo des unaufhörlichen Hin und Her
immer wieder zu
verwischen droht.
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"Der alte König in seinem Exil" zur Rezension ...
"Schöne Freunde"
Ein Roman über das Ende der
Kindheit.
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